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Rücktritt nach versuchter BeeinflussungPolitiker faken Leserbriefe

Grünen-Politiker in Schleswig-Holstein schrieben unter falschem Namen an die „Kieler Nachrichten“. Nun sind sie zurückgetreten.

Der Bürger von nebenan? Oder doch ein Lokalpolitiker unter Vorspiegelung falscher Tatsachen? Foto: Pixabay

Rendsburg taz | Das Freibad, Baumfällaktionen am Flüsschen Schwentine, die WLAN-Abdeckung im Ort: Lauter Themen, zu denen Bernd Seiler und Walter Stängel Leserbriefe an die Kieler Nachrichten und ihrer Online-Ausgabe schickten.

Fünf Briefe der beiden offenbar so engagierten Einwohner der Kleinstadt Schwentinental, die dicht bei Kiel liegt, hat die Zeitung zwischen Mai 2018 und Juli 2109 abgedruckt. Nun ergab eine Recherche der Lokalredaktion: Hinter „Bernd Seiler“ und „Walter Stängel“ stecken zwei hochrangige Lokalpolitiker der Grünen. Am Mittwochnachmittag verkündeten beide ihren Rücktritt.

„Uns ist mit Erschrecken klargeworden, dass wir im Moment der Täuschung und Intransparenz selber zu etwas wurden, was wir niemals sein wollten und bei anderen kritisiert hatten“, schreiben sie in einer Erklärung auf der Homepage der Grünen.

Mihlan war seit 2018 Bürgervorsteher des Ortes. In dieser Funktion leitete er die Sitzungen des Stadtrates und übernahm in Absprache mit dem hauptamtlichen Bürgermeister repräsentative Termine für den Ort. Müller war Fraktionsvorsitzender der Grünen, die aktuell mit acht Personen stärkste politische Kraft in der 13.000-Einwohner*innen-Stadt sind. Beide behalten ihre Kreistagsmandate und bleiben in der Grünen-Fraktion.

Identität verschleiert

„Unsere Absicht war, Vorgänge und Themen in unserer Stadt auf zusätzlichem Wege nochmals in der Öffentlichkeit zu beleuchten“, heißt es in der Erklärung weiter. Demnach hätten beide „unabhängig voneinander“ die Leserbriefe geschrieben.

In den Schreiben gaben sie sich große Mühe, ihre wahre Identität zu verschleiern

In den Schreiben gaben sie sich große Mühe, ihre wahre Identität zu verschleiern: „Ich bin gerne auch mal offline, wenn ich zum Beispiel mit meinen Enkeln im Tiergarten spazieren gehe“, heißt es in einem der gefakten Briefe – das klingt nach einem gemütlichen Rentner, nicht nach dem 38-jährigen Mihlan oder dem Mittfünfziger Müller.

Mihlan und Müller hätten „großen Schaden angerichtet“, sagt Volker Sindt, Fraktionsvorsitzender der örtlichen SPD. „Noch nie ist die politische Moral in Schwentinental so tief gesunken.“ Er und Herbert Steenbock von der Wählergemeinschaft SWG hatten die beiden Politiker zum Rücktritt aufgefordert. „Eine Entschuldigung reicht nicht.“

Mihlan und Müller räumen in ihrer Rücktrittserklärung ein, Schaden angerichtet zu haben und entschuldigten sich. Der Kreisvorsitzende Martin Drees äußerte Erleichterung.

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5 Kommentare

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  • erst unter pseudonym veröffentlicht ...

    um dann von volkes stimme zu sprechen.

  • Hä ?



    Das passiert täglich hundertfach, tausendfach...

    Wo ist der Unterschied, ob jemand persönlich unter einer falscher Identität Leserbreife schreibt und einer Partei, die Spin-Doctors und PR-Agenturen dafür bezahlt genau dies zu tun ?

    Der Unterschied ist einfach:



    Ersteres kann potentiell auffliegen.



    Letzeres nicht.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Das ist ja mal eine nette kleine Provinzposse.

    Unlautere Einflussnahme heruntergebrochen auf die "Baumfällaktionen am Flüsschen Schwentine".

  • Traurig, wenn man nicht einmal zu seinem eigenen Wort stehen kann..

    • @Hannes Petersen:

      Ich glaube nicht, dass das der Punkt war. Vermutlich waren die beiden Herren eher überengagiert. Es hat ihnen nicht genügt, als Lokalpolitiker Einfluss zu nehmen, Sie wollten mehr. Sie wollten zugleich für die Gewählten und für die Wähler sprechen. Vielleicht hatten sie ja das Gefühl, nicht alle Menschen zu erreichen in ihrer Funktion. Weil sich zu viele Menschen nicht mehr führen lassen wollen von Leuten, die erkennbar zweierlei Maßstäbe anlegen: einen an sich selber und einen an alle anderen.

      Diese Aktion war vor allem zweierlei: unüberlegt und überflüssig. Auch Politiker sind Bürger. Bürger, die nebenbei einen Job haben. Die Jungs hätten sich also gar nicht verstellen müssen. Leider bringen viele Berufspolitiker Job und Privatleben nicht übereinander. Sie entwickeln so etwas wie eine gespaltene Persönlichkeit, die im „Dienst“ anders denkt und handelt, als sie es privat tut. Die beiden Grünen haben das, was eigentlich jeder längst weiß, bloß sichtbar gemacht mit ihrer Aktion. Womöglich ist die Reaktionen ihrer Politiker-Kolleg*innen (und auch ihre eigenen) deswegen so drastisch ausgefallen: Sie haben eine Art Betriebsgeheimnis an die Konkurrenz verraten. Es ist zu erwarten, dass die sich die Steilvorlage nun zunutze macht, auch wenn bzw. gerade weil sie selbst Dreck am Stecken hat.

      Für mich ist weniger der Missgriff der beiden ertappten Sünder ein Problem, als vielmehr die Reaktion darauf. Sie zeigt mir nämlich nicht nur, dass die Mehrheit der Politiker festhalten will an ihrer Bewusstseinsspaltung. Sie wird sie vermutlich auch in Zukunft vertuschen wollen. Das aber bedeutet, dass sich am miesen Vertrauensverhältnis zwischen Bürgern und Politik auch in Zukunft nichts ändern wird. Nicht zum Positiven jedenfalls. Auch bei den Grünen nicht und nicht in Schwentinental. Das aber ist ganz sicher keine gute Nachricht. Die Probleme, die wir alle miteinander grade haben, können wir nämlich nur gemeinsam lösen. Mit Vertrauen, nicht mit öffentlichen Anprangerungen.