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Ökologische ForstwirtschaftWaldumbau in der Krise

Gestritten wird darüber, ob naturferne Kiefernforste mit Gift gerettet werden sollen, damit in deren Schatten Laubbäume wachsen können.

Protestschild im Kiefernwald bei Fichtenwalde, Brandenburg Foto: imago-images/Steinach

Berlin taz | Retten oder sterben lassen? Auch in diesem Jahr mussten sich die Förster und Waldbesitzer in Brandenburg diese Frage wieder stellen. Und wieder ist über die Antwort ein heftiger Streit entbrannt, der auch die forstwissenschaftlichen Fakultäten umtreibt. „Wald ohne Gift ist so wie früher in der Atomkraftdebatte“, sagt Lutz Fähser, „‚AKW abschalten‘ war so anders als das, was man gelernt hatte.“ Der ehemalige Forstdirektor des Lübecker Stadtwalds streitet seit Jahren für eine ökologische Waldwirtschaft und meint: „Wir müssen den Wald erst einmal wieder gesund machen.“

Auslöser für die aktuelle Debatte ist ein hübsch gezeichneter Nachtfalter, die Nonne. Ihre Raupen haben sich im Frühjahr massenhaft in einem etwa 7.000 Hektar großen Kiefernforst in Brandenburg südlich von Berlin vermehrt. Den Bäumen drohte ein Kahlfraß. Nach dem heißen und trockenen Sommer im vergangenen Jahr befanden sich die Forste noch immer in einem kritischen Zustand und drohten großflächig abzusterben.

Nach langem Hin und Her bekam der Landesbetrieb Forst in Brandenburg deshalb schließlich die Genehmigung, die Raupen mit einem Insektizid mit Hubschraubern zu besprühen – das ist eigentlich verboten und nur in Ausnahmefällen erlaubt. Gegen die Maßnahme ging der Naturschutzbund (Nabu) mit Erfolg juristisch vor: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg untersagte den Hubschraubereinsatz Mitte Mai, nachdem zwei Drittel der Fläche mit dem Mittel „Karate Forst flüssig“ gespritzt waren.

„Wir müssen mit dieser Situation jetzt umgehen“, sagt nachdenklich Jan Engel, Sprecher im Landesbetrieb Forst in Eberswalde. Die Ansprüche an den Wald seien vielfältig. „Die Forste sollen auch Holz für Bioenergie bereitstellen, für nachhaltiges Bauen, für Papier, oder um Kunststoffe zu ersetzen“, sagt Engel. „Auch um diesen regionalen Rohstoff bereitzustellen, sollen wir als Forstbehörde den jetzt bestehenden Wald erhalten.“ Wenn sich gesellschaftlich nun andere Schwerpunkte mehrheitlich entwickeln, wird sich die Politik hier neu ausrichten.

Die Förster seien in einer Zwickmühle, sagt Andreas Linde. Holz als sinnvollen nachwachsenden Rohstoff könnten sie in den noch vorherrschenden Monokulturen nur mit Pflanzenschutz liefern – doch der stehe einem naturnahen Wald entgegen. Linde ist Ökologe und Professor am Fachbereich für Wald und Umwelt der Hochschule Eberswalde für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Den Einsatz von Karate Forst flüssig im Forst hält er für falsch. Das Mittel des Herstellers Syngenta basiert auf dem Wirkstoff lambda-Cyhalothrin; er ist bei Mensch und Tier hormonell wirksam, sehr giftig für Wasserorganismen und kann bei Menschen Atembeschwerden oder Asthma auslösen.

Vom Kiefernwald zum Mischwald

„Das Mittel ist nicht zielgerichtet gegen die Schadinsekten“, befindet Linde. Die Vorstellung des Nabu, die Kiefern großflächig absterben zu lassen, um den Waldumbau zu beschleunigen, findet Linde aber auch nicht sinnvoll. „Wir brauchen den Wandel zu Mischwäldern“, sagt er, „aber bevor auf einer Kahlfläche ein solcher Wald entsteht, dauert das bis zu 150 Jahre.“ Auch ein eintöniger Kiefernforst sei immer noch ein wertvollerer Lebensraum als eine Kahlfläche.

Mag Kiefernadeln: Raupe der Nonne (Lymantria monacha) Foto: imago-images/Blickwinkel
Die Ascheschicht hält das Wasser recht gut, die Sämlinge keimten schon nach wenigen Monaten unter den verbrannten Stämmen

Sein Vorschlag: Es müsse schnell wieder eine weniger schädliche Alternative zu Karate Forst auf den Markt gebracht werden. Inzwischen ist Syngenta mit seinem Insektengift allein im Wald, weil die Mittel der Wettbewerber entweder verboten wurden oder nicht mehr hergestellt werden. Bis vor wenigen Jahren etwa war noch das Insektizid „Dipel ES“ erlaubt, das auf Basis des Bodenbakteriums BT hergestellt wird und das hochspezifisch nur gegen Schmetterlinge wirkt. Es sei wichtig, dass wieder ein solches Präparat in den Handel gelange. Dann könne man den bestehenden Wald schützen und den Waldumbau im Bestand betreiben.

