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Uni-Drama als RomandebütDie große Leere

Der rasante Debütroman „Die Brandstifter“ der US-Autorin R:O. Kwon, spielt an einer Nobeluniversität. An der sorgen christliche Fanatiker für Unheil.

Die Autorin R. O. Kwon Foto: Smeeta Mahanti

Es sind unsichere Planken, schwankend über unkalkulierbaren Tiefen, über die man als LeserIn in R. O. Kwons Roman „Die Brandstifter“ geführt wird. Unzuverlässig ist jede der Erzählstimmen der drei jungen Menschen, die sich an einer noblen Universität, dem Edwards-College in Noxhurst, an der amerikanischen Ostküste kennenlernen.

Da erzählt Will, der eine Karriere in der Finanzwirtschaft ansteuert und sich aus Scham über die bescheidenen Lebensverhältnisse seiner Familie in einem heruntergekommenen Viertel von Los Angeles Märchen über die Villa seiner Eltern ausdenkt, mit einem Pool, in den die Orangen plumpsen. Dass er jobben muss, um sich das Studium leisten zu können, verheimlicht er.

Da ist Phoebe, mehr Partygirl als wirklich Studentin, von der man zwar in den mit „Phoebe“ überschriebenen Kapiteln in der Ich-Form liest, unterbrochen allerdings von Einschüben wie – „sagte sie wahrscheinlich“ oder „aber ich erzähle es immer noch nicht richtig“. Von ihrer disziplinierten Kindheit am Klavier, von ihrer aus einer autoritären Ehe in Korea in die USA geflüchteten Mutter, von ihren Liebhabern vor Will, von ihrer Fassade aus guter Laune und Oberflächlichkeit, erfährt der Leser oft in Form von Beichten und Geständnissen, die immer schon auf die Zuhörer zugeschnitten sind.

Ungewiß ist, was man glauben darf

Jene gehören oft einer christlichen Gruppe an, von John Leal, dem dritten Protagonisten, gegründet. Dass die sich nach und nach zu reaktionären, religiösen Fanatikern entwickeln, ahnt man von Anfang an. John Leal, über den ein auktorialer Erzähler in den kürzesten Kapiteln schreibt, ist von Beginn an eine unheimliche Figur. Er umgibt sich mit Legenden, als politischer Aktivist und Fluchthelfer aus Nordkorea, von denen aber auch der Erzähler nicht weiß, was man davon glauben darf.

Man liest hier nichts von Waffen, nichts von Ego-Shooter-Spielen, nichts vom Mief nationalistisch gesinnter alter Männer

Diese Konstellation der Stimmen macht die Lektüre von R. O. Kwons Roman, dem ersten der in Seoul geborenen und in Los Angeles aufgewachsenen Autorin, von Beginn an spannend. Es kommt hinzu, dass die mit „Will“, „Phoebe“ und „John Leal“ überschriebenen Erzählstränge zeitlich versetzt sind und das gleiche Ereignis mehrfach erzählt, aber unterschiedlich hergeleitet und begründet wird. Was man glaubt und was man für die Selbstbildkonstruktion der jeweiligen Person hält, gebaut um anzukommen beim Gegenüber, um Unsicherheiten und Schwächen zu überspielen, muss der Leser selbst entscheiden.

Für einen Roman von 240 Seiten passiert viel. Aus der Gegenwart an der Universität, von deren Ansprüchen nur Will bis zur Erschöpfung gefordert ist, führen immer wieder Blicke zurück in die Vergangenheit. Phoebe leidet an Schuldgefühlen gegenüber ihrer tödlich verunglückten Mutter, die sie so gerne als Künstlerin gesehen hätte und ihr alle praktischen Dinge abgenommen hat, was ihr jetzt auch leichte Züge der Wohlstandsverwahrlosung einbringt. Will hat sich als Kind, verängstigt vom möglichen Tod seiner kranken Mutter, der Kirche in den Schoß geworfen und als Kindermissionar geglänzt. Dass ihm dann der Glaube abhanden kam, beschreibt er als große Leere, ein großes Loch, das er in sich trägt.

Der Geschichte der Anziehung zwischen diesen beiden ins Trudeln geratenen und um Orientierung kämpfenden jungen Menschen zu folgen, ist ein weiterer Sog durch diesen Roman. Dessen heller Klang aber zunehmend getrübt wird durch den Einfluss von John Leal, einem Menschenfischer und Manipulator übelster Sorte, der in Phoebes Schwächen seine Chance sieht.

Die Geschichte einer Radikalisierung

Selten liest man in so leisen Tönen die Geschichte einer Radikalisierung. Christlich begründeter Fanatismus in den USA ist eine düstere Realität – Anschläge auf Abtreibungskliniken scheinen da gar nicht so weit hergeholt; doch die konkrete Ausgestaltung des Milieus stellt man sich meist viel martialischer vor. Man liest hier nichts von Waffen, nichts von abseitigen Ego-Shooter-Spielen, nichts vom Mief nationalistisch gesinnter alter Männer – und doch läuft die Geschichte durch eine leicht flirrende, jugendliche, etwas verdrogte und auch postmigrantisch geprägte Szene auf solch einen Anschlag zu. Und dass man das am Ende für durchaus möglich hält, ist das Erschreckende an dem Roman.

R. O. Kwon: „Die Brandstifter“. Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger. Liebeskind Verlag, München 2019, 240 Seiten, 20 Euro

2018 erschien „The Incendaries“ in den USA, Anke Caroline Burger hat den Roman ins Deutsche übersetzt. Er hat mich mit seinen drei verunsicherten, sich zu mit der Realität vermischenden Fantasien neigenden Figuren an den ebenfalls 2018 erschienenen Film „Burning“ erinnert, von dem südkoreanischen Regisseur Lee Chang-dong.

Auch dort steht ein Mädchen zwischen zwei jungen Männern, auch dort sorgt der Unterschied zwischen den sozialen Klassen für enormen Druck, auch dort sind Wahn und Wirklichkeit irgendwann nicht mehr zu unterscheiden und die Katastrophe kommt. Und wie der Film bleibt auch die Autorin immer so nahe bei ihren Figuren, dass sich so etwas wie die Vorstellung der Möglichkeit einer objektiven Distanz auflöst. Es findet zwischen den Wahrheiten der Einzelnen keine Vermittlung mehr statt. Das ist der Abgrund, über den man geführt wird.

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