: Ab in die Ferien? Eher Arbeitsurlaub
Bis August pausiert auch der Politikbetrieb. Aber nur vordergründig. Jenseits offizieller Termine basteln die einen Parteimitglieder an ihrer Wiederbelebung, die anderen an ihrem Höhenflug
Von Stefan Alberti
Kein Unterricht mehr, Schulen dicht. Das heißt auch: keine Parlamentssitzungen bis Mitte August, nur noch alle zwei Wochen eine Zusammenkunft des Senats, keine Parteitage. Pausiert also der Politikbetrieb der Stadt ab jetzt? Könnte man mit Blick auf den leeren Terminkalender meinen. Aber die zugespitzte Lage bei SPD und CDU sorgt dafür, dass es jenseits offizieller Termine auch in den Sommerferien in der Landespolitik weitergeht, vom Telefonat bis zum Papiere-Schreiben, von Personalspielen bis zur verzweifelten Suche nach neuen Ideen und Inhalten, mögen es auch über 30 Grad im Schatten sein.
Im Erika-Heß-Saal in der SPD-Landeszentrale ging es schon jüngst heiß her. Was nur teilweise am Absturz der Partei lag. Die Klimaanlage war ausgefallen, und die rund 40 Mitglieder des Landesvorstands bekamen nicht nur wegen der Umfragemisere Schweißausbrüche. 16 Prozent hatten nach 15 Prozent in der vorigen Woche wieder leichte Hoffnung geweckt, doch am nächsten Morgen würde der Tagesspiegel nur noch 14,7 Prozent Zustimmung für jene Partei vermelden, für die einst Willy Brandt Berlin regierte. Bei der SPD und nicht minder bei der CDU – auf 14 Prozent abgesackt und gleichfalls keine Volkspartei mehr – drängt auch im Hochsommer die Frage: Wie kommen wir wieder an mehr Wähler heran? Bei der CDU gilt da ausdrücklich der Zusatz: „und an mehr Wählerinnen“. Und mit welchem Spitzenpersonal? Nehmen sich beide Parteien ihre Bundesspitzen zum Vorbild, dürfte neben allen inhaltlichen Überlegungen immer die Frage stehen: Wer kriegt das hin?
Bei der SPD wollten dem Vernehmen nach die Jusos schon den Aufstand proben und Regierungschef Michael Müller bald als Landesvorsitzenden ablösen. Allein ist die Lage der Berliner Jusos eine besondere, weil in ihren Reihen ja der ist, der vielleicht mal die ganze SPD bundesweit führen soll: Kevin Kühnert, dem der Spiegel in der vergangenen Woche sein Titelbild widmete. „Die wollen nicht unangenehm auffallen“, heißt es von einem, der gern an Michael Müller festhalten möchte. Und so wird es in diesem Sommer bei den Sozialdemokraten in vielen informellen Gesprächen absehbar eher darum gehen, wie die Berliner SPD die Führungssuche auf Bundesebene begleitet.
Anders sieht die Lage bei der CDU aus. Dort muss dem Vernehmen nach Fraktionschef Burkard Dregger befürchten, sein Amt zu verlieren. Dagegen spricht allerdings: Der neue CDU-Landesvorsitzende Kai Wegner erwähnte bei seiner Kandidatur Dregger ausdrücklich als möglichen Spitzenkandidaten für die nächste Abgeordnetenhauswahl, die regulär im Herbst 2021 ansteht. Setzten sich nun jene durch, die Dregger weghaben wollen, so hieße das auch, dass er sich da in Sachen Dregger schön verschätzt hätte. Das wäre kein gutes Zeichen zum Start als neuer Landesvorsitzender – Wegner ist gerade mal einen Monat im Amt.
Als möglicher Nachfolger Dreggers gilt Mario Czaja. Er wollte den Job schon vor einem Jahr, ließ sich aber von der damaligen Parteichefin Monika Grütters bereden, auf eine Kandidatur zu verzichten. Als neuer Fraktionschef hätte Czaja erst mal oder sogar dauerhaft damit zu kämpfen, dass ihm als damaligem Sozial- und damit zuständigem Senator die unhaltbaren Zustände 2015 bei der Flüchtlingsregistrierung angelastet würden. Aber Czaja, gerade mal 43, hat Zeit. Er ist zudem als erfolgreichster Wahlkreiskandidat der ganzen Stadt nur wenig von seiner Partei abhängig.