Diesen Ansatz verfolgt auch Michael Müller, Professor für Waldschutz an der TU Dresden. Junge Eichen oder Buchen vertrügen Strahlung und Frost auf Kahlflächen schlecht, sie gediehen unter dem Schirm der alten Bäume besser. Außerdem müsse man berücksichtigen, dass viele Wälder im Besitz von Privatleuten seien.

Nadelbäume kosten weniger

„Wird Wald vernichtet, kommt es häufig wieder zu Pflanzung oder Naturverjüngung von Nadelbäumen auf den Freiflächen, weil das preiswert und vergleichsweise sicher ist“, sagt Müller. Die aktuellen Debatten über Karate Forst in Brandenburg verfolgt Müller teils verärgert, teils ratlos: „In Brandenburg wurde Waldumbau schon seit Anfang der 90er Jahre betrieben“, sagt er, „die Umbaufläche dürfte inzwischen bei zirka 100.000 Hektar, also 10 Prozent der Waldfläche liegen“.

Die Kritik der Umweltverbände hält er deswegen für unausgewogen, die Diskussionsatmosphäre für „zu emotional und zu wenig sachlich“.

Pierre Ibisch hingegen setzt genau auf diese Kritik der Zivilgesellschaft. Der Biologe, der an der Hochschule Eberswalde eine Professor für Naturschutz hält, wird langsam „unruhig“, wenn er das Tempo des Waldumbaus hierzulande betrachtet. Die aktuelle Krise im Wald könne ihm einen Schub gehen. Ibisch hält es für falsch, die natur­fernen und anfälligen Kiefernforste mit Gift zu erhalten, damit in deren Schatten Eichen und Buchen wachsen können – im Gegenteil.

„Totholz bietet eine Chance für die Ernährung und den Schutz neuer Baumgenerationen“, sagt er. Ganz in der Nähe des von der Nonne befallenen Forsts waren im vergangenen Jahr 600 Hektar Wald abgebrannt. Dort, bei Treuenbrietzen, konnte sich der Professor eine kleine Versuchsfläche sichern, in der die verbrannten Bäume nicht abtransportiert wurden, sondern liegen blieben. Die Ascheschicht halte das Wasser recht gut, die Sämlinge keimten schon nach wenigen Monaten unter den verbrannten Stämmen. Auch in einem von Insekten zerstörten Forst könne sich Wald effektiv erneuern, das zeigten etwa Erfahrungen im Nationalpark Bayerischer Wald, in dem vor Jahren der Borkenkäfer gewütet habe. „Dort, wo damals nicht gespritzt wurde, sieht es jetzt am besten aus“, sagt Ibisch.

Befragte Förster aus Brandenburg halten die Situation im feuchten Bayerischen Wald für nicht vergleichbar mit den trockenen, armen Böden im Nordosten. Würden sie ungeschützt der Sonne ausgesetzt, wüchse dort nur noch Gras. Ibisch weist das zurück. Man dürfe eben nicht alle Stämme entnehmen. Viel Totholz verhindere Vergrasung. Der Wald mache sich seinen Boden selbst, reichere Humus an und halte das Wasser immer besser zurück.

Mutige Förster

Neben Kiefern kämen zuerst vor allem Birken und Weiden. Das Problem sei nicht, dass sich keine Bäume ansiedelten, der Wald baue sich neu auf, werde struktur- und artenreich. „Nur aus kurzfristig-ökonomischer Perspektive ist dies ein Problem. Langfristig rentiert sich das. Leider muss ein Förster heute mutig sein, wenn er weniger eingreift und den Wald selber machen lässt“, sagt Ibisch.

Um mehr Perspektiven sichtbar zu machen, müssten dem aus seiner Sicht noch immer dominierenden „klassischen“ Ansatz in der Forstwissenschaft – nach dem Nachhaltigkeit nur bedeutet, dass immer genügend Bäume nachwachsen – ökologische Alternativen hinzugefügt werden, sagt Lutz Fähser.

Zurzeit arbeite ein Netzwerk aus der Zivilgesellschaft daran, Sponsoren für Stiftungsprofessuren zu gewinnen. „Wenn wir einen anderen Wald wollen“, sagt er, „brauchen wir dringend eine andere Ausbildung.“

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9 Kommentare

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  • "Auch ein eintöniger Kiefernforst sei immer noch ein wertvollerer Lebensraum als eine Kahlfläche"...

