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Behörden und RechtsextremismusDoppelt blinder Fleck

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Nach dem Anschlag von Halle ermittelten Journalisten schneller als die Behörden. Sind die hilflos oder ignorant, wenn es um rechten Terror geht?

Blumen und Kerzen stehen neben einer Mauer der Synagoge in Halle Foto: dpa

J ournalisten waren schneller als die Polizei, und dafür mussten sie sich noch nicht mal besonders beeilen: In der Sendung Frontal21 strahlte das ZDF am Dienstag ein Interview mit einem Letten aus, der bis vergangene Woche ein Internetforum mit rechtsextremen Inhalten betrieb. In diesem Forum war auch der Halle-Attentäter Stephan B. aktiv.

Der Täter hatte seine Tat dort angekündigt und auf den Livestream des Attentats verlinkt. Die Polizei, so der Lette, interessierte sich dennoch nicht sonderlich für das Forum. Ermittlungsbehörden hätten sich bis zum Zeitpunkt des Interview noch nicht bei ihm gemeldet. Das Forum, die Posts des Attentäters und alle dessen Daten habe er zwei Tage nach dem Anschlag selbst gelöscht.

Blöd gelaufen: Hätten die Ermittler rechtzeitig in Riga angerufen, hätten sie möglicherweise Spuren des Attentäters sichern können, die jetzt verloren sind. Gleichzeitig hätten sie dafür gesorgt, dass seine Posts nicht mehr öffentlich abrufbar sind – aus Respekt vor den Opfern und zum Schutz vor Nachahmern. Dass sie den Anruf unterlassen haben, ist kein Zufall. Die Boards und Foren der rechtsextremen Onlinesubkultur mit ihren Bildchen, Witzchen und Hassparolen sind für die Sicherheitsbehörden eben ein blinder Fleck. Genaugenommen: ein doppelter blinder Fleck.

Dass die Behörden die Gefahr rechtsextremer Gewalt unterschätzen, galt lange als linke Paranoia. Nach Halle scheint aber sogar bei den Verantwortlichen angekommen sein, dass an den Warnungen etwas dran war. Selbst das BKA fragt sich mittlerweile, warum es zwar hunderte islamistische Gefährder auf dem Schirm hat, aber nur ein paar Dutzend rechtsextreme.

Einfacher in der Kneipe

Ganz abwegig ist es da nicht, zu vermuten, dass sich die Ermittler einem islamistischen Forum nach einem islamistischen Anschlag schneller gewidmet hätten als einem rechts­ex­tremen Forum nach dem Halle-Anschlag.

Dazu kommt, dass die Behörden bestimmte Bereiche des Internets offenbar weniger stark im Blick haben als analoge Räume. Hätte sich Stephan B. nicht online radikalisiert, sondern in einer Kneipe, hätte er dort seine Tat per Aushang angekündigt und Bauanleitungen für Waffen verteilt – schwer vorstellbar, dass die Polizei den Wirt nicht früher oder später aufgesucht hätte.

Wenn ein Nazi in seiner Stammkneipe prahlt, schauen die Beamten selbstverständlich vorbei

Als im Juli im hessischen Wächtersbach ein Rechtsextremer aus rassistischen Motiven einen Mann anschoss und in seiner Stammkneipe damit prahlte, schauten die Beamten selbstverständlich dort vorbei.

Doch nach Halle könnte etwas passieren. Der Verfassungsschutz spricht nun von internationalen Netzwerken, in denen sich neue Tätertypen herausbilden. Meint man es sehr gut mit Innenminister Seehofer, dann kann man ihm unterstellen, dass er mit seiner pauschalen Schelte gegen Gamer eigentlich das Richtige meinte – dass nämlich seine Leute diese rechtsextremen Plattformen, Boards und Unterforen genauer anschauen müssen.

Zu spät, ganz nah

Zu spät kommt das alles trotzdem. Die Attentäter von Christchurch, Poway und El Paso stammten offenbar aus einem ähnlichen Onlinemilieu wie Stephan B.

Und auch in Deutschland gab es einen Vorgänger: David Sonboly, der Jugendliche, der 2016 im Münchner Olympiaeinkaufszentren aus rassistischen Motiven neun Menschen tötete. Radikalisiert hatte auch er sich im Internet im Umfeld rechtsextremer Gamer. Lange wehrten sich Teile von Politik und Sicherheitsbehörden dagegen, den politischen Charakter der Tat anzuerkennen. Die Chance, Konsequenzen zu ziehen, haben sie so verpasst. In Halle hat sich das gerächt.

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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1 Kommentar

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  • Pannen bei der Ermittlung können geschehen. Doch in diesem Fall sieht das anders aus. Mord ist ein Kapitaldelikt, da sind alle Informationen im Umfeld wichtig. Wenn ein Informant, also der Lette, dazu beitragen kann, die Motivation des Täters besser zu verstehen wobei auch Bekannte und seinen nur welche aus dem Internet offenbar werden, dann sollten die zumindest archiviert werden. Sie ungeprüft abzulehnen grenzt an Strafvereitelung. Doch den Eindruck musste man sofort gewinnen. In anderen Bundesländern stehen dauerhaft Polizeifahrzeuge vor Synagogen. In Halle sollte nur unregelmäßig bestreift werden. Das Objekt war aber als solches als bedroht bekannt. Im Rettungsdienst gibt es Vorgaben, nach wie vielen Minuten Hilfe vor Ort sein muss. Die Synagoge liegt nun sehr zentral. Ob es nun zehn oder 16 Minuten waren, die Polizei war grenzwertig langsam. Doch anscheinend wurde dann keine Verstärkung angefordert. Obwohl es Kontakt zu Täter gab, konnte der fliehen. Angesichts der Schredder-Aktionen zum NSU hat das ein Geschmäckle. Es passt zu den Ausführungen eines Rechtsanwaltes, der tödliche Schüsse auf jemanden, der Wahlplakate beschädigt, als Notwehr klassifiziert. Möglicherweise war die Polizei an den Protokollen des Forums nicht interessiert, weil bei der Ermittlung der Klarnamen ein Kollege enttarnt worden wäre.