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Integration von MännernViele verlieren, was sie stützt

Eine Tagung in Schwerin nimmt das Weltbild geflüchteter Männer in den Blick. Denn oft stimmen Erwartungen und Realität in Deutschland nicht überein.

Männliche Geflüchtete gelten nicht als besonders schutzbedürftige Gruppe Foto: dpa

Hannover taz | „Meine Frau muss mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen als normale europäische Frauen“, sagt Sherif. So stellt sich der 25-jährige Syrer das vor. Denn so kennt er es von zu Hause. Aber hier in Deutschland ist das Leben anders, vor allem das Geschlechterbild steht konträr zu den Regeln in seinem Heimatland. Er sagt: „Viele Frauen hier wollen nur arbeiten und Geld verdienen, damit sie die gleiche Stärke haben wie der Mann.“

Die Diskrepanz zwischen Erfahrungen und Erwartungen und der Realität ist für Männer wie Sherif ein Problem: Sie sehen ihre männliche Identität in Frage gestellt. Vielen Geflüchteten aus Afghanistan, Irak, Eritrea, Gambia, Iran, macht das Angst. Und in Deutschland, wo sie ihr Leben verbringen möchten, finden sie kaum Hilfe.

Nur eine christliche Beratungsstelle in Kiel und ein auf fünf Monate angelegtes Projekt in Schwerin kümmern sich um diese Männer. „Sie gelten als nicht besonders schutzbedürftige Gruppe“, sagt Dirk Siebernik vom Bundesforum Männer (BFM), einem vom Familienministerium geförderten Interessenverband für Jungen-, Männer- und Väterpolitik.

Das will das BFM ändern und veranstaltet am Dienstag im Schweriner Landtag eine Fachtagung, die geflüchtete Männer in den Blick nimmt. Es geht um Rollen- und Familienbilder, um Gewalt und Konzepte zur Gewaltvermeidung und um die Lebenssituation der Männer.

Viele Männer verlieren, was sie stützt

Laut der bundesweit ersten Studie zum Leben männlicher Geflüchteter in Deutschland, die das Bundesforum im vergangenen Jahr durchgeführt hat, wollen die meisten jungen Männer zur Schule gehen, einen Beruf lernen, eine Familie gründen. Sie wollen engen Kontakt zu Deutschen und sich integrieren, ohne ihre Kultur aufgeben zu müssen. Aber all das gelingt eher selten. Vielmehr verlieren sie das, was sie noch stützt: ihre Familie.

Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden in Schwerin rund 70 junge Männer von ihren Frauen verlassen. Viele machen die Beratungsstellen für migrantische Frauen verantwortlich, wo sich die Frauen Hilfe vor ihren in manchen Fällen gewalttätigen Männern holten.

Ursache in der patriarchalen Gesellschaft

Die Männer verstünden nicht, dass der Grund in ihrem eigenen Verhalten liege, und die Ursache in der patriarchalen Gesellschaft, aus der sie selbst kämen, sagt Siebernik. Stichworte hier unter anderem: Zwangsverheiratungen, wirtschaftliche Abhängigkeit, dominante Familienstrukturen.

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2 Kommentare

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  • Es ist erfreulich, dass an diesem Phänomen nachgedacht und gearbeitet wird. Etwas enttäuscht denke ich endlich, da dies ja schon recht früh ersichtlich war. Aber besser spät als nie.

    • 8G
      83492 (Profil gelöscht)
      @J_CGN:

      "Es ist erfreulich, dass an diesem Phänomen nachgedacht und gearbeitet wird."

      Das sieht nach einer sehr punktuellen Anstrengung aus. Außerdem stelle ich mir schon die Frage nach den Erfolgsaussichten, das Verhalten dieser Männer zu ändern. Wenn ich überlege wie gering alleine der Erfolg ist, deutsche Männer zu einer höheren Mitarbeit im Haushalt zu bewegen, muss ich da sagen: das wird nichts.

      Kommt noch dazu, dass in die Altersgruppe der 16-25 jährigen Asylbewerber, also dem Alter in dem Menschen eine Familie gründen, aus doppelt so vielen Männern wie Frauen besteht (66% zu 33%) [1]. Damit ist abzusehen, dass etwa die Hälfte der männlichen Asylbewerber bei der Partnerwahl leer ausgehen wird.

      "Etwas enttäuscht denke ich endlich, da dies ja schon recht früh ersichtlich war"



      Das liegt daran, dass Probleme im Zusammenhang mit Migration nicht gerne ausgesprochen werden, weil man sich dadurch sehr leicht dem Verdacht aussetzt, ein Rassist oder Nazi zu sein.

      [1] de.statista.com/st...alb-altersgruppen/