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Strategien populistischer PolitikWarum „Volk“ antidemokratisch ist

Kommentar von Georg Seeßlen

Populisten mögen keinen Widerspruch. Das „Volk“ als Gegenüber ist deshalb ideal – im Chor kann es kaum Nachfragen stellen. Subjekte können das schon.

Die Fragen des Populisten an „sein“ Volk sind immer auch schon Antworten Illustration: imago images/Ikon Images

W ie der Begriff „Neoliberalismus“, so ist auch der des „Populismus“ in der Gegenwart neu besetzt worden und daher nicht mehr allein aus einer historischen Ableitung zu begreifen. In der Geschichte der Demokratisierungen und ihrer Krisen gab es zweifellos Formen des Populismus, die als notwendige Eingriffe, Korrekturen und Veränderungen wirkten, die ein der Bevölkerung vorenthaltenes Recht wiedereroberten oder die, nur zum Beispiel, auf einen sozialen Ausgleich hinauswollten. Populistisch konnte man aber immer auch jene Formen der Demokratie nennen, die nicht allein auf die demokratischen Instanzen und Institutionen setzten, sondern auch direkte Formen der Beteiligung nutzten.

Populistisch etwa wäre auch ein „kumpelhafter“ und antiautoritärer Umgang miteinander, eine betont zivile und legere Beziehung zwischen Regierung und Menschen, ein bisschen so, wie es José Mujica, genannt El Pepe, in seiner Amtszeit als Präsident von Uruguay pflegte. Mit dem, was wir im Prozess des Rechtsrucks und der Faschisierung als „Populismus“ bezeichnen, hat das allerdings so gut wie gar nichts zu tun.

Der Unterschied liegt in drei bedeutenden Elementen: Der heutige Populismus versteht Politik vor allem als Show und Effekt, er stillt mediale Bedürfnisse, findet aber zu keinem schwerwiegenderen Problem eine Lösung. Der Populismus missachtet die große Warnung des weisen K’ung Fu Tzu, nach der jener gut regiert, der eine Lösung, und jener schlecht, der einen Schuldigen sucht. Einmal an die Regierung gekommen, verschleudert der Populist im besten Fall Geld, Talent und Zeit, im schlimmsten Fall wirkt er als Steigbügelhalter für Autokraten und Faschisten der härteren Sorte.

Und dieser Populismus versteht das Volk durchaus „völkisch“, also nicht im Sinn der „Leute“, der Menschen, der Gesellschaft, sondern im Sinne einer nationalen, rassistischen und ideologischen Einheit. Und dieser Populismus will nicht die Demokratie korrigieren, sondern sie abschaffen.

Hinwendung zu einem faschistischen Begriff von Volk

Der Populismus unserer Tage setzt also ein neues politisches Subjekt absolut, das er „Volk“ nennt; es unterscheidet sich in einer Vielzahl von Eigenschaften von dem, was man als „Bevölkerung“ oder „Bürgerinnen und Bürger“ oder, schlimmstenfalls, „Wähler“ in der Demokratie bezeichnet. Einige dieser Eigenschaften liegen auf der Hand, weil sie programmatisch und militant vertreten werden: die Hinwendung zu einem faschistischen Begriff von Volk.

Das Volk als mehr oder weniger imaginäres Subjekt hat immer recht, denn sein Recht (anders als das einer mündigen Staatsbürgerin, eines Citoyen) ist nicht erworben, sondern „natürlich“. Mit einem solchen politischen Subjekt ist Demokratie nicht zu machen, und jede und jeder, die damit zu tun haben, wissen es, und wer es nicht weiß und, nur zum Beispiel, die AfD als „bürgerlich“ bezeichnet, der will es nicht wissen oder kann es nicht wissen.

Dieses neue politische Subjekt definiert sich als Gegensatz zum alten, demokratischen Subjekt, dem man das „Elitäre“, das „Systemhafte“ und das „Verräterische“ anhaftet. Es will seinen Willen spüren, und mit seinen Führerinnen und Führern hat es nicht die Beziehung einer Delegation, die durch beständige Kontrolle, durch Transparenz und Kritik gegen Missbrauch gesichert sein soll, sondern es hat die Beziehung einer Verschmelzung. Immer geht es darum, dass da „einer von uns“ vorn steht, keiner, mit dem es zu debattieren gälte, sondern einer, „der uns versteht“, der oder die „unsere Sprache spricht“.

