: Agrarwende jetzt
Der Weltklimarat IPCC fordert einen Kurswechsel, um die Erderhitzung zu bekämpfen und die Welternährung zu sichern. Das Potenzial für klimagerechte Landwirtschaft sei riesig
Von Bernhard Pötter
Donnerstag morgen, 10 Uhr, Pressekonferenz des Weltklimarats IPCC in Genf. Kurz vor Beginn schreit im Saal ein Baby. „So fühlen wir uns auch“, sagt IPCC-Sprecher Jonathan Lynn. Es wird nicht klar, ob er darauf anspielt, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler übermüdet sind. Oder ob sie ihren Report einfach zum Heulen finden.
Das Ergebnis aus drei Jahren Arbeit von 107 ExpertInnen ist ein Meilenstein. Mit deren Stimmen und jenen von RegierungsvertreterInnen erklärt der Klimarat: Nur mit einer weltweiten Agrarwende ist effektiver Klimaschutz machbar – und nur echter Klimaschutz sichert die Land- und Forstwirtschaft, die die Lebensmittel für die Menschheit produziert.
In dieser gegenseitigen Abhängigkeit von Klima und Landnutzung lässt sich die Erderhitzung nur mit einer naturnäheren Landwirtschaft, dem Ende der Waldzerstörung und weniger Fleischkonsum bis 2100 bei 1,5 oder 2 Grad stoppen. Gleichzeitig ist aber auch eine schnelle Reduktion der Treibhausgase nötig, um die fruchtbaren Böden zu sichern, die Wüsten zurückzudrängen und die Ernährung von demnächst etwa 9 Milliarden Menschen zu garantieren.
Der „Sonderbericht zu Klimawandel und Land“ setzt die Politik weiter unter Druck. Er kommt einen Monat vor dem großen „Klima-Aktions-Gipfel“ von UN-Generalsekretär Antonio Guterres in New York. Der will endlich Taten sehen.
Denn die Fakten sprechen auch im Fall Klima und Landnutzung gegen ein Weiter-so: Die Menschen nutzen 70 Prozent der eisfreien Erdoberfläche für die Landwirtschaft. Momentan trägt die Land- und Forstwirtschaft 23 Prozent zur Erderwärmung bei. Nie war der Bedarf der Menschen an Süßwasser und Kalorien so hoch wie heute.
Das hat Konsequenzen: Ein Viertel allen urbaren Landes hat nach dem Bericht der ExpertInnen durch menschliche Aktivitäten bereits an Qualität verloren, 500 Millionen Menschen waren zwischen 1980 und 2000 von wachsenden Wüsten betroffen – und 2 Milliarden Menschen weltweit haben Übergewicht, während 821 Millionen unterernährt sind.
Unter der Hitze und den zunehmenden Dürren und Extremniederschlägen leiden Äcker, Wälder und Graslandschaften ganz besonders, stellen die ForscherInnen fest. Während sich der Globus im Durchschnitt gegenüber der Zeit von 1850 bis 1900 um 0,87 Grad Celsius erwärmt hat, ist es über den Kontinenten im Schnitt um 1,53 Grad wärmer geworden. Die Vegetationsgebiete dehnen sich zu den Polen aus, aber in der Nähe des Äquators wird es für den Anbau von Mais und Weizen schwierig.
Koko Warner, Wissenschaftlerin beim UN-Klimasekretariat und eine der Autorinnen des Berichts, weist auf die „Kombination der Risiken“ aus Wasserarmut, Feuer, Dürren und dem Verlust von Böden hin. Wenn sich das Klima um mehr als 3 Grad erwärme – was mit den bisherigen Klimaplänen der Staaten gut möglich ist –, „könnten wir einen katastrophalen Rückgang der Ernten in den Tropen sehen“. Die Theorie, dass solche Rückgänge durch besseren Welthandel auszugleichen sind, „hat leider in den letzten Jahren nicht funktioniert“.
