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Zahlen des ifo-InstitutsDem Osten fehlen die Menschen

Laut einer Studie sind die Einwohnerzahlen Ostdeutschlands wieder auf dem Stand von 1905. Die „Teilungslücke“ wirkt sich weiterhin aus.

Im thüringischen Sachsenburg könnte mehr los sein Foto: dpa

Dresden taz | Eigentlich freute sich Christian Hirte (CDU), der Ostbeauftragte der Bundesregierung, noch im Januar dieses Jahres über die erstmals knapp zugunsten des Ostens ausgefallene innerdeutsche Wanderungsbilanz. Und eigentlich ist die Dresdner Niederlassung des ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts nicht bekannt für besondere Schwarzmalerei.

Aber nun legt ifo-Autor Felix Rösel ausgerechnet im 30. Jahr des Mauerfalls eine deprimierende Studie vor: Die Einwohnerzahlen im Osten sind auf den Stand von 1905 zurückgefallen. Nach gleichmäßiger Entwicklung der Landesteile klafft seit dem Zweiten Weltkrieg eine „Teilungslücke“, die sich gegenwärtig noch vergrößert.

Rösel nennt herausgeputzte Ortschaften als Kontrast zur Bevölkerungsentwicklung in Deutschland. „Das Einzige, was ihnen fehlt, sind ihre Einwohner“, konstatiert der Wirtschaftsforscher mit Blick auf den Effekt eingesetzter Fördermittel für den Aufbau Ost. „Die Einwohnerzahl ist ein wichtiger Indikator für die langfristige Attraktivität und wirtschaftliche Stärke einer Region.“

Das Teilungsjahr 1949, in dem Bundesrepublik und DDR gegründet wurden, markiert auch eine demografische Wende. Bis zum Mauerbau 1961 verlor die DDR durch Westflucht fast den gesamten Bevölkerungszuwachs von 2 Millionen, der sich nach 1945 aus der Ansiedlung von Ostvertriebenen und dem Geburtenanstieg ergeben hatte. Die Einwohnerzahl Westdeutschlands stieg hingegen durch den Babyboom und die Gastarbeiterzuwanderung von 40 Millionen vor dem Krieg auf etwa 60 Millionen in den 1970er Jahren.

Die anhaltende Wucht der deutschen Teilung wird bis heute völlig unterschätzt

Felix Rösel, ifo-Autor

Diese „Teilungslücke“ verdoppelte sich durch eine erneute Fluchtwelle nach 1990 nochmals. Etwa so viele ehemalige DDR-Bürger gingen aus wirtschaftlichen Gründen in den Westen wie vor dem Mauerbau. Im Vergleich zum Vorkriegsstand haben heute die westdeutschen Länder eine um 60 Prozent höhere Einwohnerzahl, der Osten muss hingegen einen Verlust von 15 Prozent verkraften. Bei einer synchronen Entwicklung wären Leipzig oder Dresden heute vermutlich Millionenstädte, veranschaulicht der ifo-Autor seine Berechnungen. „Die anhaltende Wucht der deutschen Teilung wird bis heute völlig unterschätzt“, sagt Rösel.

Diese defizitäre Bevölkerungsentwicklung benennt er als eine Ursache für die Unzufriedenheit der Ostdeutschen. In weiten Teilen Westdeutschlands bestehe darüber ein „großes Unverständnis“ angesichts des wohlsanierten Zustands des Beitrittsgebiets. Auf solche Stimmungslagen müsse die Politik sensibler eingehen. Rösel fordert mehr Aufmerksamkeit für ländliche Räume, wo zum Teil weniger Menschen leben als im 19. Jahrhundert. „Keine noch so stark auf die größeren Städte ausgerichtete ,Leuchtturmpolitik' wird die ,Teilungslücke' zwischen Ost und West auch nur ansatzweise wieder schließen können“, schlussfolgert der Wirtschaftsforscher.

