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Norbert Bisky in Berlin und PotsdamDie biskynische Kapelle

Zum 30. Jubiläum des Mauerfalls eröffnen in Berlin und Potsdam gleich zwei Ausstellungen von Norbert Bisky. Eine davon in einer Kirche.

Norbert Biskys Gemälde an der Decke der St.-Matthäus-Kirche, Berlin Foto: Gregor Fischer/dpa

Die Glocken läuten, drinnen in der St. Matthäus-Kirche steht gerade Norbert Bisky – mit dem Kopf im Nacken wie wir auch. Angenehm ist das nicht. Doch ein bisschen Anstrengung gehört dazu, es geht schließlich um Erinnerungsarbeit. Biskys Coup: Er hat seine Bilder, im Format groß, klein und mittel, hoch oben an der hölzernen Kirchendecke installiert. So wie man es aus barocken Kirchen kennt.

Von oben stürzen die typischen Bisky-Figuren auf uns herab, bald so wie im Rubensschen „Engelssturz“: Tänzer im irren Rausch, wilde Hunde, züngelnde blonde Bisky-Boys, Jesus am Kreuz, Splitter, mittendrin eine heilige Familie.

Gleich über dem Eingang hängt ein weiter, offener, blauer Himmel („Befreites Land“), daneben ein ebenso weiter, offener, blauer Himmel („Freudenstadt Aschersleben“), allerdings mit einer Person, die tot am Strick baumelt. In einem riesigen Spiegel am Kirchenboden sehen wir sie alle als Wiedergänger – spiegelverkehrt, gleichzeitig zieht es uns auf unheimlich Weise in die Tiefe. Himmel und Hölle?

So sieht sie aus, die Welt-Vermessung des Norbert Bisky. Im dreißigsten Mauerfall-Jubiläumsjahr zeigt der Berliner Künstler in gleich zwei parallel laufenden Ausstellungen seine Version über das untergegangene Land und die Jahre „danach“.

DDR-Flashbacks

Eine Bilanz mag er es nicht nennen, eher eine Chronik der Gefühle, gemalt um den Dämonen im Kopf etwas Kontur, und ja Farbe zu geben. „Irgendwie bin ich auch wütend darüber, dass mich diese Zeit nicht loslässt. Jetzt lebe ich bald doppelt so lange im vereinigten Deutschland wie vorher unter Honecker. Fast alles Wichtige in meinem Leben ist nach dem Mauerfall passiert, trotzdem habe ich immer wieder Flashbacks“, erzählt er.

Ich wollte ein verrückter kalifornischer Maler werden

Norbert Bisky

Schlüsselerlebnis für die Ausstellung sei ein Gespräch mit sehr selbstbewussten Amerikanern in einer Kneipe gewesen, die ihm – vor 49 Jahren in Leipzig geboren und dort aufgewachsen, erklären wollten wie die DDR tickte. Bisky stammt aus einem kommunistischen Elternhaus. Sein verstorbener Vater Lothar Bisky war der langjährige Vorsitzende der Linken. Und ja, gerade nach der Wende gab es ideologische Auseinandersetzungen in der Familie.

Jetzt, 30 Jahre später, meint er, sei genau der richtige Abstand da, sich erneut mit dem Realsozialismus zu beschäftigen, die Sicht sei noch nicht durch „Zeitverklärungs- und Auf-dem-Sofasitzen-Melancholie“ verwischt. Er zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen Malern Deutschlands. Vertreten wird er von Johann König, dem Ego-Matador unter den Hauptstadt-Galeristen, in New York durch dessen Bruder Leo König. So funktioniert Kunstmarkt.

Die beiden Ausstellungsorte könnten kaum unterschiedlicher und symbolischer sein. Einer im Westen, der andere im Osten. Die Matthäus-Kirche liegt wie ein Ufo am unwirtlichen Kulturforum am Potsdamer Platz – die im 19. Jahrhundert, im italienischen Stil erbaute, private Kunst-Villa Schöningen an der Glienicker Brücke, im ehemalige Grenzsperrbezirk, berühmt für den hier abgewickelten Agententausch zwischen West und Ost.

