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Will ein Direktmandat: Georg Maier beim Wahlkampfauftritt in Waltershausen Foto: Martin Schutt/Zentralbild

Vor der Landtagswahl in ThüringenDer Flügel-Bekämpfer

Thüringens Innenminister Georg Maier schießt wie kein anderer gegen Björn Höckes AfD-Truppe. Gelohnt wird es dem Sozialdemokraten wenig.

Christian Jakob
Von Christian Jakob aus Erfurt

G erade geht es rund: Die AfD hat einen Untersuchungsausschuss ­gegen den Minister angekündigt, das Handelsblatt meldet eine „Eskalation“. Auf allen Nachrichtenseiten ist an diesem Tag von Georg Maier die Rede, dem Innenminister von Thüringen, der es seinen Polizisten nicht durchgehen lassen will, wenn sie bei Björn Höckes „Flügel“ mitmischen.

Maiers Sprecher wartet auf seinen Rückruf, aber der Minister sitzt zur Mittagspause im Brauhaus Friedrichroda, eine halbe Autostunde westlich von Erfurt. Draußen regnet es in Strömen, drinnen sind alle Tische besetzt mit Touristen. Maier, 52, Ex-Banker und Sozialdemokrat, fragt den Kellner, ob es denn auch ordentlich Salat zu den Spaghetti gibt, sein Personenschützer und er kriegen riesige Portionen aufgetischt, und jetzt will er erst einmal essen.

„Ich hab dasselbe vor einem Jahr schon gesagt“, sagt er dann zu der Debatte von in der AfD enga­gierten Beamten. Für ihn als Dienstherrn verstehe sich die Sache von selbst: Der Flügel sei „Verdachtsfall“ beim Verfassungsschutz. Also drohen Beamten, die dabei sind, Disziplinarmaßnahmen. „Ich versteh die Aufregung jetzt nicht.“

Aber vor einem Jahr stand keine Landtagswahl an, jetzt schon. Fünf Polizisten sind auf der Wahlliste der AfD in Thüringen, die angeführt wird von Björn Höcke. Andere Bundesländer haben auch rechte Polizisten, aber so weit gegen sie vorgewagt wie Maier hat sich lange kein anderer Innenminister. Erst vor einigen Tagen erklärte Niedersachsen Innenminister Boris Pistorius, dass, wer sich zum „Flügel“ bekenne, seinen Beamtenstatus verlieren sollte.

Eine Werbeagentur hat für Maiers Wahlkampf sein hübsch restauriertes DDR-Mofa der Marke Simson als Fotomotiv ausgesucht. „Flotter Simson-Sozi“ hat die Bild-Zeitung daraus gemacht. Aber sein eigentliches Markenzeichen ist es, den Nazis in Thüringen, der Heimat des NSU, das Leben schwer zu machen.

„Rechtsrock-Festival: Bier weg, Bands weg, Stimmung weg“, mit solchen Schlagzeilen hat er von sich reden gemacht. Das in Thüringen lange blühende Geschäftsmodell der extrem rechten Musikfestivals „funktioniert mit unserer Auflagenpolitik nicht“, sagt Maier. Zum letzten Nazi-Konzert Anfang Juli im südthüringischen Kloster Veßra sagt er: „Zum ersten Mal waren wir mehr Gegendemonstranten.“ „Wir.“

Ist mit Maier die Staats-Antifa zurück, die der SPD-Kanzler Gerhard Schröder im Jahr 2000 ausgerufen hatte? Er sei der Erste in dem Amt, der wahrnehmbar etwas gegen die Rechten tut, sagt ein linker Publizist, der Thüringens Naziszene berufsmäßig beobachtet. Maier fährt zu Polizeieinsätzen bei den Nazi-Events, anders als seine Amtsvorgänger.

