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Regionalwahlen in RusslandPutins Partei hat abgewirtschaftet

Kommentar von Barbara Oertel

Das Ergebnis der Wahlen in Russland, vor allem in Moskau, ist mehr als nur ein Achtungserfolg für die Opposition. Die braucht jetzt eine Strategie.

Abstimmung in Moskau. Hat der Hund auch gewählt? Foto: ap

D a kann Russlands Führung so viel herumlavieren, wie sie will, und versuchen, sich das Abschneiden von „Einiges Russland“ bei den Regional- und Kommunalwahlen schönzu­reden. Die Botschaft der WählerInnen ist eindeutig: Die Kreml-treue Partei, deren einzige Daseinsberechtigung darin besteht, die Politik von Präsident Wladimir Putin durchzuwinken, hat abgewirtschaftet.

Da ist zunächst die Wahlbeteiligung, die vor allem in der Hauptstadt Moskau mit knapp über 20 Prozent unterirdisch niedrig ausgefallen ist. Und das, obwohl auch hier – genauso wie in den anderen Landesteilen – ganze Belegschaften von Betrieben unter Druck gesetzt wurden, ihrer staatsbürgerlichen Pflicht ­nachzukommen. Sich der Stimmabgabe zu verweigern, ist eben auch eine Aussage.

Dass in Moskau immerhin 20 von 45 Sitzen im Stadtrat nicht an VertreterInnen von Einiges Russland gingen und vier VertreterInnen der liberalen Jabloko-Partei den Einzug in die Volksvertretung geschafft haben, ist ebenfalls bemerkenswert. Schließlich waren viele oppositionelle KandidatInnen, die diese Bezeichnung wirklich verdienen, unter fadenscheinigen Begründungen von der Abstimmung ausgeschlossen worden.

Somit scheinen die taktischen Überlegungen des regimekritischen Bloggers Alexej Nawalny teilweise verfangen zu haben. Er hatte die MoskauerInnen ja dazu aufgerufen, gegen Einiges Russland zu stimmen.

Doch genau da liegt auch ein Problem. Denn ein reines Anti-Votum ist eben keine Strategie. Diese müsste die Frage in den Blick nehmen, wie mit der wachsenden Unzufriedenheit der Bevölkerung in puncto wirtschaftliche Lage umzugehen ist und ob und wie die Protestbewegung der vergangenen Wochen verstetigt werden kann.

Auch der Kreml muss sich überlegen, wie er mit dem Ergebnis umgeht. Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass die Zustimmungswerte Wladimir Putins beständig sinken. Er könnte jetzt versucht sein, Einiges Russland durch einen neuen Wahlverein zu ersetzen. Reichen wird das jedoch nicht.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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10 Kommentare

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  • Lesen Sie sich doch bitte mal die Einschätzung von Herrn Clasen durch, Frau Oertel. Da können Sie lernen, wie man Dinge realistisch einschätzt.

  • "ob und wie die Protestbewegung der vergangenen Wochen verstetigt werden kann"

    Und ich dachte es käme darauf an, dass es den Menschen besser geht. Das ist nämlich bei dem buten Gemisch der Opposition nicht gesagt, und unterschlägt auch, dass die Partei einiges Russland ja auch die Probleme der Bevölkerung angehen iund lösen kann. Reiner Protest löst nämlich keine Probleme.

  • Geringe Wahlbeteiligung:



    heißt dass, die WählerInnen wissen, dass die Kommunalwahlen nicht besonders viel bewirken?

  • Diktatoren wird man nicht durch Wahlen los. Ist leider so. Man muss sie stürzen.

  • Wag the Dog

    Zitat: „Dass in Moskau immerhin 20 von 45 Sitzen im Stadtrat nicht an VertreterInnen von Einiges Russland gingen und vier VertreterInnen der liberalen Jabloko-Partei den Einzug in die Volksvertretung geschafft haben, ist ebenfalls bemerkenswert.“

    Bemerkenswert ist es auch, wie sich Frau Oertel um die Mitteilung drückt, wer denn nun dem den vier Jabloko-Leuten die anderen Putin-Gegner sind, die in den Moskauer Stadtrat gewählt wurden, nämlich - quel horreur - 12 Kommunisten, die damit ihre Sitzeinzahl mehr als verdoppeln konnten. Diese Zahlen widerspiegeln das politische Kräfteverhältnis zwischen der kommunistischen auf der einen und der pro-okzidental-liberalen Fraktion der Anti-Putin-Opposition auf der anderen Seite. Daraus folgt die Erkenntnis, letztere als exklusive Oppositionskraft zu betrachten, wie dies in den Corporate-Media einschl. der „Taz“ einhellig geschieht, hieße, den Hund mit dessen Schwanz zu verwechseln.

    • @Reinhardt Gutsche:

      In allen sog. Mainstreammedien wird ignoriert, dass die KPRF (so auch mal kurz im heute-journal zu sehen, gut man muss natürlich Grundkenntnisse der kyrillischen Schrift haben) die zweitstärkste Kraft geworden ist wird mit keine Silbe erwähnt. Es kann ja auch in der taz nicht sein, was nicht sein darf...