Kulturstandort in Berlin-Mitte: Alte Münze bald poliert
Der zähe Streit um die Alte Münze in Mitte könnte gelöst sein: Es zeichnet sich ab, dass dort demnächst ein Standort für bedrohte Kultur entsteht.
Ein kulturpolitisches Experiment geht in die nächste Runde: 40 Personen haben sich in vier Workshops zwischen Februar und Juni mit der Zukunft der Alten Münze in Mitte beschäftigt. Sie haben Vorschläge erarbeitet für einen Nutzungsmix, eine Betreiber- und eine Finanzierungsform. Ende letzter Woche übergaben sie nun ihre Ergebnisse in einem abschließenden öffentlichen Forum vor Ort der Politik.
Trotz unklarer Finanzierung und Wünsche, die gegensätzlicher kaum sein könnten – die Hälfte der an den Workshops beteiligten Personen war gesetzt und stammte aus Interessengruppen wie der Koalition Freie Szene und aktuellen Zwischennutzern, die andere Hälfte wurde unter Bewerbern ausgelost – haben sie tatsächlich ein schlüssiges Konzept dargelegt, wie die Alte Münze nach ihrer Sanierung ab 2026 mit Inhalten gefüllt werden könnte. Damit ist das große Areal im Herzen Berlins, zwischen Humboldt Forum, Haus der Statistik und Märkischem Museum, mit Blick auf Fischerinsel und Nikolaiviertel, an einem Punkt, wo es noch nie war.
Die Geschichte der Alten Münze verlief holprig: Von 1936 bis 1942 von den Nazis erbaut, wurden in der Alten Münze noch bis 2006 Geldstücke geprägt. Seitdem herrscht gelinde gesagt Gerangel um das Gewerbegebiet mit stolzen 15.000 Quadratmetern Fläche. Bereits 2008 wollte ein Projektentwickler die Alte Münze kaufen und in Büros und Luxuswohnungen investieren. In der Finanzkrise zog er zurück.
Erste Mieter im Direktorenhaus
2011 gewannen die Kuratoren Pascal Johanssen und Katja Kleiss als eine von 15 Bewerbergruppen ein kulturelles Konzeptverfahren mit einem Projektvorschlag zu einem Designforum, den sie immer weiter ausgearbeitet und auch im aktuellen Verfahren eingereicht haben. Die beiden betreiben seit 2009, als erste Mieter auf dem Areal im Direktorenhaus der Alten Münze, ein Kunst- und Designmuseum, sie haben bereits in die Gebäude investiert, als die gesamte Münze noch eine Ruine war. Sie machen ein kulturelles Programm, das künstlerische Phänomene der Gegenwart präsentiert.
Johanssen und Kleiss hatten Grund zur Hoffnung, denn damals war die Zeit, als die Berliner Liegenschaftspolitk dazu überging, nicht mehr weiter an die Höchstbietenden, sondern an die Interessenten mit den besten Konzepten zu verkaufen. Doch plötzlich war von einer Direktvergabe für 6,1 Millionen Euro an den Investor Nicolas Berggruen die Rede. Der damalige Finanzsenator Ulrich Nußbaum stoppte das Projekt. 2016 dann die Nachricht, Kulturstaatsminister Tim Renner (SPD) wolle ein „House of Jazz“ auf dem Areal, das Bundesministerium habe bereits 12,5 Millionen bewilligt.
Inzwischen hat die Stadt beschlossen, ihr letztes bisschen Tafelsilber zu behalten. Nicht nur die Mieten in Berlin steigen, auch werden die Räume für die Kreativen dieser Stadt knapper. Im Mai 2018 beschloss das Abgeordnetenhaus, die Alte Münze künftig „als Kultur- und Kreativstandort zu sichern und zu entwickeln“. Kultursenator Klaus Lederer (Linke) versprach 35 Millionen Euro aus dem „Sondervermögen Infrastruktur der Wachsenden Stadt und Nachhaltigkeitsfonds“ (Siwana) zur Sanierung und leierte das besagte Partizipationsverfahren an. Allerdings machte er keinen Hehl daraus, dass er in der Alten Münze mit ihren großen Kellern vor allem einen Musikschwerpunkt sieht – und einen Schutzraum für prekäre Arbeitsformen.
Große Begehrlichkeiten
Zugleich scheint dem Kultursenator aber auch mehr als bewusst, welche Begehrlichkeiten ein Areal wie die Alte Münze weckt. Zum Vergleich: Im Atelierhaus in der Prenzlauer Promenade, das die Kulturverwaltung 2017 retten konnte, entstehen auf 3.000 Quadratmetern zusätzlich zu 80 Arbeitsplätzen weitere 375. Im Rockhaus, bei dem das Land – wie kürzlich bekannt wurde – als Betreiber einspringt, proben weiterhin 1.000 Musiker auf 3.800 Quadratmetern.
