Merkels Sommer-Pressekonferenz: Endzeitstimmung vertagt
Schon bald stehen wichtige Wahlen im Osten an – für die CDU steht dabei viel auf dem Spiel. Doch die Kanzlerin bleibt gelassen. Erstmal gibt's Ferien.
Gerade die letzte Woche hatte es in sich. In Brüssel hat Merkels Vertrauensfrau Ursula von der Leyen um das Amt der EU-Kommissionspräsidentin gekämpft und – unter Mithilfe der deutschen Regierungschefin – gewonnen. In Berlin hat Merkels Kandidatin fürs Kanzleramt die Bundesverteidigungsministerin abgelöst. Annegret Kramp-Karrenbauer ist nun nicht mehr nur „zu 100 Prozent Parteivorsitzende“, sondern auch noch Ministerin – was nicht allen in der CDU gefällt.
Aber all dies war nur ein Klacks angesichts dessen, was auf die Regierungschefin und deren Kabinett nach der sitzungsfreien Zeit zukommt. Am 20. September soll das Klimakabinett entscheiden, ob es eine Bepreisung von Kohlendioxid-Emissionen geben soll. Der Bundestag soll die teilweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags beschließen und ein Bürokratieentlastungsgesetz angehen. Zwischendurch werden in Brandenburg, Sachsen und Thüringen Landtagswahlen abgehalten – es wird mit Zugewinnen der AfD gerechnet, die CDU könnte abschmieren.
Und dann wäre da noch die SPD, die bekanntlich gerade einen oder zwei neue Vorsitzende sucht. Gut möglich, dass KandidatInnen sofort aus dem Rennen sind, die nicht den Gang aus der Koalition versprechen. Soll heißen: Alles, was Angela Merkel an diesem Julitag in Berlin verspricht, könnte – mangels Regierungspartner – schon bald ohne Belang sein.
Zack, Armageddon wäre vergessen
Es wäre also eigentlich alles angerichtet für Endzeitstimmung vor den letzten großen Ferien vor dem Weltuntergang. Aber Krisen konnten Merkel bekanntlich noch nie etwas anhaben, zumindest nicht so, dass es für Außenstehende sichtbar wird. Falls irgendwann einmal ein riesiger Asteroid auf die Erde zustürzt, wäre die Kanzlerin für die letzten Stunden die denkbar angenehmste Gesellschaft – das ist der Eindruck, den die 65-Jährige an diesem Vormittag hinterlässt. Womöglich würde sie das Fernsehprogramm, den Busfahrplan oder den Wetterbericht vorlesen. Zack, Armageddon wäre vergessen.
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Als die Pressekonferenz eine Stunde läuft, spricht ein Journalist die Situation der SPD an – und deren Sehnsucht danach, die Koalition bald zu sprengen. Ob Merkel nicht die Sozialdemokraten bei der Stange halten könne? „Wir haben einen Koalitionsvertrag und der bleibt die Grundlage“, antwortet die Kanzlerin. Da stünden Projekte drin und die setze man durch. Die SPD mache übrigens auch nach dem Rücktritt von Andrea Nahles alles ganz hervorragend. Der Interimsvorstand sei sehr verlässlich, man könne die Regierungsarbeit sehr wohl weiterführen. Und dass SPD-Politiker der CDU Wortbruch vorwerfen, weil Kramp-Karrenbauer ins Kabinett eintritt, obwohl sie das erst ausgeschlossen hatte? „Wissen Sie, es wird so viel gesprochen.“ Asteroid? Pff, welcher Asteroid?
Am Ende dieser Woche sieht es erst mal so aus, als ob Merkel mit den Personalwechseln in Brüssel und Berlin ein Erfolg gelungen wäre. Ihre aktuelle Wunschnachfolgerin Kramp-Karrenbauer in eine gute Startposition gehievt: Zwei Jahre bleiben der Saarländerin maximal, um sich als Ministerin zu profilieren und fürs Kanzleramt zu empfehlen.
