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Eine kapitalistische FalleSchneesturm gegen Mietendeckel

Privilegierte Leute in Berlin sorgen sich. Denn sie können nicht mehr mit Hilfe von hohen Mieten Altersvorsorge betreiben.

Was ist Berlin? Proletarier-Platte oder Erben-Altbau? Foto: dpa

N ur eine Gesellschaft, die offen über Kapital spricht, statt dieses zu verheimlichen, kann Ressourcen gerecht umverteilen. Aber auch in der Linken geben Leute ungern zu, wenn sie Immobilien oder viel Geld besitzen. Reich sein will niemand. Die Reichen, das sind die Unsympathischen. Man schämt sich. Was Reiche jedoch so unbeliebt macht, ist nicht zuerst ihr Geld, sondern ihr Habitus und die Art, wie sie ihren Besitz erhalten: auf dem Nacken der Armen und Marginalisierten.

Dieser Tage sind Eigentumswohnungen zum Hot Topic geworden. Twitter stand kurz in Flammen, ausgelöst durch die Kritik einer taz-Kollegin am Berliner Mietendeckel. Während sich gefühlt die ganze Welt (zumindest meine) auf ein Gesetz für bezahlbaren Wohnraum in Berlin und somit auf eine „Geile Zeit“ (wie der Song von Juli) freute, outete sich die Kollegin als Gegnerin des Senatsbeschlusses. Viele ihrer Freund_innen lebten in ihren Eigentumswohnungen, die später mal zur Altersvorsorge werden sollten, führte sie an.

Nun könnte genau dieser Gruppe der Mietendeckel herzlich egal sein, schließlich zahlt sie ja keine Miete – und in den nächsten fünf Jahren, in denen der Mietendeckel gilt, werden die Anfangdreißigjährigen kaum in Rente gehen. Zumal auch mit Mietendeckel die Vermieter_innen keinen Verlust, sondern bloß weniger Gewinn machen würden.

Neben viel berechtigter Widerrede gab es für die Kollegin leider auch hässliche Drohungen, die man niemandem wünscht, auch keiner Person, die statt für gemeinschaftliche Lösungen lieber auf Individuelle setzt.

Das Problem an ihrer Argumentation ist nicht, dass sie eine Eigentumswohnung besitzt. Damit befindet sie sich zwar auf der privilegierteren Seite des Wohnungsmarktes, doch das sei ihr gegönnt. Wohlwollend gehe ich mal davon aus, dass sie dafür keine Arbeiter_innenfamilie oder WG rausgekickt hat, sondern dass die Wohnung einfach leer stand.

Das Problem an ihrer Argumentation ist nicht, dass sie in einer Eigentumswohnung lebt. Damit befindet sie sich zwar auf der privilegierteren Seite des Wohnungsmarktes, doch das sei ihr gegönnt

Doch all das ändert nichts an der Tatsache, dass ihre Argumentation in eine kapitalistische Falle lockt. Die meisten Leute, die ich kenne, werden sich nie eine Eigentumswohnung leisten können. Viele von ihnen haben nicht einmal einen richtigen Mietvertrag, sondern wohnen prekär zur Untermiete. Diese Leute würden sicher auch gern was für ihre Altersvorsorge tun. Aber sie müssen erst mal Schulden abbezahlen.

Die Verlierer_innen des Wohnungsmarkts waren und bleiben immer sie. Nicht Leute mit Eigentumswohnungen, die erst Teil des Berliner Schneesturms werden und sich dann darüber beschweren, dass man den Leuten nur eine faire Miete abzwacken kann.

Zu akzeptieren, dass man ein paar Euro weniger Profit macht, wäre der erste Schritt in Richtung solidarische Gesellschaft. Den Rest regelt dann Enteignung, inshallah.

Anm. der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, die Kollegin habe im Stadtteil Neukölln eine Wohnung gekauft. Das war ein Irrtum, den wir in Absprache mit der Autor_in korrigiert haben. Die Autor_in sieht die Verdrängung der armen und marginalisierten Bevölkerung als eine Problematik, die alle Stadtteile betrifft, Neukölln ist nur das sichtbarste Beispiel.

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Hengameh Yaghoobifarah
Mitarbeiter_in
Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.
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11 Kommentare

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  • Na denn, viele Grüße aus Habibitusmuckel. Da können sich doch die "Großgrundbesitzer" freuen, die Einkommensmillionäre (die zur Miete wohnen, gibts auch noch), Kirchen, Kapitalgesellschaften, etc..., wenn sich bspw. die Sozialarbeiterin, etwas mühsam abspart um ihre Altersversorge zu verbessern, jetzt zur Ausbeuterin erklärt wird! Oder der gutverdienende Mieter, der sich dann eine viel größere Wohnung leisten kann (und andere verdrängt). Oder die Gentrifizierer, die jetzt in ihren Superwohnungen ihre Miete senken lassen können usw... mal die nicht intendierten Handlungskonsequenzen mitbedenken! Man kann sich fast darauf verlassen, dass sich "Unten" gegenseitig beneidet und zerfleischt..., statt mal über den eigenen Tellerand zu schauen. Wenns den einen schlecht geht, soll es gefälligst allen schlecht gehen?

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Ausbeutung nur bei Migranten? Die arme Version des weißen alten Mannes nicht? Vermutlich nicht, denn die sind ja alle privilegiert. Und falls doch nicht, dann gibt es sicher eine Schuld, die sie auf sich geladen haben. Hallelujah.