Krieg? Ach nö, lieber doch nicht

Daher werden im Populismus auch keine Einzelheiten verhandelt; das Volk versteht sich keineswegs wie eine demokratische Öffentlichkeit als eine kritisch begleitende, eine immer „mitredende“ Instanz, sondern als eine Kraft, deren Willen nur erfüllt werden kann oder nicht. Eines der drastischsten Beispiele ist der Brexit, ein populistischer Schlag par excellence, da das Volk ja keine Chance zur Mitgestaltung, nicht einmal wirklich zur Debatte hatte, sondern nur auf eine Ja-Nein-Entscheidung gedrängt wurde.

Eine solche Ja-Nein-Entscheidung, die weder die durchaus demokratische Kunst des Kompromisses noch eine Überlegung zu Zeiträumen und Umständen kennt, wirkt wiederum als eine Maschine zur Produktion von Volk als jenem neuen politischen Subjekt, das einer neuen Form des Politikers und der Politikerin zur Macht verhilft.

Dieses Volk nämlich wird im Populismus zwar symbolhaft erhöht, real aber fundamental entmachtet. Man nennt diesen Prozess wohl Selbstverstärkung. Am Ende ist die superpopulistische Frage nur noch: „Wollt ihr den totalen Krieg?“ und wir können uns nur schwer vorstellen, dass im Chor der Antworten Stimmen wie diese zu hören sind wie „Ach nö, lieber doch nicht“, „Was heißt hier total?“ oder „Lass uns doch erst mal in Ruhe darüber nachdenken“. Die Fragen des Populisten an „sein“ Volk sind immer auch schon Antworten. Und die Antwort lautet immer: Gewalt.

„Freiheit statt Sozialismus“

Die Einlagerungen des Populismus in der westlichen Demokratie sind unausweichlich. Sie beginnen mit den rhetorischen Vereinfachungen („Freiheit statt Sozialismus“) und setzen sich in den öffentlichen Inszenierungen der politischen Charaktere, in der Verwandlung demokratischer Prozesse in Medienshows und nicht zuletzt in ­Ad-hoc-Aktivierungen dieses (zuzeiten) schlummernden politischen Subjekts namens Volk fort.

Ein Symptom der „Postdemokratie“ ist der Typus des Politikers, der meint, sich in beiden Sphären bewegen zu können: mal demokratisch, wenn man Untätigkeit verschleiern will, mal populistisch, wenn es etwas gegen humanistische und demokratische Standards durchzusetzen gilt. Wer Sündenböcke liefert, statt Probleme zu lösen, der ist ein Populist im schlimmsten Sinn, wer gemeinsame Lösung von Problemen sucht, wenn es sein muss, auch ohne Regierung, ohne Autorität und ohne Gesetz, der wäre ein Populist im besten Sinn. Nur müssen wir ihr oder ihm einen neuen Namen geben.

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19 Kommentare

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  • "Demokratie korrigieren" - was bitteschön habe ich darunter zu verstehen?

  • " Wer Sündenböcke liefert, statt Probleme zu lösen, der ist ein Populist im schlimmsten Sinn, wer gemeinsame Lösung von Problemen sucht, wenn es sein muss, auch ohne Regierung, ohne Autorität und ohne Gesetz, der wäre ein Populist im besten Sinn."



    "Ohne Autorität" ist Quatsch. Das Bohei um Herbert Grönemeyers Statement pro offene und humanistische Gesellschaft auf seinen Konzerten geschah eben weil dem Künstler weitreichende Autorität zuerkannt wird.

  • Insgesamt eine gute Analyse. Populistische Ansätze gibt sogar in allen Parteien, wenn vermeintlich einfache Antworten auf komplexe Fragen gegeben werden. Bei grünen Populisten wird dann schon mal gefordert, sofort alle Kohlekraftwerke abzuschalten (was natürlich völlig unmöglich ist). Bei liberalen Populisten wird populistisch-plakativ "Eigenverantwortung" gefordert, wenn eigentlich nur die Solidarität mit Armen, Alten, Kranken und Schwachen aufgekündigt werden soll. Von Linken Populisten wird populistisch die Verstaatlichung von Industrien als Allheilmittel verkauft.

  • 6G
    64984 (Profil gelöscht)

    Und wieder wird der alles entscheidende Fehler begangen: Man beschäftigt sich mit den Populisten, den Politikern und Parteien, was ist gut, was ist schlecht, wie kann man sie bekämpfen, etc., etc.

    Die entscheidende Frage aber ist: Warum werden sie von immer mehr Menschen gewählt?



