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Der lange Weg zur Rückgabe

So langsam beginnen auch deutsche Museen, die Herkunftsgeschichte von Objekten zu erforschen, die aus ehemaligen Kolonien stammen. Oft gaben ihre damaligen Besitzer sie nicht freiwillig her, von Gleichheit konnte sowieso keine Rede sein. Doch reicht es, eigene Räume für das Thema einzurichten, oder ist nicht vielmehr die Rückgabe fällig?43–45

Aus der „Spurensuche“-Ausstellung im Bremer Überseemuseum: Diese „Reichs-Colonial-Uhr“ stammt aus der Zeit um 1900 Foto: Volker Beinhorn

Von Benno Schirrmeister

Stehen wir also ganz am Anfang. Und was ins Auge sticht, ist diese bizarre Figur, auch wenn sie nur verkleinerte Replik ist des Originals von 1890: Der Blick bleibt beim Eingang in die neue Dauerausstellung des Bremer Überseemuseums an dem Atlas, dem Weltenträger, aus angemaltem Gips kleben, der versucht, wie eine Bronzenachbildung einer antiken Marmorstatue auszusehen. Ein nackter Muskelmann, dichte Locken, Bart, das Gemächt mit einem Schurz verhüllt: Unsichtbare Potenz wird stets für noch größer gehalten, als sie ist.

Auf den Schultern trägt der Schrumpfriese eine leicht überproportionierte, goldig schimmernde Weltkugel. Rot sind auf ihren sieben Ozeanen die Routen des Norddeutschen Lloyd markiert, beherrscht von Bremerhaven aus: So sah sich der Bremer Kaufmann der Gründerzeit also gern, allegorisch, selbstverständlich.

Damals war die Plastik im Zentrum der Mittelhalle aufgebaut, zu ihren Füßen ein plätschernder Brunnen. Sie war geschaffen, um als Blickfang der Handelsausstellung zu dienen, der Keimzelle des heutigen Überseemuseums, in der Hochzeit des Kolonialismus, und sie stand fürs Eigene.

Heute steht sie dafür, wie fremd uns doch die Vergangenheit ist, wie kurios und wie geradezu beruhigend weit weg. Sie dient nämlich als Blickfang einer in drei Jahren kuratorischer Arbeit entwickelten neuen Abteilung mit dem Titel „Spurensuche“, die seit Anfang November geöffnet ist, Untertitel: „Geschichte eines Museums“, mit etwas irritierend unbestimmtem Artikel.

Tatsächlich blickt sie „auf die ersten 100 Jahre dieses Hauses“, wie Museumsdirektorin Wiebke Ahrndt präzisiert, von den Anfängen, der Eröffnung 1896 an, über die Zeit, in der man meistbesuchtes Museum der Bundesrepublik war und das erste Kindermuseum Deutschlands betrieb, bis hin zu den Aufbrüchen ab den 1970ern: Damals debattierte man im Plenum der Handelskammer, ob man nicht den Geldhahn zudrehen müsse, weil „damit zu rechnen“ sei, dass es „ein ideologisches Museum werde“, heißt es im Protokoll. Und exakt rechnen konnten die Kaufleute: Tatsächlich machten sich die Kuratoren damals daran, die Ideologie von Kolonialismus und Rassismus hinter der Sammlung freizulegen. Es ist letztlich dieser Prozess, den auch die Spurensuche-Abteilung fortsetzt.

Herkunftsgesellschaften sollen mit an den Tisch

Mittlerweile beginnt diese Debatte auch bundespolitisch an Fahrt aufzunehmen. Das ist ein Erkenntnisfortschritt. „Öffentliche Sammlungen und Museen müssen dekolonisiert werden“, fordert Bremens grüne Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther und lobt das Überseemuseum dafür, „bei diesem notwendigen und maßgeblich von der Zivilgesellschaft angestoßenen Paradigmenwechsel einen relevanten Beitrag“ zu leisten.

Damit sei es aber „nicht getan“, so die Abgeordnete. Noch relativ weit sei der Weg zu einer „kooperativen Provenienzforschung“, also betrieben von ForscherInnen der Herkunftsländer und hiesigem Personal, finanziert vom Verursacher, also Deutschland. Voraussetzung dafür wäre „die Aufgabe von Deutungshoheit zugunsten der Herkunftsgesellschaften“.

