Besetzte Universität in Hongkong: Kampf um die letzte Bastion

Rund 500 Studenten sind in Hongkong von der Polizei eingekesselt worden. Die Bewegung fordert ihre Freilassung. In China fehlt dafür Verständnis.

Eine junge Frau mit Schutzhelm und Atemmaske sitzt zwischen leeren Plastikflaschen auf einer Mauer

Montagmorgen auf dem Campus der Polytechnischen Universität in Hong Kong Foto: Vincent Yu/ap/dpa

PEKING taz | Es sind jene Szenen, die auch den moderaten Teil der Hongkonger Zivilgesellschaft erzürnen: Mehrere Dutzend junger Menschen in gelben Signalwesten sitzen auf dem nackten Asphalt, die Hände hinterm Rücken gefesselt, eingepfercht hinter Bereitschaftspolizisten und Absperrbändern.

Bei den in der Nacht auf Montag Festgenommenen handelt es sich jedoch nicht um gewalttätige Aktivisten, sondern lediglich um freiwillige Helfer für das Verarzten verwundeter Demonstranten.

„Das ist ungeheuerlich! Die Hongkonger Regierung hat die Kontrolle über ihre Polizeigewalt verloren. Ein Blutbad ist auf dem Weg“, twitterte der 23-jährige Joshua Wong, das media­le Gesicht der Protestbewegung. Bis Redaktionsschluss ist es zwar nicht dazu gekommen, doch die Befürchtungen des Studentenaktivisten sind keinesfalls unbegründet.

Der harte Kern der Protestbewegung bereitet sich derzeit auf die zweite Nacht in Folge der Belagerung der Polytechnischen Universität Hongkongs vor. Die größte staatlich finanzierte Hochschule ist als letzte noch von Aktivisten besetzt, doch die Lage auf dem Campus ist äußerst dramatisch.

Zweite Nacht eingeschlossen

Der Versorgungsstrom ist abgeschnitten; vor allem Trinkwasser, Lebensmittel und medizinische Ausrüstung werden knapp. Längst sitzen die Aktivisten fest, eine Flucht ohne Verhaftung scheint derzeit nicht möglich. An den Ausgängen wartet die Polizei mit Tränengasgeschossen und jagt die Studenten wieder zurück in das Universitätsgebäude.

Seit über fünf Monaten hält die Protestbewegung gegen die Aushöhlung der Freiheiten Hongkongs durch Festlandchina bereits an. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass diese Woche die brutalsten Auseinandersetzungen dieses Konflikts bereithält. Allein bis Montagmittag hat die Bereitschaftspolizei rund 150 Demonstranten festgenommen, darunter auch eine Handvoll Journalisten. Die Gewalt hat sich seit dem Wochenende vor allem auf die Universitäten verlagert.

Die Polizei hatte bei den Gefechten an der Polytechnischen Universität am Montagmorgen angedroht, von ihrem Waffenrecht Gebrauch zu machen. „Wir haben keine andere Wahl, als die nötige Gewalt anzuwenden, um der Situation Herr zu werden“, sagte der Leiter der Hongkonger Polizei Louis Lau, der die Aktivisten „kaltblütige Randalierer“ nannte. Diese setzten eine Zugangsbrücke zum Universitätscampus in Brand und schossen mit scharfen Pfeilgeschützen auf die Polizei, wobei ein Beamter am Bein verletzt wurde.

„Die zunehmende Gewalt der Proteste und die daraus resultierenden Verletzungen von unbeteiligten Personen ist alarmierend, doch die harte Reaktion der Polizei gegenüber größtenteils friedlichen Demonstranten während der letzten Monate ist der Hauptgrund für die Eskalation“, sagt Man-Kei Tam, Leiter von Amnesty Interna­tional Hongkong. Derzeit sei Menschlichkeit der Machteliten gefragt, doch stattdessen würden diese mit Tränengas, Schlägen und Androhungen tödlicher Gewalt antworten.

Kurz vor den Kommunalwahlen

Die Lokalregierung hatte zudem am Montag bekannt gegeben, dass die Entwicklungen am Wochenende „die Wahrscheinlichkeit gemindert“ hätten, die für kommenden Sonntag geplanten Kommunalwahlen wie geplant abzuhalten. Eine Verschiebung oder gar Streichung der Wahlen würde in dem Konflikt zusätzlich Öl ins Feuer gießen: Laut einer aktuellen Umfrage der Hongkonger Tageszeitung „Ming Pao“ vom Oktober liegen die prodemokratischen Kandidaten mit Zustimmungswerten von 44,5 Prozent weit vor den Peking-Loyalisten mit 6 Prozent.

Selbst in Festlandchina wird das Thema Hongkong längst nicht mehr medial totgeschwiegen, allerdings extrem selektiv berichtet. Die „Global Times“, englischsprachiges Propagandaorgan der Kommunistischen Partei in Peking, publiziert vornehmend Videoaufnahmen von frustrierten Hongkongern, die die Straßenblockaden der Demonstranten aufräumen.

Zudem betont es in Leitartikeln und Tweets die wirtschaftliche Abhängigkeit der Sonderverwaltungszone von China und die wirtschaftliche Misere, in die die Protestbewegung Hongkong geführt hat. Generell lautet der Tenor der chinesischen Medien, dass die Polizei schnellstmöglich der Gewalt ein Ende setzen müsse.

Vor allem junge Einwohner aus den urbanen Großstädten der Ostküste wissen in Zügen über den Konflikt Bescheid, zumal einige eine sogenannte VPN-Software zur Umgehung der chinesischen Internet­zensur benützen. Doch Sympathie für die Aktivisten bekommt man höchstens unter vorgehaltener Hand zu hören. Die vorherrschende Meinung schwankt zwischen Indifferenz und Wut, dass die Polizei die chaotische Lage noch nicht in den Griff bekommen hat.

Hohes Gericht stärkt Demokratie

Und die Lage könnte weiter eskalieren. Aktivisten haben für die Nacht auf Dienstag eine „Operation Dünkirchen“ – in Anspielung auf die Befreiungsmission der Alliierten während des Zweiten Weltkriegs – geplant, wie ein 27-jähriger Aktivist aus Hongkong verrät. „Ich hoffe, dass jeder mitmacht“, sagt der Mann, der sich als Anthony vorstellt. Er beobachtet die zunehmende Radikalität auf Seiten der Demonstranten, erklärt dies jedoch mit der Polizei­gewalt.

Es lässt sich nur schwer vorstellen, wie ein solches Himmelfahrtskommando gelingen soll. Mit Einbruch der Dunkelheit ziehen jedoch etliche Tausende zum Universitätscampus. Auch die Tränengasgeschosse der Polizisten können sie nicht abschrecken. „Rettet die Studenten!“, rufen sie in die Hongkonger Nacht.

Vielleicht hat ihnen die Entscheidung des Hohen Gerichts Mut gemacht. Das hat am Montag das Vermummungsverbot für Demonstranten für unzulässig erklärt. Das Verbot von Gesichtsmasken verletze fundamentale Rechte, so die Begründung.

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