: Wer braucht die Rote Flora?
Am 1. 11. 1989 wurde die Rote Flora besetzt. 30 Jahre später sind die Rufe nach einer Schließung gerade wieder verstummt, Hamburg lässt die Aktivist*innen gewähren. Doch hat die Flora überhaupt noch einen Sinn? 43–45
Von Katharina Schipkowski
Der langjährige Aktivist und Flora-Sprecher Andreas Blechschmidt wählte im taz-Interview einen interessanten Vergleich: „Die Flora ist für den Senat wie Scheiße am Schuh“, sagte er. „Sie geht einfach nicht weg.“ Letzteres ist unbestritten seit nunmehr 30 Jahren.
Aber wie sehr ist die Flora heute noch Scheiße am Schuh des Senats? Es gab Zeiten, da wollte der Senat dringend, dass die Flora verschwindet, und andere, da interessierte sie ihn gar nicht. Und wieder andere, wo er vielleicht überlegte, aus Scheiße Gold zu machen. Unfreiwillig ist das Kulturzentrum schließlich auch ein Tourismus-Magnet geworden, es hat seinen Platz im Stadtmarketing. Die Flora selbst reagiert auf die unterschiedlichen Stimmungslagen ihr gegenüber ziemlich konstant: mit gleichgültiger Gelassenheit.
„Es ist uns egal, wem wir auf dem Papier gehören“, kommuniziert das Flora-Plenum immer nach außen. Auch als die stadteigene Lawaetz-Stiftung die Immobilie in Premium-Schanzenviertellage im Jahr 2014 kaufte und die Situation damit auf absehbare Zeit befriedete, schien es die Besetzer*innen nicht sonderlich zu interessieren. Sie haben schließlich die Schlüssel, einen Mietvertrag gab es nie und gibt es immer noch nicht. „Ebenso gut könnte man die Elbe oder das schlechte Wetter verkaufen“, schrieben die Autonomen 2009, als die Stimmung sich mal wieder gegen sie gewandt hatte. Heute blicken sie zurück auf 30 Jahre völlige Autonomie – das ist, verglichen mit anderen Besetzungen in Deutschland, ziemlich einmalig.
Aber wie wirkt die Flora heute noch in die Gesellschaft hinein? Der Kampf gegen die Gentrifizierung des Schanzenviertels, aus dem heraus das Projekt entstand, ist längst verloren. So hat sich mit den Jahren auch die politische Agenda der Florist*innen verändert. Der Output aber ist immer noch hoch: Über Lesungen und Diskussionsveranstaltungen zum Umgang mit der AfD, Neonazis in der DDR, feministische Elternschaft, Antisemitismus von links oder Brasilien unter Bolsonaro – die Flora ist nach wie vor ein wichtiger Ort für linke Debatten.
Es gibt nicht viele Orte, wo junge Menschen sich ausprobieren können. Wo sie Verantwortung übernehmen und mitgestalten können, oder auch einfach nur sein können, ohne anzuecken. Die Flora ist noch immer ein Ort der Gegenkultur, weil Leistungszwang und Ellbogenmentalität dort ebenso wenig hinpassen wie ökonomische Effizienz, Konsumzwang oder Verwertungsdruck. In dem Sinne leben ihre Nutzer*innen dort schon einen anderen Gesellschaftsentwurf. Auch wenn das fast zu romantisch klingt für das harte Autonomen-Image, dass die Florist*innen – gewollt oder ungewollt – nach außen vermitteln.
Als bekanntestes autonomes Zentrum Deutschlands ist die Rote Flora zwar immer auch Anziehungspunkt für stumpfe Militanz und Krawalltourismus, aber davon hat sie sich in den vergangenen Jahren immer wieder klar distanziert. Gleichzeitig nutzen Konservative bis rechte Politiker*innen sie als Projektionsfläche für allerlei Übel. Wenn ein gerade amtierender Innenminister aus Bayern Richtung Schulterblatt hetzt, juckt das die Rotflorist*innen allerdings genauso wenig wie wenn ihr Eintrag im Grundbuchamt mal wieder verändert wird. Das über hundert Jahre alte Gebäude wirkt wie ein Fels im Schaum der politischen Stimmungsmache.
Diese Konstanz ist auch als Kompliment des Projekts an sich selbst zu verstehen. Aus vielen linken Zusammenhängen verschwinden die Leute, wenn sie feste Lohnarbeitsverhältnisse eingehen oder Kinder bekommen. Der Flora aber bleiben viele treu.
Alles Gute, alter Kasten, und auf weitere Jahrzehnte!
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