    Und die Antwort darauf ist, dass die etablierten Parteien (CDU, CSU, SPD, FDP und teilweise auch schon die Grünen bei Ihrer Politik 20-50% der Menschen vergesssen ( außer in Ihren Sonntagsreden). Das dies in der Tat so ist, wurde übrigens sogar von einer Studie bestätigt, die von der Bundesregierung in Auftrag gegeben wurde.



    Und jetzt wieder beim Klima-Paketchen bewiesen.



    Solange das so ist, werden die Populisten immer mehr Zulauf erhalten, egal was die für einen Blödsinn erzählen.

  • Ralf Dahrendorf hat zum Populismus Treffendes gesagt: "Der Populismus-Vorwurf kann selbst populistisch sein, ein demagogischer Ersatz für Argumente.“

  • Ein kurzer, prägnanter, guter analytischer Kommentar.

    Das "Volk" musste schon im Mittelalter dumm bleiben, an die "gottgegebene" Macht des Adels und der Kirche glauben. Für "Gott, Kaiser und Vaterland" zog das "Volk" 1914 in den Krieg und war 1918 Schuld an der Niederlage (Dolchstoßlegende).

    Bernt Engelmann hat in seinem Buch "Einig gegen Recht und Freiheit" (1975) detailliert beschrieben, wie die Strukturen der untergegangenen Monarchie (Land- und Geldadel, Fürsten, Großgrundbesitzer, Industrie"barone", Verlage...) anschließend systematisch, die Weimarer Republik zerstörten und statt einem "Kaiser" einen "Führer" zur Macht verhalfen.



    Die erste Demokratie wurde als "Systemstaat" diffamiert, als wäre die Herrschaftsform der Monarchie (einer Diktatur) kein System; nur ohne demokratische "Quaselbuden", wie die Parlamente auch bis in die Gegenwart (bis zum Einzug der AfD in die Parlamente) genannt wurden.

    Auf der Rückseite des Buchumschlags finden sich Schlagworte der Rechtsradikalen und Nazis von damals, die man in ähnlicher Form heute wieder hört:

    Lese "Kriegsschuldlüge" 1.WK; höre "Vogelschiss" 2.WK



    Lese "Judenrepublik"; höre "Denkmal der Schande", "Umvolkung", "Islamisierung Deutschlands"... wachsender Antisemitismus



    Lese "Schandvertrag von Versailles"; höre "Deutschland von Alliierten besetztes Land" (nach Trump und Putin seltener)



    Lese "roter Terror"; höre "Wir werden sie jagen", "linksgrünversifft" und sehe brennende Flüchtlingsheime und Menschenjagden



    Lese "Volk ohne Raum"; höre "Überbevölkerung", "Absaufen lassen"...

    Die Frage ist: Hat sich an den Strukturen der Macht und des Einflusses etwas geändert, die seit dem Mittelalter, dem Kaiserreich und dem "1000jährigen Reich" dominieren? Wenn ja, mit welcher/wessen Unterstützung kommen die Trumps, Putins, Orbans an die Macht? Können die Weidels, Gaulands, Bachmanns, Höckes trotz alledem nach dem Macht greifen, und Medien mit Konsequenzen drohen, wenn sie am die Macht kommen? Wer finanziert regiert?

  • 8G
    80336 (Profil gelöscht)

    'Und dieser Populismus versteht das Volk durchaus „völkisch“, also nicht im Sinn der „Leute“, der Menschen, der Gesellschaft, sondern im Sinne einer nationalen, rassistischen und ideologischen Einheit. Und dieser Populismus will nicht die Demokratie korrigieren, sondern sie abschaffen.'

    Chapeau. Eine punktgenaue und sachliche Analyse inmitten all dem Geschnatter, welches nur dazu gewollt, um Sand in Augen zu streuen.

  • Populism and political correctness are twins.



    The most Problem: Populism and political correctness targets people who can't fight back. Listen to this speech



    www.youtube.com/watch?v=tPdMG3oFGac

  • Die postulierung, dass es für "schwerwiegende probleme" eine Lösung gäben müsste und die Politik diese zu finden hat, ist das Grundproblem. Damit lassen sich alle unerwünschte Personen zu populisten definieren und damit die demokratische Ordnung an sich in Frage stellen.



    Im Grunde fordern solche Thesen die absolute gleichmacherei, die wir auch immer deutlicher spürbar erleben.

  • Info.- Empfehlung:

    #Integration #Migration #Ostdeutschland

    Migrations- und Integrationsforscherin Naika Foroutan

    Juliane M. Schreiber spricht mit der Migrationsforscherin Naika Foroutan über Deutschland als Einwanderungsland.