In der Alten Münze werden von den 15.000 Quadratmetern 9.000 bis 11.000 genutzt werden können. Das ist selbst vor dem Hintergrund eine Menge, dass derzeit allein im Bereich bildende Kunst 4.000 Menschen Arbeitsräume suchen. In so einer Situation einen Partizipationsprozess zu wagen, wie ihn dieser Senat im Koalitionsvertrag beschlossen hat: ganz schön mutig.
Das größte Problem, das Ende der Woche auf den Tisch kam, ist die Miete, die man in der Alten Münze wird zahlen müssen. Eigentlich hatten sich die Beteiligten selbst eine bezahlbare, aber kostendeckende Miete ausdenken sollen, denn Berlin will zwar die Sanierung zahlen und Rücklagen bilden, aber der laufende Betrieb soll sich dann selbst tragen. Trotzdem konfrontierte die Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM), die die Liegenschaften Berlins und auch die Alte Münze verwaltet, die Diskussionsgruppe mitten im Beteiligungsverfahren im März plötzlich mit einer möglichen Miete von bis zu 20 Euro pro Quadratmeter.
Dieses Gespenst ist nun gebannt, denn schon in seinem ersten Redebeitrag beim öffentlichen Forum sicherte Lederer verbindlich eine Nettokaltmiete von 6,50 Euro pro Quadratmeter für die gesamte Fläche zu. Das stieß auf viel Erleichterung aus dem Auditorium, aber auch auf Kritik: Ursprünglich hatten sich die Künstler und Kreativen eine Nettokaltmiete von 3 bis 5 Euro gewünscht.
Doch ein Jazz-Haus?
Aber auch bei anderen Punkten knirschte und knackte es gewaltig unter den Diskutanten. Beispielsweise war herauszuhören, dass die tot geglaubte Idee des erwähnten Jazz-Hauses wieder aufgeploppt ist. Der Grund: Die 12,5 Millionen vom Bund sind immer noch irgendwo geparkt. So kam es, dass unter dem schmissigen Titel „Raumtalente“ viele gute Ideen zur Nutzung vorgestellt wurden – aber auch einige, die unausgegoren wirken.
Ob dort nun wirklich aus rein monetären Gründen ein House of Jazz wie ein Ufo landen wird, das mit den Konzepten drum herum wenig bis nichts zu tun hat, oder vielleicht doch ein Ort der freien Musikszene oder gar ein transdisziplinäres Haus für Kunst und Kultur entsteht – dazu sagte Lederer: „Die Verfahrensherrschaft liegt jetzt bei uns.“ Am Ende werde es eine politische Entscheidung sein, wie die Alte Münze bespielt wird.
Klar, dass bei solchen Ansagen unter den Beteiligten entsprechend kritische Töne laut werden. Vor allem die Nutzer aus dem Direktorenhaus zeigten sich wenig zufrieden mit dem Prozess. Schon im Vorfeld berichtete Kurator Johanssen, er habe in der personellen Zusammensetzung der Workshops keine Verfahrensgerechtigkeit gesehen, die Positionen aus dem Direktorenhaus seien klein geredet, ihr Konzept nicht einmal erwähnt worden. Beim Forum selbst machte er deutlich, dass sich für ihn der Workshop gesteuert anfühlte, er empfand den Prozess als Mehrheits- und Legitimationsmaschine. Dann musste er sich aber auch sagen lassen, er habe gar nicht an allen Workshops teilgenommen.
Endlich eine Lösung für einen lebendigen Ort
Und auch Katharin Ahrend von den Spreewerkstätten, die sich seit 2013 Schritt für Schritt durch die Räume kämpfen, ohne öffentliche Gelder und mit viel Eigenverantwortung, berichtet bei einem Gespräch, man habe sich schon mehr Anerkennung bei den Workshops und seitens der Politik gewünscht. Die Spreewerkstätten haben sich über die Jahre viel Expertise angeeignet, wie man mit kommerzieller Nutzung Räume für Künstler sichern kann, die weniger Miete aufbringen können.
Trotz alledem: Das Gerangel um die Alte Münze hat lange gedauert, es ist auch noch nicht aus der Welt, aber erstmals sieht es so aus, als könnte hier wirklich bald ein lebendiger Ort entstehen, ein echtes Gegengewicht zur staatstragenden Kultur im benachbarten Humboldt Forum. Mitte Oktober tagt der Kulturausschuss das nächste Mal, bis dahin werden 12 der 40 Beteiligten der Workshops am Konzept weiter arbeiten. Bis Ende des Jahres will Lederer mit den Bedarfsplanungen für die ersten Ausschreibungen fertig sein.
Und am Ende wird sich vielleicht sogar der Kampf zwischen etablierten und prekären Kunstformen, zwischen freier Szene und der so genannten Kreativindustrie um diesen Ort in Luft auflösen. Denn wer sich die anvisierte Durchschnittsmiete nicht leisten kann, der wird in Kauf nehmen müssen, dass auch besser Verdienende in der Alten Münze ihren Ort finden oder behalten werden, die das Ganze dann querfinanzieren.
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