Die Realität könnte von dieser Vorstellung freilich sehr schnell abweichen. Im Verteidigungsministerium warten allerhand Probleme auf Kramp-Karrenbauer: Nach der Sommerpause stehen Haushaltsverhandlungen im Bundestag an. Nach bisherigen Planungen wird der Militäretat weniger stark ausfallen als zuletzt – Union und Bundeswehr könnten das der Ministerin direkt als Niederlage anlasten. Im Beschaffungswesen der Armee hakt es noch immer. Und auch das Pannenschiff „Gorch Fock“ hat von der Leyen ihrer Nachfolgerin überlassen. Nebenbei muss sich Kramp-Karrenbauer als CDU-Chefin um die Landtagswahlen im Osten kümmern – und hinterher womöglich die Niederlagen schönreden. Ziemlich viel für eine Person.
„Man war ja fleißig in der DDR“
Aber auch das bringt Merkel heute nicht aus der Ruhe. „Ich glaube, dass man ein Staatsamt sehr wohl mit dem Vorsitz einer Partei verbinden kann“, sagt sie. Die Doppelbelastung wird Kramp-Karrenbauer schon aushalten. Nächste Frage.
Nur wenige hundert Meter vom Haus der Bundespressekonferenz entfernt spricht zur selben Zeit Greta Thunberg. Die schwedische Klimaaktivistin ist nach Berlin gekommen, um beim Friday for Future vor 2.000 UnterstützerInnen zu sprechen. Die 16-Jährige kritisiert Entscheidungsträgerinnen wie die deutsche Kanzlerin: Diese würden ihrer Verantwortung im Kampf gegen die Klimakrise nicht gerecht. Merkel wiederum geht auf die Proteste ein. Greta und Co. hätten die Bundesregierung „sicherlich zur Beschleunigung getrieben“, sagt sie. Jede Entscheidung müsse aber zuvor bedacht und abgeklopft werden. „Es gibt niemanden in der Bundesregierung, der die Klimaziele in Frage stellt.“
Anderthalb Stunden dauert die Pressekonferenz. Thematisch geht es quer durch den Gemüsegarten. Steuerpolitik und Seenotrettung, das Dublin-Abkommen, Gesundheitspolitik („Er schafft ’ne Menge weg“, sagt Merkel über Minister Jens Spahn), Italiens Regierungskrise und der Iran, Verkehrspolitik und Waffenexporte.
Für ihre Verhältnisse in Fahrt kommt Merkel beim Thema Ostdeutschland, das sie beharrlich „neue Länder“ nennt. Die Menschen in der DDR hätten Techniken fürs Leben entwickelt, die man heute nicht mehr brauche. „Schnell gucken, ob es noch Tempotaschentücher gibt und dann zugreifen – oder Tomatenmark hamstern“ – jüngere oder ausländische ZuhörerInnen dürften nur Bahnhof verstanden haben, als Merkel von Mangelwirtschaft und Vorratskultur erzählt. „Und das bekümmert einen natürlich manchmal“, sagt sie. „Wir waren ja, man war ja fleißig in der DDR.“ Viele Menschen, die vielleicht nach der Wende arbeitslos geworden seien, fragten sich, was sie für die Gesellschaft beitragen könnten. „Und das kann man nicht einfach mit einem Federstrich wiedergutmachen.“
Schließlich, ganz am Ende, fährt die Kanzlerin noch eine diplomatische Breitseite gegen Donald Trump. Auf die Frage, ob sie an der Seite der vom US-Präsidenten rassistisch angegriffenen Kongressabgeordneten stehe, sagte sie: „Ja. Ja, ich distanziere mich davon entschieden und fühle mich solidarisch mit den drei attackierten Frauen.“ Donald Trump, der – eigentlich: vier – nichtweißen Abgeordneten geraten hatte, doch dahin zurückzugehen, „wo sie herkommen“, dürfte nicht erfreut sein. Es wird wohl dieses „Ja“ sein, das von der 2019er Sommerpressekonferenz bleibt.
Ob Angela Merkel die Herausforderungen der kommenden Monate meistert, wird man sehen. Sie erweckt nicht den Eindruck, als habe sie genug von der Politik. Aber – das hinzuzufügen gebietet die Pflicht – dieses Gefühl hat man praktisch jedes Jahr nach der Sommerpressekonferenz.
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