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Geschichte einer KZ-GedenkstätteErinnerungspolitik in Buchenwald

Nach der Befreiung von Buchenwald versuchte erst die DDR und dann die BRD dessen Geschichte zu instrumentalisieren. Davon profitiert die AfD.

Am 11. April 2020 jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald zum 75. Mal Foto: Martin Schutt/zb/dpa

Jede Gedenkveranstaltung ist ein politischer Akt. Hinter den scheinbar immer gleichen Sonntagsreden verbergen sich konkrete politische Absichten. Das zeigte sich etwa in Israel anlässlich des 75. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz am 27. Januar: Der Historiker Zeev Sternhell, selbst ein Überlebender des Holocaust, nahm kein Blatt vor den Mund, als er am 31. Januar in der Tageszeitung Haaretz die „zynische Verbindung“ der Gedenkfeier in Yad Vashem mit der Verkündung des Trump-Plans für Palästina verurteilte.

Ein weiterer Gedenkakt – zum 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald am 11. April 1945 – sollte eigentlich am 5. April in Weimar stattfinden, musste aber wegen der Corona-Epidemie abgesagt werden. Am Ende des Zweiten Weltkriegs war Buchenwald das größte Konzentrationslager im Deutschen Reich. Zwischen dem 15. Juli 1937 und dem 11. April 1945 – als US-Truppen auf das Lager stießen – wurden hier mindestens 56 000 Menschen (die genaue Zahl ist nicht mehr rekonstruierbar) umgebracht.

Die Gedenkstätte liegt in Thüringen, wo die AfD bei den letzten Landtagswahlen mit 23,4 Prozent der Stimmen, nach der Linken mit 31 Prozent, zweitstärkste Partei wurde. Immer häufiger tauchen in Buchenwald, aber auch in den Gedenkstätten Dachau, Sachsenhausen oder Ravensbrück AfD-Mitglieder auf, um in provozierenden Äußerungen den Holocaust zu leugnen. Am 23. Januar dieses Jahres sagte der Direktor der Buchenwald-Gedenkstätte Volkhard Knigge dem Spiegel, er sehe darin „ein ernst zu nehmendes Indiz, dass etwas wegbricht an Geschichtsbewusstsein“.

Zweifellos. Aber hat womöglich auch die Neuschreibung der Geschichte des antifaschistischen Widerstands nach dem Fall der Mauer ungewollt zu diesem „Wegbrechen“ beigetragen?

Strom nach Buchenwald

Buchenwald auf dem Ettersberg bei Weimar war eines der ersten KZs, die wie kleine und quasi autarke „Städte des Terrors“ angelegt wurden. Am 15. Juli 1937 kamen die ersten von den Nazis politisch Verfolgten an. Anderthalb Monate später waren schon 2.400 Männer in dem Lager gefangen. Nach der Pogromnacht vom 9. November 1938 kamen fast 10.000 Juden hinzu, außerdem Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, Homosexuelle und Kriminelle; und schließlich all jene, die das NS-Regime als „Asoziale“ bezeichnete.

Ein Herrschaftsinstrument der SS war der Einsatz von Gefangenen als Aufseher (Kapo-System). Ende 1938 waren in Buchenwald von 11.000 Insassen 500 Kapos, ab 1942 saßen die „Politischen“ an strategisch wichtigen Positionen in der internen Lagerverwaltung: Sie teilten ihre Mitgefangenen in Arbeitskommandos ein und stellten die Transporte für Vernichtungslager wie Dora oder Auschwitz zusammen. Nach Kriegsbeginn kamen Widerstandskämpfer aus allen von den Deutschen besetzten Ländern Europas nach Buchenwald, darunter fast 26.000 Franzosen, und – nach dem Überfall auf die UdSSR im Juni 1941 – zehntausende Sowjetsoldaten.

Ab Herbst 1944 wurden wegen des Vormarschs der Roten Armee die Vernichtungslager im Osten evakuiert. Tausende Überlebende der Todesmärsche strömten nach Buchenwald. Im Februar 1945 befanden sich im Stammlager und seinen 88 Außenlagern 112.000 Menschen, das Stammlager war anfangs für 6.000 Insassen konzipiert worden. Als die US-Armee die Kontrolle übernahm, fand sie 21.000 Überlebende vor. An der Spitze des Widerstands im Lager standen die deutschen politischen Gefangenen, in der Mehrheit Kommunisten, die die letzten SS-Männer an die Amerikaner übergaben.

Doch auf den Zweiten Weltkrieg folgte sogleich der Kalte Krieg: Im Oktober 1946 erschien das Pamphlet „Communist Atrocities At Buchenwald“ des US-Soldaten und Historikers Donald Robinson. 1947 folgte die deutsche Übersetzung, die vom Buchenwald-Komitee ehemaliger Häftlinge als „infame Verleumdung der gesamten antifaschistischen Widerstandsbewegung“ im Lager gebrandmarkt wurde.