Doppeldenk, 2019, Öl auf Leinwand, 200 x 150 cm Foto: Bernd Borchardt/Courtesy the artist and König Galerie

In „Pompa“, in der Kultur-Kirche dreht sich vieles um die Zeit nach 1989, den Wahnsinn der 90er Jahre: den furiosen, oft konfusen Aufbruch, Exzesse, Partys, das Chaos in der Stadt und in den Köpfen der Menschen.

Es folgen: 9/11. Nahostkonflikt. Klimakatastrophe. Flüchtlingskrise. Diese Themen hält der Kirchenhimmel für uns parat. Die Werke aus den Jahren 2002 bis 2018 sind assoziativ, die Perspektiven verschoben, die Ebenen schräg – alles ist in Bewegung. Norbert Bisky: „In meinem Kopf ist die Welt nicht stabil. Hauptsache keinen rechten Winkel auf den Bildern!“ Zu sehen sind Leihgaben, Reproduktionen, Drucke – seine Werke sind in der ganzen Welt verstreut.

Palindrom, 2017, Öl auf Leinwand, 200 x 150 cm Foto: Bernd Borchardt/Courtesy the artist and König Galerie

Bisky ist dort stark, wo er direkt und konkret mit seiner Erinnerung arbeitet. Dabei bleiben Potsdam die „krassen DDR-Themen“ vorbehalten, mit neuen Werken aus den vergangenen zwei Jahren. Der Ausstellungstitel „Rant“ kommt aus dem Netz und meint so viel wie „Dampf ablassen.“ Das Großformat „Bitte nicht“ präsentiert eine bedrückende Erschießungsszene. I

In zahlreichen Arbeiten auf Papier nimmt Bisky noch einmal die Grenzverläufe und Todesstreifen („Niemandsland“) in den Blick, fügt Stadtpläne ein, die zeigen, wie das SED-Regime den Westen als weißen Fleck einfach auslöschte. Bisky scheut sich nicht, verbeulte Mülltonnen, VEB-Tapeten oder Thermosflaschen als atmosphärische Aufladung in die Schau einzufügen. So kennt man den Maler gar nicht. Es funktioniert.

Margot Honecker („M“) als frühere Volksbildungsministerin bekommt mit ihren blaugefärbten Haaren („der einzige offizielle DDR-Punk“) und ihrem Blick nach Westen einen Ehrenplatz. Bisky hat das Bild mit Farbe beschmiert, und doch malt er die Genossin als glamouröse Diva – entlarvt die Lüge des „Arbeiter- und Bauernstaates“. Frau Honecker kaufte bekanntlich gerne im Kaufhaus des Westens ein. Am Ende könnte man sagen, der frühe und der neue, reife Norbert Bisky finden in Potsdam und Berlin bestens zusammen.

Die Ausstellungen

Pompa, 10. November bis 16. Februar 2020, St. Matthäus-Kirche, Berlin, Eröffnung & Gottesdienst: 10.11., 18 Uhr

Rant, bis 23. Februar 2020. Villa Schöningen, Potsdam

Für längst nicht alle kam Fall der Mauer so gelegen wie für ihn. Er ist 19 Jahre alt und bei der NVA. Noch im März 1990 steckt man ihn als Deserteur in eine Arrestzelle in der Friedrich-Engels-Kaserne in Ost-Berlin. „Wenn die Zelle Fenster gehabt hätte, hätte ich Blick aufs Pergamonmuseum gehabt“, sagt er. „Der schon tote Zombie-Sozialismus hat mir seine fiesen Zähne gezeigt.“ Es konnte nur besser werden – in Freiheit. Erst mit der Öffnung des Landes kommt er zur Kunst – und zu einem Studienplatz bei Georg Baselitz an der Universität der Künste.

Ohne die Wende gäbe es also gar keinen Künstler Norbert Bisky, das betont er häufig. Allerdings wollte er in den Neunzigern ein „verrückter kalifornischer Maler werden“. Das klappte dann, trotz poppig-bunter Farbpalette, nicht, worauf ihm Baselitz riet: “Mal deine deutsche Geschichte. Das ist dein Material.“

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