piwik no script img

Uni-Besetzung in HongkongAusharren im Hörsaal

Viele Protestierende haben die umzingelte Polytechnische Universität verlassen, aber nicht alle. Business-Angestellte demonstrieren in Solidarität.

Ein Demonstrant versucht über einen Abwasserkanal in der Universität zu entkommen Foto: Adnan Abidi/reuters

Peking taz | Für Hongkongs Aktivisten ist es eine Hiobsbotschaft: Die Volksrepublik China spricht den Gerichten in Hongkong die Berechtigung ab, Entscheidungen über ihre Verfassung zu treffen.

Pekings Parlamentssprecher Jian Tiewei erklärte laut der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua, nur der chinesische Volkskongress könne Entscheidungen über die Verfassung Hongkongs treffen. Hintergrund ist ein am Montag gefälltes Urteil des obersten Gerichts in Hongkong, das ein Vermummungsverbot für Demonstranten als verfassungswidrig aufgehoben hatte.

„Falls sich noch jemand fragt, wie aufrichtig Peking zum Thema „Rechtsstaat“ und „unabhängige Justiz“ steht“, twitterte der Hongkonger Aktivist Lokman Tsui die Meldung auf Twitter.

In der Tat hat die Protestbewegung weitestgehend das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit Hongkongs verloren. Als Indiz dient die überbordende Polizeigewalt: Während in dem fünfmonatigen Konflikt schon über 4.400 Aktivisten festgenommen wurden, suspendierte die Hongkonger Polizeibehörde bislang nur einen einzigen ihrer Beamten.

Straflosigkeit bei Polizeigewalt

Selbst jener Verkehrspolizist, der einen schwarz vermummten Demonstranten aus nächster Nähe in den Oberkörper schoss und lebensgefährlich verletzte, wurde selbst über eine Woche nach der Tat noch nicht abgestraft. Die Financial Times zitiert einen anonymen Polizisten aus Hongkong, der offen zugibt, dass sich seine Kollegen wenig um die bestehenden Gesetze scheren. Wer diese bricht, erhalte Rückendeckung von seinem Vorgesetzten. Der harte Kern der Protestbewegung rechtfertigt aufgrund dieser Machtungleichheit ihre teils gewalttätigen Aktionen.

Die noch immer besetzte Polytechnische Universität präsentierte sich jedoch am Dienstagmorgen geradezu friedlich. Die Sicherheitskräfte hielten sich im Hintergrund, kontrollierten jedoch nach wie vor alle Zugangswege. Dank einer Gruppe von geschickten Vermittlern aus der Zivilgesellschaft – Pastoren, Lehrern und dem Parlamentspräsidenten Tsang Yok-sing – entspannte sich die Lage in den späten Nachtstunden deutlich: Sie überzeugten mehrere hundert Aktivisten, den Universitätscampus zu verlassen.

Die vielen minderjährigen Besetzer durften nach der Aufnahme ihrer Personalien nach Hause gehen, rund 100 weitere Demonstranten wurden noch an Ort und Stelle verhaftet. Doch noch immer harren laut Schätzungen mehrere Dutzend, möglicherweise über 100 junge Leute in den Universitätsgebäuden aus, wobei ihre Lage immer prekärer wird.

Solidarität in der Mittagspause

Laut Augenzeugenberichten haben die Besetzer mit der nächtlichen Kälte, Schlafmangel und Nahrungsengpässen zu kämpfen. Es scheint nur mehr eine Frage von Stunden, bis auch sie aufgeben und sich den Behörden ergeben werden. Die umstrittene, weil als Marionette Pekings wahrgenommene Regierungschefin Carrie Lam sagte unterdessen, die Sicherheitskräfte wollten die „Zwischenfälle“ an der Polytechnischen Hochschule friedlich lösen.

Während der Mittagspause demonstrierten im zentralen Geschäftsbezirk erneut die Angestellten in Anzügen und Business-Kleidern. Die Bereitschaftspolizei zeigte mit offen geführten Maschinengewehren demonstrative Macht. Auch wenn es zu kleineren Rangeleien kam, leerten sich die Straßen pünktlich um 14 Uhr – mit Beginn der Nachmittagsschicht in der Finanzmetropole.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Es geht nicht um (westliche) Menschenrechte, es geht um die ökonomischen und politischen Interessen der Vereinigten Staaten.

    Chinas Wirtschaft wird nicht nur von multinationalen Konzernen und Firmenniederlassungen aus Deutschland und EU-Europa geprägt, sondern auch durch zahlreiche Unternehmen aus den Vereinigten Staaten. Insbesondere in den Bereichen der Billigproduktion von Waren und Gütern aller Art. Die US-Politik dürfte auch ein Interesse daran haben, die amerikanische Billigproduktion aus China zurückzuholen und diese Warenproduktion in den USA modifiziert fortzuführen. Doch derzeit ist die Produktion für amerikanische Unternehmen in China immer noch kostengünstiger und profitabler, als in den Vereinigten Staaten selbst. Zudem verfügen amerikanische Unternehmen, ebenso wie deutsche und europäische Unternehmen, mit ihrer unmittelbaren Produktion in China auch über einen direkten Marktzugang mit künftig 1,4 Milliarden Konsumenten und Verbrauchern.

    Doch der vom heimischen Kapitalinteresse betriebenen Politik der USA genügt es nicht, nur die auswärtigen Produktionslinien von amerikanischen Konzernen und Unternehmen zu tolerieren, sie muss auch im Interesse der heimischen Gesellschaftspolitik und mit begrenzter Rücksicht auf die lohnabhängige Beschäftigung von Teilen der Erwerbsbevölkerung für deren Fortbestand sorgen. Von daher liegt es auch im Interesse der amerikanischen Politik nicht nur Hongkong als auswärtiges Bankenzentrum und Wirtschaftszentrum zu destabilisieren, sondern damit auch das Festland der Volksrepublik China selbst.

  • "Hintergrund ist ein am Montag gefälltes Urteil des obersten Gerichts in Hongkong, das ein Vermummungsverbot für Demonstranten als verfassungswidrig aufgehoben hatte.



    „Falls sich noch jemand fragt, wie aufrichtig Peking zum Thema „Rechtsstaat“ und „unabhängige Justiz“ steht“, twitterte der Hongkonger Aktivist Lokman Tsui die Meldung auf Twitter."



    Dies sollte Anlass sein, die (Rechts)verhältnisse hierzulande in Frage zu stellen. Der Unterschied zu den Protesten in Honkong ist allerdings, dass das hier existierende Vermummungsverbot nicht in Frage gestellt wird. Desweiteren ist zu beobachten, dass zwar Rechtsbeugungen (wie Verletzungen des Versammlungsrechtes durch die Pozilei) hierzulande immer wieder mal in Gerichtsbeschlüssen festgestellt werden, diese jedoch an der rechtswidrigen Praxis nichts ändern. Seitens der (Regierungs)politik bzw. Politik der meisten Parteien gibt es da auch keinen politischen Willen, das zu ändern. Wie in China auch wird Polizeigewalt kaum rechtlich verfolgt bzw. verurteilt. Eine Kennzeichnungspflicht gibt es hier flächendecken ebenso wenig wie eine unabhängige Behörde, die Rechtsverstöße seitens Polizist*innen ermittelt. Usw. usf.. Wahrscheinlich empören sich die gleichen Personen in Deutschland über die chinesische Regierung und deren polizeiliches Vorgehen, die vor hiesigen Verhältnissen die Augen verschließen ...