Auch die Hoffnung, höhere Temperaturen und mehr CO2 in der Luft führten zu besserem Wachstum von Pflanzen, teilt der Report nicht. Er notiert dieses „globale Ergrünen“ auf mehr Fläche, aber ebenso das „globale Erbraunen“, wenn die Vegetation vertrocknet. Allerdings seien mit weiter steigenden Temperaturen „die Trends hier negativ“, sagt Hans-Otto Pörtner, Meereswissenschaftler vom Alfred-Wegener-Institut und einer der Leitautoren.
Während die ExpertInnen in Genf tagten, breiteten sich die Waldbrände in Sibirien auf eine Größe aus, die etwa der Hälfte Deutschlands entspricht. Der Bericht warnt auch ausdrücklich vor höherer Gefahr durch Waldbrände und durch tauenden Permafrostboden. Aufforstung und Wiederherstellung von Wäldern werden begrüßt, allerdings warnen die ExpertInnen davor, darin ein Allheilmittel zu sehen: Für eine Aufforstung, die einen Einfluss auf die CO2-Pegel hätte, sei eine Fläche von etwa 7 Millionen Quadratkilometern mit Bäumen zu bepflanzen – das wäre zweimal die Fläche Indiens. Niemand weiß, wo solche Flächen herkommen sollen.
Sorge macht den ExpertInnen auch, dass die Aufnahme von CO2 durch die Pflanzen, die im letzten Jahrzehnt jährlich rund 11 Milliarden Tonnen ausmachte (etwa ein Drittel dessen, was die Menschen in die Luft blasen), nachlassen könnte. In den Ozeanen, die den Löwenanteil des menschengemachten CO2 schlucken, ist dieser Trend schon zu beobachten – auch deshalb wird im September der nächste IPCC-Bericht zu den Ozeanen mit Spannung erwartet.
Die WissenschaftlerInnen haben aber auch positive Nachrichten: Durch ein Umsteuern lassen sich manche Effekte vermindern oder vermeiden, was zu mehr Klimaschutz, sichereren Ernten und besseren Lebensbedingungen führen könne. Für nachhaltige Landwirtschaft und Armutsbekämpfung brauche es „besseren Zugang zu Märkten, sichere Landrechte, die Anrechnung von Umweltschäden in den Preisen, eine Bezahlung für die Dienstleistung der Ökosysteme“ und mehr Rechte für lokale Beteiligte, vor allem für Frauen. Die Potenziale für eine grüne Wende sind demnach gigantisch: Bisher verdirbt fast ein Drittel der Ernte, bessere Planung und Technik könnten das ändern. Ein Ende der Entwaldung, eine andere Viehhaltung und Landwirtschaft und weniger Fleischkonsum zusammen könnten im Idealfall über 20 Milliarden Tonnen CO2 sparen, etwa die Hälfte aller heutigen Emissionen. Trotzdem sei ein schneller Ausstieg aus den fossilen Energien nötig.
Die Zeit drängt nämlich. Das hat nicht zuletzt der letzte Sonderbericht des IPCC vom Oktober 2018 zum 1,5-Grad-Ziel gezeigt. Die ExpertInnen schlagen deshalb der Politik „zeitnahe Aktion“ vor: bessere Aufklärung über Anbaumethoden, Gebrauch digitaler Technik auf dem Feld, Kampf gegen die Wüsten, Sicherung der fruchtbaren Böden. Die Rechnung könne aufgehen, meinen die ExpertInnen: Landsicherung in Trockengebieten bringe „drei- bis sechsmal so viel Ertrag wie der Bodenwert“, nachhaltige Landwirtschaft zahle sich nach drei bis zehn Jahren aus. Dafür brauche es allerdings Investitionen von am Anfang im Schnitt 500 Dollar pro Hektar.
Das aber würde sich lohnen. Denn der Wert aller Dienstleistungen, den die Natur erbringt, entspricht laut IPCC-Bericht der gesamten weltweiten Wirtschaftsleistung, etwa 90 Billionen US-Dollar.
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