Das gibt schöne Pressebilder von ihm. Aber es wirkt auch disziplinierend auf die Polizei, was deren Umgang mit den Gegenprotesten angeht, sagt einer, der regelmäßig an diesen Demonstrationen teilnimmt. Ein „Quantensprung“ nennt gar ein Journalist, der seit Jahren für das Magazin Blick nach Rechts aus Thüringen berichtet, Maiers Anti-Rechtsrock-Offensive. „Allerdings ist er von den lokalen Initiativen auch zum Jagen getragen worden.“

„Wenn viele glauben, die da oben müssten beseitigt werden, hat man nicht viel davon, als Minister begrüßt zu werden“

Georg Maier

Maier hat aus Top-Juristen die „Taskforce Versammlungslagen“ gebildet. Sie prüft bis ins Kleinste die Möglichkeiten, Nazi-Events Steine in den Weg zu legen. „Erst mal richtig gut“ fand die Linke Katharina König etwa das Maßnahmenpaket gegen das „Schild und Schwert“-Festival in Themar vor einigen Monaten. Diese Politik der Nadelstiche hat die Konzerte für die Veranstalter unattraktiv gemacht. Auf die Idee ist keiner seiner Vorgänger gekommen.

Quereinsteiger ohne Seilschaften

Da wird geholfen haben, dass Maier kein aufgestiegener Verwaltungsbeamter ist. Zwanzig Jahre arbeitete er bei der bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau, der drittgrößten Bank Deutschlands. Als der Linke Bodo Ramelow Maier im August 2017 ins Innenministerium holte, war der niemandem in seiner neuen Wirkungsstätte einen Gefallen schuldig – und wusste, wie Effizienz organisiert werden kann. Risikolos ist das nicht.

Der Innenministerposten ist für Thüringer Verhältnisse ein wackeliges Amt. Umweltminister gab es in dem Bundesland bisher drei, Finanzminister sechs. Maier ist der elfte Herr über das Innere, keine Ressortspitze wurde häufiger ausgetauscht. Immer wieder wurden Skandale aus dem eigenen Haus durchgestochen. Es heißt, Maiers unkonventionelles Vorgehen gegen die Nazis gefalle im Ministerium nicht jedem.

Mitte August, noch zwei Monate bis zur Landtagswahl. Maiers Büro liegt im obersten Stock des Ministeriums, mit Blick auf eine Bahntrasse. Er ist trüber Stimmung. „Gesellschaftlich sind wir in einer Situation, in der es ums Ganze geht“, sagt er. Die AfD sei noch das kleinere Problem. In Süd­thüringen hätten „Nazis reinsten Wasser“ teils 15 Prozent bei der letzten Kommunalwahl bekommen. Unter ihnen ist etwa das „Bündnis Zukunft Hildburghausen“ dessen Kreistagsabgeordneter Tommy Frenck Rechtsrock-Veranstalter ist.

Die Menschen, die sich gegen diese Festivals vor Ort organisieren, „das sind Helden, weil die am nächsten Tag beim Fleischer damit rechnen müssen, neben dem Nazi zu stehen“, sagt Maier. „Die müssen den Kopf hinhalten, wenn einer mal durchdreht. Und die Atmosphäre ist aufgeheizt.“ Es gebe erschreckend viele extrem rechte Veranstaltungen. Auch in Friedrichroda, wo Maier wohnt. „Allumfassender Schutz“ sei kaum zu gewährleisten. „Und ich rede auch von mir selber. Ich muss davon ausgehen, dass mir persönlich auch was passieren kann.“

Maier will das Unmögliche

In vielen Dörfern habe der letzte Laden zugemacht, abends fährt kein Bus in die nächste Stadt. „Die Leute erzählen mir, wie toll es in der DDR war, in welchen Läden sie sich getroffen haben. Und das ist alles weg. Das ist der Frust, der da ist.“ Es gebe kein Medium mehr, das aus Thüringen überregional berichte. „Der Rest der Republik ist nicht im Bilde, was hier los ist.“

Sieben Wochen später hat der Wahlkampf begonnen. Maier kandidiert im Wahlkreis Gotha I. Er will das Direktmandat gewinnen. Angewiesen ist er darauf nicht, er steht auf Platz 5 der SPD-Liste. Aber er will beweisen, dass die „SPD wieder in der Lage ist, Direktmandate zu gewinnen“ – und sich damit vermutlich auch für Höheres empfehlen. Bei der EU-Wahl im Mai bekam die CDU im Landkreis Gotha 24, die AfD 22 – und die SPD 14 Prozent. „Schier unmöglich. Aber ich schaff das“, sagt Maier. Der Amtsbonus helfe nur begrenzt. „Wenn ein großer Teil der Bevölkerung der Meinung ist, die da oben müssten alle beseitigt werden, hat man nicht viel davon, als Innenminister begrüßt zu werden.“

