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Antisemitismusdebatte in DeutschlandPlatz machen, hinhören

Ariane Lemme
Kommentar von Ariane Lemme

Nach dem Terror von Halle fragt sich Deutschland, wie es den Juden hierzulande geht. Wo ist dieses Interesse an ihnen, wenn nichts passiert?

Dass es Zäune vor Synagogen braucht, sollte uns den Magen umdrehen Foto: dpa

G erade wird mal wieder nicht nur über die Juden in Deutschland gesprochen, einige von ihnen kommen sogar selbst zu Wort. Wie immer, wenn etwas passiert ist. Sonst aber fehlt ihre Stimme viel zu oft. Dabei wird es, zum Glück, langsam fast normal, dass Frauen, Ostdeutsche, Migranten eine Stimme haben, die auch gehört wird, dass sie den Diskurs zu egal was mitbestimmen.

Juden fragt man nach ihrer Meinung zum Antisemitismus und zu Israel, ganz gleich, ob sie Deutsche, Franzosen, US-Bürger oder tatsächlich Israelis sind (Hauptsache, sie distanzieren sich von Netanjahu und seiner Regierung oder haben sonst etwas Bequemes zu sagen).

Am liebsten aber sind den meisten sowieso die sechs Millionen Juden, die nicht mehr mit eigenen Ansichten ankommen. An die erinnern wir Deutschen uns gern, sie können nichts mehr fordern, fragen, wollen. Gerade weil sie Opfer waren, die man beweinen kann, rühren sie nicht so unangenehm am eigenen Gewissen. Und sie geben uns, den Deutschen, in einem seltsamen historischen Hütchenspiel die – scheinbare! – Legitimation, heute, geläutert und „wieder gut“, zu wissen, was gut für die Juden ist. Linke Ansichten etwa, und natürlich Polizeischutz vor ihren Synagogen, Schulen, Kindergärten.

Teil des Problems ist, dass sich uns nicht der Magen umdreht angesichts der Tatsache, dass es diesen Schutz überhaupt braucht. Und nicht erst das Attentat in Halle hat gezeigt, wie dringend es ihn braucht, erst zwei Tage zuvor hatte ein Mann mit einem Messer versucht, in die Neue Synagoge in Berlin einzudringen. Damit sich das irgendwann ändert, braucht es nicht weniger Polizeischutz, ganz sicher nicht. Aber es braucht auch nicht: Demos, Lichterketten, gemeinsames Kippa-Tragen.

Schutz vor Synagogen entbindet keine gesellschaftliche Mehrheit von der lästigen Aufgabe, Platz zu schaffen im Kopf und im Herzen für die Ansichten anderer

Es braucht Interesse an jüdischen Stimmen, nicht nur, wenn die Gegenwart mal wieder daran erinnert, dass der Antisemitismus noch nie weg war. Dafür braucht es Platz für Juden auf Podien, auf Zeitungsseiten, Sendeplätzen und am besten auch auf der eigenen Wohnzimmercouch.

Nur wer Freund ist, ist kein Fremder mehr. Damit man zu Freunden wird, braucht es – das haben wir mit den Frauen, Ostdeutschen und Migranten ja auch fast kapiert – echte Auseinandersetzung, kein Beschützen, Bestaunen, Bemitleiden.

Unbequemerweise ist das nichts, was man der Politik überhelfen kann. Die muss tatsächlich mehr Schutz gewährleisten. Aber der entbindet keine gesellschaftliche Mehrheit von der lästigen Aufgabe, Platz zu schaffen im Kopf und im Herzen für die Ansichten anderer, oder davon, sich selbst mal nicht so wichtig zu nehmen.

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Ariane Lemme
Redakteurin
schreibt vor allem zu den Themen Nahost, Antisemitismus, Gesellschaft und Soziales
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2 Kommentare

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  • Ich würde diesen Satz gerne verstehen:

    "Aber der entbindet keine gesellschaftliche Mehrheit von der lästigen Aufgabe, Platz zu schaffen im Kopf und im Herzen für die Ansichten anderer, oder davon, sich selbst mal nicht so wichtig zu nehmen."

    Und ich versuche, ihn zu interpretieren:

    Wir in Deutschland, zumindest die Guten, fragen betroffene Hilfsbedürftige, Verfolgte, Bedrohte oder diskriminierte Menschen in diesem Lande nie, welche Vorstellungen sie darüber haben, dass ihre jeweilige Situation verbessert wird. Wir wissen IMMER alles besser. Und weil wir meinen, dass wir Besserwisser auch gleichzeitig die Guten sind, sind unsere Vorstellungen immer auch gut und richtig. Ganz unabhängig davon, was die Betroffenen meinen.

    Sollte ich das richtig interpretieren, ergibt sich die Frage, wie z.B. Antisemitismus oder Rassismus eingedämmt werden kann. Vielleicht hören wir zunächst einmal auf, in guter Absicht auf hohem Niveau zu diskriminieren. Wieso müssen Menschen immer unterschieden werden in z.B. People of color, Juden, Migrationshintergrund, bildungsferne Schicht, um die wir uns so kümmern müssen, weil sie sich selber nicht um sich kümmern können?

    Ich vermute, dass die Kategorisierung Folge einer Gesellschaft ist, die ständig Ungleichheit produziert. Und Ungleichheit fördert geradezu die Suche nach Schuldigen einerseits und nach Opfern andererseits. Nicht selten sind die Opfer auch vermeintlich Schuldige.

    Wenn alle Menschen gleich sind, dann müssen alle Menschen auch ausschließlich als Mensch betrachtet werden und nicht als z.B. Jude oder People of color. Eigentlich müsste das so normal sein wie die Selbstverständlichkeit, nicht töten zu dürfen. Und wer dagegen verstößt, müsste hart bestraft werden, denn die Kategorisierung ist Entmenschlichung.

    Solange diese Gesellschaft Ungleichheit produziert, wird das Problem kaum lösbar sein.

  • Ich gebe offen zu: Ich habe Vorurteile bei Juden... und zwar positive: Die Juden, die ich bisher in Amerika und Europa kennengelernt habe waren allesamt anständig, gebildet, aufgeschlossen, kultiviert, weltoffen, grosszügig und extrem menschenfreundlich gesinnt. Israel habe ich bisher noch nicht besucht. Als Christ sehe ich Juden ohnehin als sozusagen "ältere Geschwister" im Glauben an denselben Gott der Bibel. Ich habe deshalb kaum Zweifel, dass eine grosse Mehrheit der Juden weltweit ähnlich gestrickt sind und diese meine Vorurteile bestätigen würden.