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13 Kommentare

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  • Die seit 30 Jahren vorherrschende Art der Entwicklungsfoerderung, mit Schwerpunkt auf staatlicher Infrastruktur, besonder fuer den Autoverkehr, hat also wenig gebracht. Warum glauben dann manche, genau fieselben Rezepte wuerden fuer Arbeitsplaetze in den Braunkohleregionen sorgegn, fuer Beschaeftigte, die auch erst noch hingelockt werden sollen?

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Man(n) darf gratulieren.

    Der Turbo-Kapitalismus hat mit seinem Hohelied der Freiheit - natürlich nur für einige - geschafft, aus dezent blühenden Landschaften bis 1989 Brachland zu schaffen. Die Umkehrung des Kohl' schen Euphemismus.

    Nein. Ich bin ungerecht. Ich darf die Fassadenanstriche an ausgewählten Objekten und Orten nicht verschweigen.

    Potemkin lässt grüßen.

    Dass flächendeckende Ausbreitung von Industrie die Lösung wäre, ist ein populärer Mythos. Zum Einen müsste zuerst einmal die Frage der Notwendigkeit neuer Ansiedlungen geklärt werden, dann deren ökologische und soziale Verträglichkeit.

    Blinder Aktionismus ist keine kluge Lösung.

  • Hört endlich auf mit dieser Ost-West-Aufteilung! Es gibt auch andere Bundeslandbereiche die sich sehr unterschiedlich entwickeln! Je nach Anzahl von Wachstumsregionen im Bundesland und Flächenanteil ländlicher Bereiche.



    Jammern nützt nichts! Tun muss man schon selbst etwas.



    Wer natürlich zusätzlich auch noch rechtsgesinnt gegen Frauen, sozial Benachteiligte, Ausländer und alle, die einem sonst nicht in den Kram passen aggressiv vorgeht, muss sich nicht wundern, wenn niemand freiwillig zuwandert, Innovationen ansiedelt etc.



    Dann versteht man auch, warum Menschen abwandern...

  • Sehr guter Artikel in dem sehr viel wahres steckt.

    Es muss einen halt nich verwundern das ohne größere Industrie es viel weniger Jobs gibt als im restlichen Deutschland und die Menschen gehen natürlich da hin wo es Arbeit gibt.



    Dieses Problem gibt es ja auch im restlichen Ost-Europa.

  • Nun, man könnte ja konsequent Wiedervereinigen, historisch ergeben sich ja aus dem Feudalfilz ungeahnte Möglichkeiten: Mecklobrehmen, Brandhassia, Badenwürthüringen, Saarsachsen oder Bayrolin.



    Natürlich sind Ehen nur noch zwischen Parnern aus der Gegenüberliegenden Ecke zu fördern.



    So kommt zur statistischen Nivellierung auch noch Leben in die Bude.

  • Um zunächst die Argumentation des ifo-Autors Felix Rösel weiterzuspinnen:

    Läge Sachsen im Westen, dann wäre natürlich die Handels- und Messestadt zur Millionenstadt geworden und das selbstgefällige Residenzstädtchen wäre vielleicht Landeshauptstadt geblieben. Aber Wiesbaden hätte es niemals geduldet oder sogar gefördert, dass eine deutschnationale, antidemokratische Pegida die Politik, das Niveau und den Ruf der Landeshauptstadt bestimmt.

    Die Ursachen dafür liegen nicht in der Demografie, sondern in der Politik und politischen Kultur. Genau da hat sich Sachsen tief in einer Sackgasse festgefahren.

    Was die Wirtschaftsgeografie Preußens angeht, so hatte die DDR tatsächlich ein sehr schwieriges Erbe zu bewältigen. Tatsächlich war das "flache Land" Ostelbiens bereits ein verstecktes Armenhaus, lange bevor es die DDR gab. Stichwort Refeudalisierung. Rösel setzt das Datum 1949 willkürlich. Bereits im alten Preussen zahlte das Rheinland die Steuern, und die märkischen Junker hübschten damit ihre Anwesen auf. Ohne das Rheinland hätte Bismarck den Militärstaat und Militäradel gar nicht finanzieren können.