Tatsächlich ist sogar noch der selbstkritische Blick auf die eigene Historie eher ungewöhnlich. In den Museen gibt es vielfach Ängste, abgeben zu müssen, was zu Unrecht erworben wurde. Es gibt Sorgen, die Grundidee der eigenen Sammlung zu verlieren. Sie sind begründet: Denn es ist klar, dass beides geschehen muss.

Bremens Überseemuseum leistet da Pionierarbeit. Die Impulse der zivilgesellschaftlichen Akteure, dem panafrikanischen Verein und dem Afrika-Netzwerk Bremen, vom Informationszentrum für Menschenrechte und vom Institut für postkoloniale Studien der Uni haben Wirkung gezeitigt. Im Jahr 2016 hatte die Bürgerschaft schließlich ein „Erinnerungskonzept Kolonialismus“ beschlossen, das auch vorsieht, „sich in Gesprächen mit dem Überseemuseum für einen Ausstellungsschwerpunkt Kolonialismus einzusetzen“. Und dann ist da noch Museumsdirektorin Ahrndt, die das Thema schon lange umtreibt.

Als der Deutsche Museumsbund 2013 den Leitfaden über den Umgang mit menschlichen Überresten in den Sammlungen herausgab, hatte Ahrndt die Federführung gehabt. Ebenso beim 2018 erschienenen Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten. „Wissen und Wissensproduktion sind zentraler Bestandteil und Voraussetzung kolonialer Herrschaft“, schreibt dort der Hamburger Globalhistoriker Jürgen Zimmerer. Das weise „den kolonialen Sammlern und Sammlungen einen bedeutenden Platz im kolonialen Feld zu“.

Also reicht es nicht, nur zu forschen, woher die in den Eingangsbüchern mit herablassender deutscher Schlampigkeit dokumentierten Schätze und Objekte kommen, was schwer genug es. Es geht auch darum zu fragen, wie sie präsentiert wurden, was man mit ihrer Ausstellung bezweckt hat – und darum, die Ergebnisse öffentlich zugänglich zu machen. „Für uns hieß das, diese Dauerausstellung zu entwickeln“, so Ahrndt. Natürlich im Dialog mit der afrikanischen Community.

Über dessen Qualität gehen die Meinungen auseinander. Chief Muritala Awolola zum Beispiel ist happy. Der Gründer des panafrikanischen Vereins lebt seit 1988 in Bremen. Er hat’s seit der Eröffnung der Abteilung terminlich noch nicht ins Museum geschafft. Aber, „natürlich bin ich zufrieden“, sagt er. Er habe ja „die Idee gebracht“, 2012 oder 2013 sei das gewesen. „Jetzt ist es Wirklichkeit – wie kann ich nicht zufrieden sein?“ Augenhöhe: Die Frage stelle sich gar nicht, findet Chief Awolola: „Afrika ist kolonialisiert worden und Afrikaner Hunderte Jahre versklavt“, sagt er. „Wir können nicht von heute auf morgen auf Augenhöhe sein, wie soll das gehen?“ Man müsse doch erst mal lernen, „auf eigenen Beinen zu stehen“.

Virginie Kamche klingt weniger affirmativ. „Ich habe das Gefühl“, sagt die Gründerin des Afrika-Netzwerks Bremen, „die Mehrheitsgesellschaft will den Dialog, aber nach ihren Regeln und ohne uns richtig mit einzubeziehen.“

Gut findet sie hingegen, dass man mitten in der Ausstellung prominent eine Rassismus-Definition aufgehängt hat. Rassismus sei nämlich „ein Thema, das uns wirklich betrifft“, sagt sie. „Dass sie das dort dargestellt haben, ist für mich ein positives Zeichen: Sie beschäftigen sich wirklich damit.“ Aber einen Schritt weiter könnte diese Beschäftigung dann doch gehen. „Ich weiß ja, das ist ein Prozess“, sagt Kamche. „Das dauert lange, bis man akzeptiert hat, dass wir Menschen mit globaler Identität auch Kompetenzen haben.“ Ein geeigneter Ausdruck dafür fiele ihr schon auch ein: „Sie könnten zum Beispiel auch zum Personal des Museums gehören.“

Wiebke Ahrndt sagt: „Wir stellen uns unserer Verantwortung“ und das stimmt auch und verdient Respekt. Denn je größer die Schuld ist, desto schwerer fällt es, mit der Einsicht in sie umzugehen. Aber jetzt, hier oben im zweiten Stock, ist wenigstens in Angriff genommen worden, dieses Erbe zu bearbeiten, das sich aus einem Verbrechen speist, einem Menschheitsverbrechen, ohne ganz in ihm aufzugehen.

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