    Naika Foroutan ist Professorin für Sozialwissenschaften an der Berlin Humboldt-Universität, Leiterin des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) und Direktorin des Berliner Institut für empirische Integrations-und Migrationsforschung (BIM). Vor wenigen Monaten erschien ihr Buch "Die postmigrantische Gesellschaft"(transcript Verlag).

    Juliane M. Schreiber spricht mit Naika über die Fragen: Was haben Ostdeutsche und Migranten gemeinsam und warum sollten sie sich verbünden? Gibt es eine deutsche Leitkultur? Wer ist eigentlich Deutscher? Was bedeutet Integration überhaupt? Warum fordern junge Migranten heute mehr Rechte ein als ihre Eltern?

    Höre: www.youtube.com/watch?v=A68877l9WIY

    22.09.2019, R.S.

  • Sehen geehrter Herr Sesslen,

    ich vermisse in Ihrem - inhaltlich für treffend formulierten -Artikel :

    Den Blick nach links zum - in mindestens unserer Republik mannigfaltig vorhandenem -Linkspopulismus

    Dessen Steigerung zum Tugendterror(an Unis mittlerweile Standard, sobald es um Kritik an Linkspopulismus geht) und

    Die bei der TAZ sonst standardgemäss gesetzten Gendersternchen nebst entspr. Sprachauswahl...

    ...oder ist Gleichberechtigung in dieser Neusprache ähnlich der SPDPlakate zur Beibehaltung des Solis für Spitzenverdiener, bei der kritisierten Zielgruppe Rechte...Reiche...Rassisten doch nicht erwünscht?

  • Alles richtig. Aber der Kommentar ist unvollständig. Er geht nicht darauf ein, warum sich so viele Menschen von der Demokratie abwenden.

  • … und wenn Russland, Venezuela oder Hong Kong einige tausend Menschen auf die Straße gehen, wird auch in der TAZ sofort mindestens der Rücktritt der dortigen Regierung gefordert und nicht nachgerechnet, wieviele Menschen allein OTPOR/CANVAS und Gene Sharps Nachfolger mit den Milliarden unserer Wertegemeinschaft im Rücken auf die Straße bringen…

  • Ja, das mit dem Populismus ist so eine Sache, der man RuckZuck auf den Leim geht. Heute habe nur noch ich recht, weil ich mich von Flüchtenden Strömen überschwemmt sehe, morgen hab nur noch ich recht, weil ich mich vom Klimawandel um meine Zukunft gebracht sehe.



    Geht immer einher mit:



    Die Gesellschaft ist schuld!



    Das System ist schuld!



    DU bist schuld!



    Ich? Ich nicht!

    • 6G
      64984 (Profil gelöscht)
      @Weidle Stefan:

      Sie machen es sich sehr einfach:



      Jeder ist einfach selber schuld an seinem eigenen Schicksal.

      Dass z.B. die Finanzmarkt-Deregulierung schlimme Folgen gehabt hat und fast zum Zusammenbruch des Finanzsystems geführt hat, kommt bei Ihnen einfach nicht vor.

      Hierfür waren gierige Finanz-Machthaber, willfährige Wirtschafts-Wissenschaftler und inkompetente Politiker verantwortlich.

      Ich definitiv nicht!

  • Die Kommentare in der taz sind regelmäßig gefüllt mit Beiträgen die sich aus linkspopulistischer Ecke auf den von korrupten geldgierigen überbezahlten Politikern / „Eliten“ regierten und verratenen Volk beziehen.

    Der Rechtspopulismus hat so mit den linkspopulistisch vorgeglühten Bürgern natürlich ein leichtes Spiel. Nicht umsonst switchte ein hoher Anteil von Wählern der Linkspartei ohne Zwischenstop zur AfD rüber.

    Rechtspopulismus und Linkspopulismus sind natürlich völlig unterschiedlichen Strömungen zugeordnet, sind aber beide als Populismus gefährlich. Gerade auch weil die linkspopulistischen Zauberlehrlinge die Folgen ihres Tuns nicht unter Kontrolle haben.

    • @Rudolf Fissner:

      Was dem Rechtspopulisten das "Volk", ist dem Linkspopulisten die "arbeitende Klasse" Beiden gemeinsam ist es, dass sie immer irgendwie bieder und rechtschaffen beschrieben werden. Man könnte auch sagen: Geistig einfach strukturiert.

  • Danke.

    &



    Klar - wußte schon post Wende - Volkers 👄 -

    “Ich bin Volker“



    Plakat - in Dresden(?) •