Anfang Oktober ist Maier bei einer Firma in seinem Wahlkreis zu Besuch, familiengeführter Mittelstand, Neubau im Gewerbegebiet, 18 Mitarbeiter. Eine Wahlkampfhelferin hat Mett, Brötchen und Butter mitgebracht, Maier trägt Jeans und Jackett mit Einstecktuch, im Chefbüro wird gefrühstückt. Der Senior erzählt von einer neuen Datenbank, die er anschaffen will, es geht um Fachkräftemangel, Bürokratie, Digitalisierung, Waldsterben. „Wollen Sie mir etwas mitgeben?“ fragt Maier. Der Junior denkt nach. „Mehr Förderung für den Mittelstand wäre gut.“ Der Senior sagt, er hätte für die neue Datenbank-Schulung gern einen Zuschuss aus dem Landesprogramm „Digitalbonus“, doch das fördere keine Schulungen.

„Ich red mit dem Zuständigen“, sagt Maier. Ob sie denn „allgemeinpolitisch“ noch etwas sagen möchten? „Hast du was?“, fragt der Senior. Dem Junior fällt nichts ein. Es gebe so viel diffuse Unzufriedenheit im Land, sagt Maier dann. „Die Leute sagen, alles ist scheiße, aber wenn man sie fragt, was sie konkret meinen, dann kommt nicht viel.“ „Ich verstehe die Unzufriedenheit in meiner Generation auch nicht“, sagt der Senior dann. „Wir sind Wendegewinner.

Diese DDR-Verklärung, das Genöle über die Ausländer, das ist nicht auszuhalten.“ Er hoffe, dass sich das „mit der nächsten Generation erledigt hat“. Er habe „Angst vor der Unregierbarkeit Thüringens“ durch die „Protestwähler“. Wenn es für Rot-Rot-Grün nicht reicht und die CDU weder mit AfD noch mit den Linken koaliert, gibt es keine Regierungsmehrheit in Thüringen. Das sei leider ein „realistisches Szenario und ganz schlecht für die Wirtschaft“, sagt Maier, bevor Facebook-Fotos gemacht werden.

„Ich dulde nicht den Hauch eines Zweifels an Ihrer Verfassungs-treue“

Georg Maier

Angst vor Rot-Rot-Grün habe der Mittelstand in Thüringen nicht mehr, sagt Maier später. Solider Haushalt, wachsende Wirtschaft, geringe Arbeitslosigkeit. Der SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee habe etwa die neue Batteriefabrik des chinesischen Konzerns CATL nach Erfurt geholt – 1,8 Milliarden Euro Investition, 2.000 Arbeitsplätze sollen entstehen. Es sei „nicht wirklich was schiefgelaufen bei Rot-Rot-Grün“, sagt Maier. „Aber wir, wir sacken ab,“ sagt Maier und meint seine Partei. „Warum sagen die Leute der SPD: ‚Euch wollen wir nicht mehr‘? Das kann nicht im Land liegen.“

Auf dem Marktplatz von Waltershausen

Weiter geht es auf dem Marktplatz von Waltershausen, fünf Stände, Regen, der SPD-Pavillon droht vom Wind umgeblasen zu werden. Es gibt hier einen SPD-Ortsverein, ein halbes Dutzend WahlhelferInnen sind da, und das an einem Dienstagvormittag. Einer holt Steinplatten für die Pavillon-Füße, einer trägt eine abgebaute Plakatwand in das Parteibüro in der Nähe. Unbekannte hatten Hakenkreuze, „Dreckschwein“, „SS“ und „AfD“ darauf gesprüht. Auf dem Marktplatz ist von Politikerhass, Demokratieverachtung oder DDR-Nostalgie nichts zu hören. Wenn es wütende Kommentare gebe, „dann ist es immer ‚Merkels Flüchtlingspolitik‘“, sagt ein Wahlkampfhelfer. Aber die meisten nehmen Maiers Werbe-Butterbrotdosen und reden über alles Mögliche – Verkehr, Rente, den Wald.