Gedenkstätte wird zum Tempel

Zum Standardwerk wurde hingegen das ebenfalls 1946 erschienene Buch „Der SS-Staat“ des Buchenwald-Überlebenden Eugen Kogon (1903–1987). Der Soziologe leugnete konfliktreiche Beziehungen zwischen den Häftlingen nicht, erklärte aber, dass es vor allem die deutschen politischen Gefangenen waren, die für eine gewisse Ordnung sorgten.

In Ostdeutschland bezog die im Oktober 1949 gegründete Deutsche Demokratische Republik ihre Legitimation aus dem antifaschistischen Kampf. Die Heimkehrer aus dem sowjetischen Exil verbreiteten die Heldengeschichte des Widerstands gegen die Faschisten und erklärten sich zu seinen Erben. Der Antifaschismus wurde zur Staatsreligion und die 1958 eingeweihte Gedenkstätte Buchenwald zu ihrem Tempel.

Le Monde diplomatique

Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe von Le Monde diplomatique, der großen Monatszeitung für internationale Politik. LMd gibt es jeden Monat neu gedruckt und digital sowie zum Anhören. Das komplette Inhaltsverzeichnis der neuesten Ausgabe kann man hier nachlesen: www.monde-diplomatique.de/zeitung.

Jedes Jahr wurde feierlich an den „Schwur von Buchenwald“ erinnert, in dem sich die Überlebenden am 19. April 1945 verpflichtet hatten, für Frieden und Freiheit zu kämpfen. Offiziell wurden sie als Helden gefeiert, aber von der Macht ferngehalten, wenn sie nicht sogar Opfer der stalinistischen Säuberungen wurden.

1958 erschien in der DDR der Roman von Bruno Apitz „Nackt unter Wölfen“, der in dreißig Sprachen übersetzt ein Welterfolg wurde. Der Autor, selbst ein Überlebender von Buchenwald, erzählt darin die Geschichte eines jüdischen polnischen Jungen, der von politischen Gefangenen versteckt und gerettet wird.

Die Verfilmung von Frank Beyer, an den historischen Schauplätzen gedreht und mit mehreren Schauspielern und Statisten, die wie Apitz das KZ überlebt hatten, bekam 1963 auf dem Internationalen Filmfestival Moskau den Sonder-Silberpreis für die beste Regie. In Moskau erkannte ein Zuschauer die Geschichte seines Neffen Stefan Jerzy Zweig, der bisher nur als „Kind von Buchenwald“ bekannt war.

Der Roman von Bruno Apitz, in dem die Rettung des Kindes symbolisch für den Humanismus der Kommunisten in den Konzentrationslagern steht, wurde in der DDR zum Nationalepos, die Fiktion überschrieb die wahre Geschichte. Das Museum in der Gedenkstätte ließ sich von dem Buch inspirieren und würdigte die Aktion der Kommunisten.

Eine Religion, auch eine säkulare, mag keine Widersprüche. Die Frage der Beziehungen zwischen den politischen Gefangenen und der SS sowie der Gefangenen untereinander kam im ostdeutschen Narrativ nicht vor. Diese „Grauzone“, über die laut einem Diktum des Auschwitz-Überlebenden Primo Levi („Ist das ein Mensch?“, 1947) kein menschliches Gericht urteilen dürfe, sollte erst im wiedervereinigten Deutschland ihre Richter finden.

Gleichsetzung von Kommunisten und Faschisten

Nach dem Ende des Kalten Kriegs wurde die Gedenkstätte Buchenwald eiligst umgestaltet. Eine der ersten Ini­tiativen war die Wiederentdeckung des Speziallagers Nr. 2, in dem auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) direkt nach dem Krieg 28.000 NS-Kader, aber auch Denunzierte interniert worden waren, von denen zwischen August 1945 und Februar 1950 ein Viertel durch die katastrophalen Haftbedingungen starben.

1999 eröffnete die Landesregierung eine „überarbeitete und korrigierte“ Ausstellung. Unter dem neuen Direktor Volkhard Knigge, einem westdeutschen Historiker, wurden die Kommunisten zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, verschwanden aber als soziale Gruppe ebenso wie die Gedenktafel zur Rettung von Stefan Jerzy Zweig, einem der Jüngsten von 904 Kindern und Jugendlichen, die am 11. April 1945 noch am Leben waren – dank des Einsatzes der politischen Gefangenen.

Nach der Wiedervereinigung verfasste ein Kollektiv von Historikern ein Werk, das den „Mythos des Antifaschismus“ demontieren sollte. In „Der gesäuberte Antifaschismus“ entwickelten sie die These, die „roten Kapos“ hätten auf Kosten der anderen überlebt und seien nur untereinander solidarisch gewesen. Die Boulevardpresse stürzte sich auf die offenen Fragen in der Geschichte des „Kindes von Buchenwald“ und der „roten Kapos“, die sie kurzerhand zu Kollaborateuren der SS erklärte.

Die Gleichsetzung von Kommunisten und Faschisten weckte in vielen das Gefühl, vom ostdeutschen Diskurs getäuscht worden zu sein; die im westdeutschen „Historikerstreit“ schon widerlegte These von Ernst Nolte, der behauptet hatte, die NS-Vernichtungslager seien zur Verteidigung gegen den Bolschewismus errichtet worden (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. Juni 1986), gewann wieder an Boden.

