Andreas Bovenschulte über R2G und Geno: „Eine stärkere SPD wäre besser“
Die 93-Tage-Bilanz: Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte spricht im Interview darüber, was er mit Bremen vorhat.
taz: Herr Bovenschulte, waren Sie seit der Wahl schon an Ihrer alten Wirkungsstätte in Weyhe?
Andreas Bovenschulte: Ja, klar, zuletzt, als am vergangenen Sonntag dort mein Nachfolger als Bürgermeister gewählt wurde.
Als Sie hier zur Bürgerschaftswahl antraten, hatten manche schon prophezeit, Sie würden sich als Nachfolger von Carsten Sieling in Stellung bringen. Offenbar zurecht?
Nein, überhaupt nicht. Ich war angesprochen worden, ob ich für die Bürgerschaft kandidiere will, und zwar vom Bürgermeister selbst: Carsten Sieling hat das nicht gemacht, um mich schon mal als Nachfolger zu installieren. Denn natürlich wollte er die Wahl gewinnen und Bürgermeister bleiben. Ich hatte allerdings zugegebenermaßen auch nicht vor, Hinterbänkler zu werden …
… ja, klar, sondern Fraktionsvorsitzender – und keinesfalls in der Opposition. Warum das eigentlich?
Man versucht doch immer, möglichst viel von seinem Programm umzusetzen. Selbst dann, wenn man ordentlich einen auf die Mütze gekriegt hat: Inhalte umsetzen geht immer besser in der Regierung.
54, von 2010 bis 2013 Landesvorsitzender der SPD, war zuletzt Bürgermeister von Weyhe. Am 15. August hat ihn die Bürgerschaft zum Präsidenten des Senats gewählt.
Manche sagen, dass in der Opposition die Schärfung des eigenen Profils leichter fällt.
Ich kenne diese These, aber ich zweifle sie an. Letztlich nehmen die Menschen ja nur wahr, was man umsetzt. Man bekommt als Regierung zwar mehr Kritik, das ist klar, aber man kann tatsächlich gestalten. Regieren bietet immer mehr Möglichkeiten, auch wenn man sich klar machen muss, dass man nicht die Welt aus den Angeln heben, sondern immer nur kleine Schritte in die richtige Richtung gehen kann. Wenn einem das zu mühselig ist, dann ist Regieren nicht das Richtige.
Demokratie dann wahrscheinlich aber auch nicht?
Genau. Die Vorstellung, dass man einfach alles mal ganz anders machen müsse, ist ja eher autoritär. Zudem wird sie nie der Komplexität der Probleme gerecht. Ich bin bekennender Anhänger von der These, dass es für jedes schwierige Problem eine Lösung gibt, die klar, einfach und falsch ist.
Dann ist ja eine Multi-Parteien-Koalition ideal!
So weit würde ich nicht gehen. Eine stärkere SPD wäre noch besser. Aber Sie haben insofern Recht, dass diese Dreierkoalition auf einer gemeinsamen inhaltlichen Grundlage beruht und nicht einfach die Addition von drei Parteiprogrammen ist.
Wie verstehen Sie Ihr Amt als Bürgermeister?
Es gibt verschiedene Erfolgskriterien für eine Regierung. Das wichtigste ist, dass sie Sachen in der Realität gebacken kriegt. Das klingt so simpel, aber man muss das Leben der Menschen mit konkret erlebbaren Fortschritten besser machen. Eine wichtige Bedingung, um dahin zu kommen, ist, dass eine Koalition nicht zum Wettbewerb untereinander wird. Und so verstehe ich auch mein Amt: Ich muss die Entscheidungsprozesse so gestalten, dass gemeinsam gehandelt wird. Das ist – bei aller fehlenden Richtlinienkompetenz – vom Bürgermeister zu erwarten.
Fehlt die Ihnen echt?
Verfassungsrechtlich ja, aber in der Praxis kommt es vor allem auf Kommunikation an. Eine Koalitionsregierung hält zusammen, wenn es gemeinsame Ziele gibt, wenn es wechselseitiges Vertrauen gibt und wenn die persönliche Chemie stimmt. Wenn das fehlt, hilft Ihnen alle Richtlinienkompetenz der Welt nichts: Dann zerfällt eine Koalition.
Schreiben Sie aus diesem Amtsverständnis heraus die von Ihrem Vorgänger Jens Böhrnsen begonnene Tradition fort, dass der Präsident des Senats kein eigenes Fachressort hat – außer der Kultur?
Also dieses „außer“ weise ich klar zurück: Kultur ist doch Grundnahrungsmittel, nicht Sahnehäubchen einer Gesellschaft. Insofern ist dieses Ressort in meinem Verständnis ein zentrales, und ich bin froh, dass ich Kultursenator bin!
Welche Akzente wollen Sie denn da setzen?
Das Wichtigste ist mir, unsere tolle, leistungsfähige und vielfältige Kulturlandschaft zu erhalten. Diejenigen, die da sagen: „Weg mit der Gießkanne, wir müssen Prioritäten und Akzente setzen“, von denen wüsste ich gerne, was von der Vielfalt sie vertrocknen lassen wollen, wenn sie die Gießkanne wegnehmen. Zweitens wollen wir natürlich auch eigene Akzente setzen. Zum Beispiel bei der Unterstützung der freien Szene.
Sie überlegen?
Es gibt konkrete Überlegungen, aber sie sind noch nicht spruchreif. Es hängt viel vom Ausgang der Haushaltsberatungen ab. Es hat ja Ereignisse gegeben, die unseren Spielraum nicht gerade erweitert haben …
Sie meinen das Krankenhaus-Defizit, das bei 30 statt erwarteten sechs Millionen liegt?
Die Geno, ja. Es gibt aber auch die Flughafensanierung, die Nachzahlung bei den Lehrerinnen und Lehrern, die schlechtere Steuerschätzung …
Denken Sie dann manchmal: Es wäre doch ganz gut, die Gesundheit Nord nicht im städtischen Portfolio zu haben?
Auf keinen Fall. Die Geno wird nicht privatisiert. Die Kliniken bleiben kommunal.
Zu den Problemen der Stadt gehört auch die Wohnungsnot, klassisches Konfliktfeld zwischen Grünen auf der einen, SPD und Linkspartei auf der anderen Seite …
Ich sehe den Konflikt nicht. Die Vereinbarung gilt: Wir wollen 10.000 Wohnungen schaffen in der Legislaturperiode. Wir haben auch das Ziel, die dafür notwendigen Flächen bereitzustellen. Das ist schwerer geworden ohne Rennbahnbebauung. Aber wir halten daran fest. Das ist die Auffassung der Grünen, der Linken und der SPD. Da sehe ich keine grundsätzlichen Divergenzen.
Mit drei Partnern erhöht sich allerdings der Diskussionsbedarf: Geraten die Senatssitzungen dadurch zu erweiterten Koalitionsverhandlungen?
Nein, das ist nicht so. Man diskutiert im Senat, man diskutiert auch in anderen Zusammenhängen, und jeder der drei Partner ist auch autonom. Das Entscheidende ist aber doch, dass man hinterher in Regierung und Parlament auf einen gemeinsamen Nenner kommt.
Beim Linken-Parteitag gab es schon einen Antrag, die Koalition wieder zu verlassen. Sind Sie erleichtert über den Ausgang?
Nein, wieso sollte ich? Erleichtert hätte ich nur sein können, wenn ich die Gefahr gesehen hätte, dass etwas anderes beschlossen wird. Diese Sorge hatte ich nicht.
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