    Insoweit ist das Ost-West-Gefälle der Wirtschaftsgeografie älter als die DDR und wird noch einige deutsche Staaten überleben. Die Rhein- und Mainschienen bilden Wirtschaftsachsen über Jahrtausende. Und in der relativen Randlage hat die DDR eine ganze Menge zustande gebracht, wie heute aus einer unvoreingenommenen Sicht deutlich werden könnte.

    Fragt sich: Was wäre daraus zu lernen für Randlagenbedingungen heute, in einem globalisierten Kapitalismus der Konzerne und Finanzindustrie?

    • @Rosmarin:

      Zitat: „Die Ursachen dafür liegen nicht in der Demografie, sondern in der Politik und politischen Kultur. Genau da hat sich Sachsen tief in einer Sackgasse festgefahren.“

      Echt jetzt? Kurt Biedenkopf war Sachse? Ach ja, tatsächlich! Ein Sachse, der 1945 „wie 24 andere Spezialisten aus dem Buna-Werk, mit ihren Familien von den Amerikanern nach Hessen evakuiert“ wurde, wo er „ab 1945 in das heutige Max-Planck-Gymnasium in Groß-Umstadt ging und hier 1949 das Abitur ablegte“ (Wikipedia).

      Danach hat Biedenkopf im Westen Karriere gemacht. Erst 40 Jahre später hat er die Wiedervereinigung genutzte, um „heim nach Sachsen“ zu kommen – und „sein“ Bundesland ganz wie ein König zu regieren. Von wegen: Freier Westen!

      Tja. Hätte „der Russe“ (in dem Fall Oberboss Stalin) mehr auf Wirtschaft und weniger auf Ideologie gesetzt, hätte „die Wirtschaft“ ihn vielleicht auch im Osten belohnt. Dann hätte Buna womöglich hessische Ingenieure „evakuiert“ und so dem Zugriff des bösen Kapitals entzogen. War aber nicht. Erst nach 1990 hatte „die Wirtschaft“ auch in Russland wieder das letzte Wort. Mit den Konsequenzen, die man grade besichtigen kann. So gesehen sind „unsere“ Sachsen beinah noch super weggekommen.

      Was lernen wir daraus? Wahrscheinlich gar nichts. Außer: Der Westen ist hui, der Osten ist Pfui. Aber das wussten wir ja schon seit 1945, gel?

      • @mowgli:

        Vielleicht mal überhaupt was draus lernen, statt sich die immer selben Stereotypen an den Kopf zu werfen ...

        (Diese Stereotypen schmeisst leider auch das ifo: wes Brot ich ess ...)

        Dabei wäre Wirtschaftsgeografie schon sehr lohnenswert zum Nachdenken!

        Aber hier kommt stattdessen Banane: wo Biedenkopf zur Schule ging.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Rosmarin:

      Ich nenne dies eine falsche Frage.

      Richtig wäre aus meiner Sicht, den globalen Kapitalismus in seiner jetzigen Form zu überwinden, statt ihn zu optimieren.

      Ein System, das auf Unendlichkeit basiert, kann in einer Welt voller Begrenzungen keinen Erfolg haben.

      Schon Albert Einstein wusste: "Zwei Dinge sind unendlich: das Universum und die menschliche Dummheit. Bei Ersterem bin ich mir nicht so sicher."

  • Die SED ähhhh Linke wird’s richten 😂.

    • 7G
      75064 (Profil gelöscht)
      @Andi S:

      Ach - vielleicht richtet es ja die NSDA... - ähm AFD :-)

    • @Andi S:

      Was will uns der Künstler damit sagenß

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @Nutvater:

        Kunst kommt bekanntlich von Können. Hier haben wir es eher mit Wunst zu tun.