Wasser auf den Mühlen der AfD

In dem Roman „Les Jours de notre mort“(1947) hat der französische Überlebende David Rousset beschrieben, mit welchen Situationen die politischen Gefangenen täglich konfrontiert waren und unter welch extremen Umständen sie Entscheidungen treffen mussten. Stéphane Hessel, Imre Kertész und Jorge Semprun haben darüber geschrieben, dass sie auf gleiche Weise gerettet wurden wie Stefan Jerzy Zweig, dessen Name von den „roten Kapos“ auf einer Deportationsliste durch einen anderen ersetzt worden war. Der Roman von Rousset wurde bis heute nicht ins Deutsche übersetzt; seine Darstellung „Das KZ-Universum“ aus dem Jahr 1946 erschien erst Anfang 2020 auf Deutsch.

Die auf dem Konzept des Totalitarismus beruhende Ansatz zur Interpretation der Geschichte der DDR verleitet dazu, das kommunistische System und das Naziregime gleichzusetzen. Die Erinnerungspolitik, die vor allem von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gefördert wird, bestätigt, dass der Antikommunismus die Staatsreligion der BRD geblieben ist, wie es für die DDR der Antifaschismus war.

Dieser Ansatz ist Wasser auf die Mühlen der AfD, diesem auf den Ruinen der DDR erstarkten Produkt von Rechtsextremen aus der alten Bundesrepublik. Die AfD bedient sich der dämonisierenden Darstellung der ostdeutschen Erfahrung und nährt damit die Ressentiments von Teilen der ostdeutschen Bevölkerung, die sich auf die Rolle von Opfern des kommunistischen Regimes oder von Kollaborateuren einer Diktatur reduziert sehen. Langfristig kann man den Holocaust-Leugnern aber nur mit einer vollständigen und differenzierten Darstellung der Tatsachen das Wasser abgraben.

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

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6 Kommentare

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  • Helden mag es gegeben haben, das ist gut, der Fokus muss aber immer bei den Opfern bleiben. Wenn manche der Opfer auch schuldig geworden sein mögen, dann darf man das natürlich nicht verschweigen, sonst macht man sich nicht nur angreifbar, sondern beteiligt sich implizit auch noch an einer Verharmlosung des Leids. Auch wenn manche bereit waren, sich zu opfern, die Mehrzahl hat oder hätte natürlich vieles getan, um zu überleben, und das ist das, was auch die meisten von uns tun würden. Weil wir gar nicht anders könnten. Indem wir Helden suchen suggerieren wir uns unseren eigenen Heroismus und täuschen uns darüber hinweg, dass wir überwiegend für einen Teller Suppe sehr viel tun würden. Das ist kein Makel, so wenig wie es für die Millionen kein Makel ist, die nur Opfer waren.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Lesen kann ich zwar, finden kann ich den Hintersinn Ihres Kommentars nicht so recht.

      • @Pink:

        Hintersinn braucht es gar nicht. Ich wollte zum Ausdruck bringen dass jede Instrumentalisierung von Opfern, jede Bevorzugung von Opfergruppen grundsätzlich schlecht ist. Und zwar nicht nur weil davon Rechte profitieren könnten, sondern vor allem aus den Gründen, dass man erstens den Opfern Unrecht tut und zweitens sich selber täuscht. Zum Beispiel in Bezug auf die eigene Fähigkeit selber Würde und Hilfsbereitschaft zu bewahren. Wer mit den Opfern sein will muss auch deren Ausgeliefertsein sehen und prinzipiell auch das eigene potentielle Ausgeliefertsein. Wir möchten ja so gerne Herr über uns, unser Leben, unsere Geschichte sein, dass wir denen überhaupt nicht nahekommen können, denen dies genommen wurde. Man sollte nicht zu oft an die Helden denken, das tut nicht gut, das entfremdet von sich selber. Man sollte eher an die denken, die die Schuldgefühle des Überlebens getragen haben oder an deren Kinder, die dabei zusehen mussten.



        Letztendlich ist einfach jede einseitige Erinnerungskultur nicht nur angreifbar sondern grundfalsch. Die im Osten propagierte Verehrung der kommunistischen Widerstands ist genauso falsch wie die im Westen betriebene Verehrung der Attentäter vom 20. Juli. Dabei ist nicht so entscheidend welche Präferenzen man hat, sondern dass man welche hat.

        • @Benedikt Bräutigam:

          Sry, erst heute gelesen.



          Fast Opfer eines Kraftfahrzeugs gewesen. In diesen Zeiten interessiert das nur im Todesfall. Und wenn ja, hätte es geheißen, Corona war unschuldig.



          Danke für Ihre Antwort.

  • Glückwunsch TAZ, das einzige Medium Deutschlands, das nicht Covid9 als Aufmacher hat.

    • @Münchner:

      Ja ! Danke !