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Digitalisierung im HügellandErsehntes Internet

Das Amt Süderbrarup ist als eine von bundesweit 13 Regionen für das Modellprojekt „Smart Cities“ ausgewählt worden. Und nun?

Noch fahren die Autos nicht autonom: Die Hauptstraße von Süderbrarup Foto: Esther Geißlinger

Süderbrarup taz | Seine Vision von Süderbrarup im Jahr 2030 kann Amtsvorsteher Thomas Detlefsen bereits beschreiben: Auf den Straßen rollen autonome Fahrzeuge, im Amt haben sich High-Tech-Firmen angesiedelt, aus Dorfläden sind Kultur-Treffpunkte geworden.

Noch ist davon in Süderbrarup nichts zu sehen. Bei einem Besuch vor wenigen Wochen flatterten über der Hauptstraße gelb-blaue Girlanden. Auf dem Dorfplatz gegenüber der Kirche aus gelben Ziegelsteinen standen Karussells und Wurstbuden. Sie gehörten zum Brarup-Markt. Der findet seit 1593 jährlich statt und steht für Tradition.

Aber Süderbrarup, gelegen im Hügelland nördlich der Schlei, plant mit dem dazugehörigen Amt den Sprung in die Zukunft. Die Dörfergemeinschaft ist als eine von 13 Region bundesweit für das Modellprojekt „Smart Cities“ des Bundesinnenministeriums ausgewählt worden. Es geht um neue Konzepte für die Digitalisierung.

Um im Kreis der anderen „Smart Cities“ zu bestehen, „müssen wir pfiffiger sein als die Städte“, sagt Detlefsen. Für den Amtsvorsteher kommt das Projekt genau richtig: „Wir stehen vor einer neuen industriellen Revolution.“ Der CDU-Lokalpolitiker ist einer dieser quirligen Norddeutschen, die das Gegenteil des bräsigen Klischee-Fischkopps darstellen. Über die Herausforderungen, vor denen der ländliche Raum aktuell steht, macht er sich keine Illusionen: „Es zieht alle in die Metropolen.“

norden for future

Welche Ideen haben Vereine und EinzelkämpferInnen, aber auch Gemeinden und Städte, um Klimawandel und Umweltproblemen im Norden zu begegnen? Die taz nord stellt das Ringen um die Zukunft in loser Folge vor.

Dabei bietet das platte Land eigentlich beste Chancen, sind sich Detlefsen und der Leitende Verwaltungsbeamte des Amtes, Normen Strauß, einig. Es gelte nur, diese Botschaft zu transportieren und Arbeitsplätze wie Menschen aus den Zentren zurück in die Dörfer zu bringen. „Jeder ist heute online, und es ist egal, wo man arbeitet“, sagt Detlefsen. Warum also nicht dafür sorgen, dass FerienhausbesitzerInnen sich dauerhaft ansiedeln? Wenn die Infrastruktur stimme, könnten die Leute ganzjährig im Ort bleiben, auch gern in neuen Co-Working-Spaces.

Das Problem: Gerade die digitale Infrastruktur ist zurzeit noch „bescheiden“, sagt Detlefsen und grinst. Auf der Ideen-Liste, mit der sich das Amt um die Teilnahme am Projekt beworben hat, steht „freies Wlan“ weit oben. Zurzeit gibt es auch gegen Geld längst nicht überall ein gutes Netz. Und das ist nicht die einzige – nun, Detlefsen nennt es: Herausforderung.

Das Hügelland am Ostsee­fjord Schlei ist seit Urzeiten besiedelt, in einem See in Süderbrarup fanden sich Opfergaben aus der Eisenzeit. Das Dorf liegt an einer Hauptstraße, entsprechend zieht sich der Ortskern in die Länge. Über 4.000 Menschen leben im Zentralort, einige in Dörfern wie Dollrottfeld mit weniger als 300 Personen. 2015 lag das Durchschnittsalter bei 45 Jahren, aber „die Alterung nimmt erkennbar zu“, prognostiziert das Ortsentwicklungskonzept.

Wie sollen sich diese Menschen künftig bewegen, wie werden sie einkaufen, wo ihre Freizeit verbringen? Um solche Fragen geht es im Projekt „Smart Cities“, für das Großstädte wie Ulm und Wolfsburg, Mittelstädte wie Kaiserslautern und Cottbus und ländliche Gebiete wie Landkreis Wunsiedel und eben das Amt Süderbrarup ausgewählt wurden.

Weitere Orte sollen folgen, das Projekt ist auf zehn Jahre angelegt. Der Bund, zuständig ist Horst Seehofers (CSU) „Heimatministerium“, will in diesem Zeitraum rund 50 Modellprojekte mit etwa 750 Millionen Euro fördern. Für die erste Runde stehen rund 150 Millionen Euro bereit.

Doch wie viel davon nach Süderbrarup fließt und was genau damit passiert, „darüber müssen wir sprechen“, sagt Detlefsen. Ab Herbst wird es Workshops geben, die allen EinwohnerInnen offen stehen. Detlefsen rechnet mit spannenden Gesprächen: „Als wir Modellregion geworden sind, kamen Anrufe von Leuten, die sich schon seit Jahren mit Digitalisierung beschäftigen.“ Aber ja, es gebe auch andere, „die sich noch nicht so richtig befasst haben“. Die dürften nicht abgehängt werden.

Vernetzte Bauernhöfe

Denn es wird Änderungen geben, auch harte. Braucht es zum Beispiel wirklich noch kleine Dorfläden? „Man kann Lebensmittel online bestellen“, sagt Detlefsen. Und zwar regionale Produkte: „Beim Wochenmarkt stehen die Leute Schlange vor den Ständen.“ Warum also nicht Bauernhöfe, Landschlachter und Molkerei über eine Plattform verbinden? Digitalisierung als Chance: „Solche Ideen müssen in die Köpfe rein.“

Die Region lebt von Landwirtschaft, Tourismus und „sozialen Einrichtungen“, die Dichte an Pflegeheimen ist hoch. Und es wird Energie erzeugt, vor allem über Sonnenkollektoren. Auch Wasserstoff ist ein Thema, das im Kreis Schleswig-Flensburg vorangetrieben wird. „Energie ist der Schlüssel“, sagt Detlefsen.

In den kommenden Monaten soll aus dem Bündel an Ideen, das von Elektro-Tanksäulen über ein „Datenmanagementsystem für die Verwaltung“ bis zu Mäh-Robotern für die Sportplätze reicht, ein Konzept werden, das das Amt umsetzen will.

Nur eines bleibt unverändert: der Brarup-Markt, das älteste Volksfest der Region. Das Amt hat ihn gerade als immaterielles Weltkulturerbe vorgeschlagen.

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