Noch ein Wechsel nach dem an der Parteispitze würde aber nicht zu dem beitragen, was Wegner als Landesvorsitzender anstrebt und auch in den kommenden Wochen trotz offizieller Sommerpause mit vielen Telefonaten verfolgen dürfte: den Landesverband wieder zu einen und aus 12.000 teils nur formellen Mitgliedern eine wahlkampffähige Formation zu machen. Nach den Ferien sollen vier Regionalkonferenzen dafür sorgen, dass die Partei wieder weniger über sich selbst diskutiert, sondern darüber, wie sie aus ihrem historischen Umfragetief von 14 Prozent wieder herauskommt.
Die Grünen wiederum werden gleichfalls nicht zwei Monate auf Pausenmodus schalten können. Denn nach den Ferien sind es selbst bis zur regulären Neuwahl des Abgeordnetenhauses nur noch zwei Jahre. Und damit drängt sich die Frage auf, wer auf dem Wahlzettel bei ihnen vorne stehen soll. Wieder wie 2016 Ramona Pop als damalige Fraktionschefin und jetzige Wirtschaftssenatorin? Denn das ist diesmal weit bedeutsamer: Nach jetzigem Umfragestand übernähme die grüne Spitzenkandidatin von SPD-Mann Müller die Führung der Regierung – was es in Berlin noch nie gab und bundesweit nur in Baden-Württemberg. Insofern geht es den Berliner Grünen wie der CDU auf Bundesebene: Sie müssen als stärkste Parteien mehr als alle anderen auf vorzeitige Neuwahlen vorbereitet sein.
Denn es ist durchaus offen, ob es überhaupt noch zwei Jahre dauert, bis wieder Wahlzettel fürs Abgeordnetenhaus auszufüllen sind. Schon vor zwei Wochen, als der grüne Justizsenator Dirk Behrendt mit seinem unentschuldigten Fehlen das Parlament brüskierte, gingen die Spekulationen so weit, das Ganze solle die SPD provozieren und die Koalition beenden. Das war schon stark zugespitzt. Aber bei der derzeitigen Lage drängen sich solche Überlegungen zwangsläufig auf: Würde jetzt gewählt, bekämen die Grünen fast so viele Stimmen wie Linkspartei und SPD zusammen, würden zwangsläufig das Rote Rathaus erobern und viele Sitze im Abgeordnetenhaus für neue Parlamentarier. Wie schnell so ein Höhenflug vorbei sein kann, erlebten Pop und Behrendt als Parlamentarier 2011 mit: Da schien die damalige Spitzenkandidatin Renate Künast mit um die 30 Prozent in Umfragen schon auf direktem Weg ins Rote Rathaus – doch bis zum Wahltag rutschten die Grünen noch auf 17,6 Prozent ab.
Und als wenn das nicht schon reichen würde, sind da noch ein paar andere Themen in diesem Sommer zu klären oder zumindest weiter zu diskutieren. Vor allem: Was machen mit dem Volksbegehren „Deutsche Wohne & Co. enteignen“, das vergangene Woche die nötigen Unterschriften einreichte, um sein Projekt in die nächste Stufe zu tragen? Das Abgeordnetenhaus kann das Begehren übernehmen und mit leichten Nachbesserungen selbst beschließen. Erst mal prüft nun die Senatsverwaltung für Inneres das Vorhaben. Die Grünen drängten schon Mitte Mai dazu, sich mit den Initiatoren zusammenzusetzen.
Funktioniert das nicht, steht die zweite Unterschriftensammel-Stufe an, die zu einem Volksentscheid führen könnte. Die SPD hat sich als einzige der drei Regierungsparteien noch nicht hinter das Volksbegehren gestellt – erst beim nächsten Parteitag Ende Oktober will sie sich festlegen.
Abzuwarten bleibt auch, wie das Verfassungsgericht über die Zulässigkeit eines anderen Volksbegehrens entscheidet: jenes zu mehr Videoüberwachung, angeschoben vom CDU-Bundestagsabgeordneten Thomas Heilmann und vom Ex-Bürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD). Nachdem das Volksbegehren in der ersten Stufe genug Unterschriften sammelte, liegt die Forderung nach mehr Videoüberwachung nun schon seit Herbst beim Gericht – die SPD-geführte Senatsverwaltung für Inneres hielt es nach halbjähriger Prüfung für nicht rechtmäßig und leitete es dorthin weiter. Bis Mitte vergangener Woche gab es noch keinen Verhandlungstermin.
Und auch die FDP könnte in den ersten heißen Ferientagen überraschen: Fraktionschef Sebastian Czaja schließt weiter nicht aus, den Volksentscheid zur Offenhaltung des Flughafens Tegel ebenfalls am Verfassungsgericht durchsetzen zu lassen. In den nächsten ein, zwei Wochen, sagte Czaja jüngst zur taz, solle es Neues geben. Also ab in die Ferien? Klingt alles eher nach Arbeitsurlaub.
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