  • 7G
    75064 (Profil gelöscht)

    Es gibt sicherlich zwei oder drei maßgebliche Gründe für die stark steigenden Mieten in Berlin und anderen vor allem urbanen Gegenden in Deutschland. Das Modell der privaten Altersvorsorge durch den Erwerb von einzelnen auch nicht selbst bewohnten Immobilien ist sicher keiner davon. Und deshalb ist es mir unverständlich, wieso sich hier ausgerechnet an dieser Gruppe von Immobilienbesitzern abgearbeitet wird.



    Der anonyme Halter von Anteilen an Hedgefonds oder Immobilien-AG's lacht sich derweil ins Fäustchen über die Kämpfe zwischen den "Habenichtsen" und den Einzelvermietern oder ETW-Bewohnern.

  • Ach wie schön ist so ein schwarz-weiß-Weltbild. Wer „reich“ ist, hat automatisch andere ausgenutzt. Ehrlich kann man nicht reich werden.

    Es ist genau dieses Denken, was die Leute davon abhält, etwas zu unternehmen, um reicher zu werden. Weil, wenn ich reich werden würde, dann müsste ich zwangsläufig andere ausgenutzt haben.

    Ich bin mir nicht so sicher, ob sie der Kollegin ihre Eigentumswohnung gönnen – schließlich ist es unwahrscheinlich, dass die vorher leer war. Aber das sei mal dahingestellt.

    „Aber sie müssen erst mal Schulden abbezahlen.“ Warum das? Ich meine, warum habe sie Schulden? In der Regel doch, weil ich bewusst mehr Geld ausgegeben habe als ich hatte.

    Wir kaufen Dinge die wir nicht brauchen,



    von Geld was wir nicht haben,



    um Leute zu beeindrucken,



    die wir eigentlich nicht leiden können.

    Und jetzt zu erklären, weil manche Leute sich keine Eigentumswohnung leisten können, ist das System Schuld und Enteignung wird es richten? Dieser Gedankensprung entzieht sich mir leider. Könnten sie das genauer ausführen?

    • @Gastnutzer 42:

      "Könnten sie das genauer ausführen?"

      Genaugenommen steht's doch bereits im ersten Satz: "Nur eine Gesellschaft, die offen über Kapital spricht, statt dieses zu verheimlichen, kann Ressourcen gerecht umverteilen."

      Die heutige Linke ist nicht mehr daran interessiert Menschen in prekären Verhältnissen zumindest zu einen gewissen Grad an Wohlstand zu verhelfen. Sie will lediglich unter dem Schlagwort "Umverteilung" die Reichen, und alle die sie dafür hält beklauen.

    • @Gastnutzer 42:

      Und in der Tat liegt in ihren Worten mehr Wahrheit als sie denken. Denn diejenigen, die reich wurden, ohne andere ausgenutzt zu haben (und selbst da gibt es Zweifel sind die sehr sehr wenigen die mit weltverändernden Konzepten, Ideen oder Kunst gleichzeitig auch Geschichte geschrieben haben.



      Ein Mittelstandsunternehmer, der wirklich reich wird hat nur entweder



      a) das Glück, das seine Kunden bereit sind, einen völlig abstrusen Preis für sein astronomisch überteuertes Produkt zu bezahlen



      oder



      b) er holt sich den Reichtum irgendwo dazwischen: aus nicht nachhaltigen Produktionsbedingungen, aus der Ausbeutung der Arbeiter*innen, aus mangelhafter Qualität in der Linie, irgendwo muss das Geld, was zu Reichtum führt kommen. Denn freiwillig bekommen es die wenigsten.

      • @Tongo:

        Eine Bekannte von mir hat einen kleinen Laden (ca. 20m², nicht in Berlin) und verkauft BARF Tierfutter.



        Sie hat sich vor der Stadt ein Haus an der Fernverkehrstraße gekauft, was ewig leer stand, weil es in einem Scheiß Zustand war und es keiner haben wollte.



        Sie hat eine Wohnung hergerichtet und vermietet. An Leute die planen irgendwann zu bauen und 'übergangsweise' dort wohnen. Bis heute.



        Sie hat eine zweite Wohnung hergerichtet und diese vermietet.



        Sie hat die dritte Wohnung hergerichtet und ist dort eingezogen.



        Das Haus ist inzwischen abgezahlt.

        So nun hat sie einen Laden und zwei Mietwohnungen. Ist sie jetzt reich? Hat sie jemanden Ausgenutzt? Oder hat sie einfach was UNTERNOMMEN.

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @Gastnutzer 42:

          Na, dann singen wir doch mal eine gemeinsame Eloge auf das freie UNTERNEHMERtum:

          "Schön ist es auf der Welt zu sein,



          sagt der Igel zu dem Stachelschwein,



          und es wird besonders scheen,



          wenn auch ich was unternehm."

          Schönen Gruß an die Bekannte. Und Chapöchen für Ihren erfolgreichen Unternehmergeist.

  • Sehe ich auch so!

  • "Den Rest regelt dann Enteignung, inshallah."

    Würde die Autorin ja heftig für diesen Artikel kritisieren wollen, nehme aber Rücksicht, da sie gestern einen guten Freund verloren hat........

  • Danke, endlich etwas ausgedrückt zu haben, das eigentlich glas-klar ist für alle, die keine reiche Eltern haben.

    Heiner Müller, schon im Jahr 1990: Was ist die Mietgesetzgebung der BRD anders als Klassenkampf?

    Aber ein Notiz zu der Anmerkung, "nur weniger Gewinn machen": meine Erfahrung sagt, dass diese Leute für jeden CENT über Leichen gehen, wenn es ihnen möglich ist. Sie kriegen den Mund nie voll genug.