    Der Punkt ist, dass auch bei einem Kahlfraß die Fläche nicht lange kahl bleibt. Es kommt sehr schnell Vegetation nach, nur bis sie ökonomisch nutzbar ist, dauert es lang (was sich aber durch gezieltes Anpflanzen erwünschter Baumarten etwas beschleunigen lässt, wenn auch mit Kosten). Rein ökologisch ein wertvollerer Lebensraum als ein eintöniger Kiefernforst ist eine Sukzessionsfläche binnen weniger Jahre.

    Man könnte natürlich anfangen, auf den Flächen mit Nonnenbefall massiv zu fällen, um ökonomisch noch was rauszuholen, bevor man's brachliegen lässt. Es gibt zwar einige Gründe, warum man normalerweise nicht im Sommer fällt. Z.B. Vogelnester, aber wenn man die andernfalls vergiften müsste, bleibt sich's gleich. Auch ist das Holz im Sommer wasserhaltiger und damit schwerer und trocknet langsamer. Aber bevor es komplett vernichtet wird, lieber im Saft fällen.

    Oder man überlässt den Wald der Natur, bzw. wenn schon Hubschraubereinsatz, dann könnte man einfach im großen Umfange Eicheln, Bucheckern und dergleichen zwischen die toten Kiefern werfen. Man könnte aber auch einfach abwarten.

    "Mutige Förster", das ist mal eine gute Forderung.

  • Der deutsche Wald ist heilig und darf kein Nutzforst sein. Soll doch anderswo der Urwald für unserer Holzbedarf fallen ...

    • @TazTiz:

      Der deutsche Wald ist "heilig" UND war und ist immer Nutzforst - für die Förster und Waldbesitzer.

      Sein Vorgänger, der Niederwald, war über lange Zeit ebenso Nutzforst - für die Kleinbauern. Dann wurden sie von den Förstern für "unheilig" erklärt und aus dem Wald verdrängt. Heute gibt es keine Kleinbauern mehr.

      Siehe auch: Karl Marx, Holzdiebstahlsgesetz (MEW Band 1).

      Mit Kiefernwälder wurde Geld verdient, nachdem die Laubwälder durch Krieg und Not großflächig zerstört waren (erstmals schon vor langer Zeit, nach dem 30jährigen Krieg, in manchen Regionen, z. B. Franken).

      Seltsamerweise wurden Kiefernwälder in das Heiligkeitsgebot der Försterzunft / Forstwissenschaft aufgenommen, obwohl Kiefernwälder zu allen Zeiten billig, anfällig und marode sein konnten.

      • 6G
        61321 (Profil gelöscht)
        @Rosmarin:

        .



        Vergleiche hierzu auch: Les Landes in Südwestfrankreich.



        Künstlich aufgeforstete Kiefernwälder im Großmaßstab auf ehemaligen Feuchtgebieten mit vermutlich niederwaldähnlicher Bewirtschaftung und Beweidung.



        Folgen: Schädlingsbefall, Brandgefahr, Bodenprobleme

    • @TazTiz:

      Betreffend : Der deutsche Wald ist heilig und darf kein Nutzforst sein. AW : Find ich soweit Ok ...

      Betreffend : Soll doch anderswo der Urwald für unserer Holzbedarf fallen ... AW : Nein - Soll er nicht ... Da es ausreichende Alternativen gäbe : Stichwort - Schnell nachwachsende Rohstoffe zur Energie & Zellstoff-Gewinnung sowie für die Nahrungsmittel- , Textil , Bau-& Arzneimittel-Industrie ... Bsp.: de.wikipedia.org/wiki/Nutzhanf , de.wikipedia.org/wiki/Hanf

  • Guter Artikel !..

    👍

  • Kahlfläche nach Absterben des Kiefernbestandes?

    Warum hat der Kiefernwald ein Problem mit der Nonne? Weil er eine unnatürliche Monokultur ist.

    Was passiert, wenn man ihn ratzekahl abholzt und nicht wieder aufforstet?

    Was ist auf den Wiebke-Flächen passiert, die man aus Geldmangel nicht aufforsten konnte?

    Richtig: Da war nach ein paar Jahren (auch bereits ökologisch wertvolles) Buschland, aus dem mittlerweile nach noch nicht mal 30 Jahren junger, naturnaher Buchenmischwald geworden ist.

    Wo ist das Problem?

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @Volker der Schmied:

      .



      Das Problem liegt simplemente bei der Penunze, sprich dem Ertrag pro Fläche pro Zeiteinheit. Verzicht ist nicht vorgesehen



      Darum, neue Wiebkes braucht der Forst

    • @Volker der Schmied:

      Zum Beispiel hier: "Um eine Tonne CO2 aufnehmen zu können, muss die Buche etwa 80 Jahre wachsen" Quelle: Handelsblatt, Artikel leider hinter Paywall, die Aussage findest man aber recht einfach über Google. Klimaschutz und gleichzeitig mal eben Wälder abholzen und uns für das nächste halbe Jahrhundert die CO2-Senken kaputt machen halte ich persönlich für keine gute Idee. Das eingesetzte Gift aber auch nicht...