Alte Musik Fest Friedenau: Immer wieder frisch gemacht
Es muss nicht stets die Klassik im Konzertsaal sein. Da gibt es musikalisch viel mehr in der Vergangenheit zu entdecken. Zum Beispiel in Friedenau.
Es könnte ja wirklich sein, dass man Musik anders hört, wenn man keine Kartoffeln isst. Vielleicht hört man manche Musik dann sogar irgendwie – nun ja – „richtiger“.
Wenn man zum Beispiel ein Werk von Guillaume Dufay nimmt. Der komponierte seine Musik schon deswegen komplett kartoffellos, weil er diese Knolle noch gar nicht kennen konnte. Die nämlich war in seiner Zeit noch gar nicht entdeckt wie überhaupt dieses Amerika, wo die Kartoffel nun mal herkommt. Dufay, ein franko-flämischer Komponist der Frührenaissance. Wer will, darf seine Musik aber gern in Dufay gleichermaßen unbekannten Jeans hören – und wird auch so Gefallen an ihr finden.
Es gibt eben nicht den einen und damit „richtigen“ Zugang zu Musik, auch nicht zu der, die unter dem Stichwort Alte Musik gesammelt wird. Gemeint ist damit die europäische Musik des Mittelalters, der Renaissance und des Barocks. Also grob gesagt, alles vom gregorianischen Gesang bis Bach ist da zu hören. Und Alte Musik zu spielen ist natürlich immer ein Versuch darüber, wie diese Musik früherer Epochen geklungen haben könnte. Man weiß ja nicht, es gibt nun mal keinerlei Tonaufzeichnungen.
So mag man sich bei der Rekonstruktion von alten Werken musikarchäologisch eben bis hinein in Kleidungs- und alle sonstigen die Zeit betreffenden Fragen beschäftigen. Eine Vergangenheit, in der man sich verlieren kann. Und Geschichte, in der man nach Bezügen zu unserer Gegenwart suchen kann – oder die mit der zwischendurch fast vergessenen Musik aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.
Grenzen und Konventionen sprengen
An der Universität der Künste (UdK) kann man das auch studieren. Alte Musik: Den Reiz daran erklärt Mirjam Münzel mit der Beschäftigung mit den alten Instrumenten und überhaupt mit der Andersartigkeit im Vergleich zum üblichen klassischen und romantischen Repertoire, der andere Klang, dass man es nur mit natürlichen Materialien zu tun habe. Holz, Darmsaiten … das mache das Musikerlebnis, sagt die Barockcellistin und Blockflötistin „so hautnah“.
Zusammen mit anderen Studierenden des Instituts für Alte Musik an der UdK hat sie ein Festival eingerichtet, Alte Musik Fest Friedenau, das sich gleich im Titel gar nicht mit einer wohltemperierten Betulichkeit aufhalten will. „Rebellion“ heißt es hier, mit einem Ausrufezeichen. Vorgestellt werden soll eben auch Musik, die die Grenzen und Konventionen ihrer Zeit sprengte. Etwa die als Mann verkleidete Frau in „The Punk’s Delight“, mit der Rebellion! am Sonntag im Kammermusiksaal Friedenau startet. In dieser neuen elisabethanischen Masque – ein Maskenspiel – raucht die noch dazu Tabak. Ein rebellischer Akt. Weil das ging eigentlich gar nicht damals, rauchende Frauen.
Und an eine musikalische Karriere für Frauen war genauso wenig gedacht. Manche haben dennoch komponiert, im Programm mit dem Titel „Italienische Invasion!“ ist das am 26. Oktober mit italienischen und französischen Komponistinnen der Barockzeit zu hören.
Und weil es bei dem Alte-Musik-Fest viel um musikalische Verläufe geht und Bezugnahmen, hat man hier etwas grenzüberschreitend die Alte Musik gleich noch zur Klassik hin erweitert und Beethoven einen Platz eingeräumt im Programm des bis 30. Oktober dauernden Fests.
Alte Musik Informationen zu Alter Musik in Berlin gibt es zum Beispiel auf www.alte-musik-berlin.de. Im dortigen Konzertkalender sind auch die Termine von „Rebellion!“ notiert, dem Alte Musik Fest Friedenau. Das Festival von und mit Studierenden des Instituts für Alte Musik der UdK vom 20. bis 30. Oktober findet im Kammermusiksaal Friedenau, Isoldestraße 9, und anderen Orten statt, teilweise ist der Eintritt frei.
Neue Musik Beim Cembalo werden die Saiten gezupft und nicht mit einem Hämmerchen angeschlagen wie beim modernen Klavier, das das Cembalo letztlich verdrängt hat. Ganz verschwunden aber ist das Alte-Musik-Tasteninstrument nie, es hat sogar mit seinem besonderen Klang einen Platz in der Neuen Musik. Avancierte Kompositionen für „Cembalo und andere Tasten“ unter anderem von Luc Ferrari und Iannis Xenakis sind nächstes Wochenende in der Akademie der Künste am Hanseatenweg zu hören, am Freitag, 25., und Samstag, 26. Oktober. (tm)
Fortdauernder Reiz der Alten Musik
Um die Bedeutung und den fortdauernden Reiz der Alten Musik herauszustellen, unternehmen MusikerInnen und Ensembles dabei auch gern noch weit größere Zeitsprünge und suchen nach möglichen Beziehungen zwischen Alter Musik und der Moderne. Wie etwa die Lautten Compagney Berlin, die in diesem Jahr das 35-jährige Bestehen feiert und in ihrem neuen, gerade auch auf CD erschienenen Programm „Cirle Line“ die Renaissancemusik des anfangs erwähnten Guillaume Dufay mit der Minimal Music von Philip Glass und Steve Reich kontrastiert.
Und dann ist es auch noch so, dass das Alte und scheinbar Obsolete einfach weiterwirkt. Das Cembalo zum Beispiel, ein Leitinstrument der Alten Musik, das seine Blütezeit vom 15. bis ins 18. Jahrhundert hatte, bis es vom Klavier aus den Wohnstuben und von den Konzertbühnen verdrängt wurde. Aber eben nicht ganz.
Was es da für Kompositionen in der avancierten zeitgenössischen Musik für dieses Tasteninstrument gibt, ist nächstes Wochenende in der Akademie der Künste am Hanseatenweg bei einem zweitägigen Programm zu hören, unter anderem mit Arbeiten von Iannis Xenakis und György Ligeti für das Cembalo. Neue Musik für ein altes Instrument.
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