Aufnahme von geretteten Flüchtlingen: Koalition der Willigen
Seehofers Notfallplan zeugt von Erkenntnisgewinn. Er hat verstanden, dass die EU zwei Geschwindigkeiten bei der Aufnahme von Flüchtlingen braucht.
N och steht „XXX“ in dem Papier, das regeln soll, welche EU-Staaten künftig vor Libyen gerettete Flüchtlinge aufnehmen. Deutschland hat bislang zugesagt, ein Viertel dieser Menschen für ein mögliches Asylverfahren ins Land zu lassen. Beim EU-Innenministertreffen am Dienstag sollen weitere Staaten der Übereinkunft beitreten – wenn sie wollen.
Manche sehen die Initiative von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) deshalb als Rückschritt – als Abkehr von Einstimmigkeit und Verbindlichkeit in der EU. Tatsächlich kann man froh sein, dass überhaupt wieder Bewegung in die Frage der Flüchtlingsverteilung gekommen ist, auch wenn Seehofers Plan nur für einen sehr kleinen Teil der Ankommenden gelten soll.
Einigen ist selbst das schon zu viel, etwa dem Unionsfraktionschef Ralf Brinkhaus. Der geht Seehofer für seine Asyl-Initiative fast so an, wie Seehofer selbst es bis zum vergangenen Jahr mit Angela Merkel getan hatte. Leute wie Brinkhaus haben ganz offensichtlich nicht begriffen, wie wichtig dieser – ja überaus zaghafte – Schritt in Richtung europäischer Lastenteilung ist.
Die EU hat von Italien in diesen Monaten noch einmal Aufschub bekommen. Der überraschende Ausgang der Regierungskrise im Sommer hat die Möglichkeit geschaffen, mit den Außengrenzenstaaten endlich ein System gerechten Ausgleichs zu schaffen. Gelingt dies nicht, hat Matteo Salvini beste Chancen, bei der nächsten Wahl endgültig die Macht zu übernehmen. Und eine Neuwahl könnte schon bald anstehen: Die Koalition in Rom ist ausgesprochen fragil.
Der Rest kann dem guten Beispiel folgen
Jahrelang hat die EU keine Reform ihrer Dublin-Regelung zuwege gebracht – auch wegen Deutschlands Blockadehaltung. Seehofers Malta-Plan ist nun auf sechs Monate befristet. In dieser Zeit muss die EU einen umfassenden Solidaritätsmechanismus etablieren. Die Bedingungen dafür sind – durch das Ausscheiden von FPÖ und Lega aus Regierungsämtern – besser geworden. Wirklich gut sind sie nicht – Staaten wie Ungarn und Polen werden nicht mitziehen.
Seehofers Plan hat daraus wenigstens Konsequenzen gezogen. Die Staaten, die mitmachen wollen, können das tun. Der Rest bleibt draußen – kann aber den guten Beispielen folgen und nachziehen. Nach diesem Prinzip der zwei Geschwindigkeiten könnte eine Vorstufe für eine neue Dublin-Regelung eine Chance haben. Das Signal, das die „Koalition der Willigen“ an Italien, Malta, Griechenland, Zypern und Spanien senden muss, lautet: Wir lassen euch mit den Flüchtlingen nicht wieder allein. Gelingt das nicht, wird die sich schon abzeichnende nächste Flüchtlingskrise unter Garantie auch zur Krise der EU selbst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen