heute in hamburg: „Die Geschichte der Frauen wird ausgelassen“
Vortrag und Diskussion: „Geschichte und Aktualität der Frauenbewegung in der Bundesrepublik“, mit Gisela Notz, Von-Melle-Park 9, Raum S27, 18 Uhr
Interview Julika Kott
taz: Frau Notz, wie sichtbar sind Frauenbewegungen in der deutschen Geschichte?
Gisela Notz: Heutzutage wird mehr darüber veröffentlicht, aber insgesamt sind Frauen in der Geschichte viel weniger präsent als Männer. Geschichte wird hauptsächlich durch Männer geschrieben. Es wurde von den Frauen zu wenig dokumentiert und an Archive übermittelt, sodass die Quellenlage in der Frauenbewegung sehr dünn ist. Das kritisierte die westdeutsche Frauenbewegung schon lange: Man spricht von „HISstory“ und eben nicht von „HERstory“.
Weil in Geschichtsbüchern nur Männer zu sehen sind?
Genau, es werden namhafte Männer gezeigt, aber die Geschichte der Frauen und der unteren Schichten wird weitestgehend ausgelassen. Dagegen wollen wir ankämpfen und deshalb beschäftigen wir uns als Feministinnen auch verstärkt mit Frauengeschichte.
Wie sind Kapitalismus und Sexismus verknüpft?
Wir sprechen schon lange vom kapitalistischen Patriarchat oder vom patriarchalen Kapitalismus, um diese enge Verknüpfung aufzuzeigen. Der Kapitalismus beruht sowohl auf der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und auf der Frauenunterdrückung als auch auf der Ausbeutung der Arbeiterklasse.
Welche Rolle spielt Hamburg in der Geschichte der Frauenbewegungen?
Hamburg war schon immer eine frauenbewegte Stadt und spielte als Hafenstadt eine große Rolle in der Arbeiterinnenbewegung.
Gisela Notz, geboren 1942, ist Sozialwissenschaftlerin und Historikerin mit Schwerpunkt auf der historischen Frauenforschung.
Gab es da besondere Protagonistinnen?
Luise Zietz war eine führende Sozialdemokratin und Wahlrechtskämpferin, die beim Arbeiterstreik 1896/97 die Frauen der Hafenarbeiter in eigens dafür organisierten Versammlungen dazu aufrief, ihre Männer beim Streik zu unterstützen. Auch Alma Wartenberg war eine wichtige Figur der Hamburger Frauenbewegung, die sich für die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen stark machte. Sie organisierte Veranstaltungen zur Aufklärung und verkaufte sogar Verhütungsmittel aus ihrem kleinen Koffer – das war damals strafbar.
Vor welchen Herausforderungen stehen Frauenbewegungen heute?
Angesichts der wieder erstarkten rechtspopulistischen, konservativen AkteurInnen, die das Rad der Zeit zurückdrehen wollen, brauchen wir breite Bündnisse zur Organisierung von Widerstand gegen Privatisierung, Ausgrenzung, Gewalt und Unterdrückung.
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