Maier hat keine klassische Parteibiografie. 1995 bewarb er sich erfolglos auf eine Stelle als Referent bei der SPD-Landtagsfraktion in Thüringen. In die SPD trat er erst 2009 ein. 2013 gehörte er zum Strategieteam von Peer Steinbrück, wurde Sprecher des Finanzforums der SPD. Der Marktplatz von Waltershausen ist eine sehr andere Welt als das Frankfurter Westend, das Bankenviertel, aus dem Maier kommt. Er ist erst 2018 nach Friedrichroda gezogen, als der Wahlkreis für ihn frei wurde. „Zeit für einen von hier“ steht jetzt auf den Plakaten von Maiers Konkurrenten, dem Nachwuchs-CDUler Hans-Georg Creutzberg. Von hier ist Maier nicht. Aber er gibt sich alle Mühe, keine Distanz aufkommen zu lassen, quatscht mit den Leuten über die Feuerwehr, den anstehenden Wald-Subbotnik, sein Mofa.

Ins Amt gebracht hat Maier die gefloppte Kreisgebietsreform. Aus 23 Landkreisen und kreisfreien Städten wollte Rot-Rot-Grün 8 machen. Die Bevölkerung schrumpft, das hätte Geld gespart. „Das war eine neoliberale Logik, wir haben nicht gesehen, dass wir damit die Identifikation der Leute verlieren“, sagt Maier. Die Proteste waren heftig, sein Vorgänger Holger Poppenhäger musste gehen. Ramelow brauchte jemanden, der „das kommunikativ besser hinbekommt“, sagt Maier. Der Widerstand ging weiter, Maier ließ die Kreise, wie sie waren, und fusionierte stattdessen 300 Gemeinden. „Aber alle freiwillig. Das haben die Leute akzeptiert.“

Die AfD und die diffuse Unzufriedenheit

Am Nachmittag steht das Wahlkampfteam im Getränkemarkt Löhr in Ohrdruf. Grob gesagt gibt es zwei Typen von Passanten: Männer zwischen 20 und 60 Jahren und den Rest. Schon von Weitem sehen viele Männer das SPD-Plakat, ihr Gesicht wird dann regungslos, der Schritt schneller, Maier mit unwirschem Kopfschütteln auf Abstand gehalten. „Typischer AfD-Wähler“, sagt die Lehrerin dann. „Ja, die Männer“, sagt Maier. Da sei sie wieder, die „diffuse Unzufriedenheit“. Viele Frauen, Teenager und Senioren hingegen lassen sich ansprechen. Einige kennen Maier, aber längst nicht alle. Dass er Innenminister ist, nehmen viele mit Erstaunen zur Kenntnis. Manche scheinen mit dem vierseitigen Flugblatt überfordert, das er ihnen hinhält, denen gibt er ein Knoppers. Die werden in Ohr­druf in einer Fabrik mit über 1.800 Beschäftigten hergestellt. Vielleicht ist die Unzufriedenheit hier deshalb nur „diffus“ und nicht konkret.

Am Ende kommt ein Pärchen vorbei, der Mann sagt, er habe Jahrzehnte beim Thüringer Staatsschutz gearbeitet. Er finde gut, was Maier macht. Die Polizei sei nicht so rechts, wie behauptet werde. „Ich hab in den Jahrzehnten keinen kennengelernt, der nicht gegen Nazis war.“ Das kann man glauben oder auch nicht. Maier versucht jedenfalls, das Problem der Rechten in der Polizei anzugehen. Kürzlich hat er erstmals PolizistInnen öffentlich auf dem Erfurter Domplatz vereidigen lassen, der „Wertschätzung“ wegen. Er dulde „nicht den Hauch eines Zweifels an Ihrer Verfassungstreue“, hat er an dem Tag gesagt.

Maier stammt vom Bodensee und hat einst bei der Treuhand-Nachfolgebehörde BvS gearbeitet. Ein Jahr, 1995, hat er dort privatisierten Unternehmen „geholfen zu überleben“, sagt er. Dieser Teil seiner Biografie „spielt im Wahlkampf keine Rolle“. Das ist erstaunlich, denn die AfD setzt, wie schon in Brandenburg und Sachsen, auch in Thüringen voll auf 1989 als Bezugspunkt.

2018 sagte Maier erstmals, dass Zweifel an der Verfassungstreue von Polizisten bestehen, „die meinen, sich dem Flügel offen anschließen zu müssen“. Wobei das natürlich nicht gleich heiße, dass sie aus dem Dienst entfernt werden. Zunächst werde in einem Gespräch auf das Mäßigungsgebot hingewiesen. „Das beträfe auch Polizisten, die sich bei extrem linken Gruppierungen betätigten.“ Höcke – der selbst aus dem Westen kommt – diffamiert Maiers Vorstoß dennoch als „Gesinnungsschnüffelei“ und „Treppenwitz der Geschichte“: „Genau das ist ein Merkmal totalitärer Staaten“, schreibt Höcke. „Das zieht alles in den Dreck, was 1989 geleistet wurde“, sagt Maier dazu. Doch die Frage bleibt, wie er damit umgehen kann, dass viele seiner Polizisten die AfD gut finden. „Klare Sprache, klare Ansagen“, so wie bei der Vereidigung, sagt Maier. Im Verfassungsschutz den Flügel anschauen.

Höckes Geraune, große Teile der Sicherheits­organe würden nur darauf warten, sich gegen das System zu wenden, nennt Maier „perfide. Das ist auch nicht wahr.“ Er hat Rückhalt von beiden Polizeigewerkschaften bekommen. Doch wenn sein Vorgehen gegen die Flügel-Beamten zu Solidarisierungen anderer Polizisten führe, „dann ist das so“, sagt Maier.

Themen: die örtliche Burgruine, Busstationen, Waldsterben

Das Kulturzentrum im kleinen Bad Tabarz heißt KuKuNa. Am Abend regnet es immer noch, eine halbe Stunde bevor die Podiumsdiskussion der Thüringer Allgemeinen losgeht, sind alle Stühle besetzt. Sieben KandidatInnen sind, da, ganz links sitzt ein Elektriker von der MLPD, ganz rechts ein Ex-Soldat von der AfD. Der Moderator fragt, ob er sich dem „Flügel“ zurechnet. „Natürlich“, sagt er und bekommt Applaus. Den Grünen haben sie rechts von Maier platziert, der hat sich einen dunklen Anzug und weißes Hemd angezogen. Auch hier wirkt die Lage nicht so trüb, wie Maier sie im Sommer geschildert hatte.

Drei Stunden wird diskutiert, engagiert, unaufgeregt, sachlich, über lokal relevante Themen: die örtliche Burgruine, die stillgelegte Ohratalbahn, Haltepunkte für Busse, Waldsterben. Von „Islam“ oder „Merkel“ ist keine Rede. Als alle sagen sollen, welches Projekt sie am liebsten realisieren würden, nennt der Mann von der MLPD „kostenlosen Nahverkehr“, der AfDler will „Mobilität fördern“ und hat auch ansonsten Kreide gefressen.

In der Pause scheint Maier etwas enttäuscht. Klar sei es gut, dass die Diskussion hier so sachlich sei, aber ein wenig Konfrontation könne ja nicht schaden. „Mal sehen, ob der sich aus der Reserve locken lässt.“ Er lässt nicht, auch wenn Maier etwas stichelt. Erst ein wütender Schüler bringt den AfDler in Verlegenheit, der ihn fragt, wie seine Partei den menschengemachten Klimawandel leugnen könne. Er hat keine gute Antwort.

„Die AfD hat ihr Wählerpotenzial zu 100 Prozent ausgeschöpft“, glaubt Maier. Und die SPD? Maiers Situation ähnelt jener des sächsischen SPD-Spitzenkandidaten Martin Dulig. Der ist wie Maier vorzeigbar, smart, integer, viele mögen ihn – aber nicht seine Partei. Auf Duligs Wahlplakaten in Sachsen stand „Wer Dulig will, muss SPD wählen“. Es klang wie „Wer schön sein will, muss leiden“. Genützt hat es nichts. Sachsens SPD kam auf desaströse 7,7 Prozent. Das prognostizieren die Wahlforscher auch der Thüringer SPD.

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