Aktivistin kandidiert in Neonazi-Dorf: Kampf ohne Ende
Birgit Lohmeyer kämpft in Jamel gegen Neonazis. Damit will sie für die SPD im Gemeinderat weitermachen. Aber: Die Rechten treten auch an.
Und Sorgen hat Birgit Lohmeyer wahrlich genug. In ihrem Dorf, Jamel, redet kein Nachbar mehr mit ihr und ihrem Mann Horst. Das hat damit zu tun, dass vor dem Nachbarhaus ein Wohnwagen mit „See you in Walhalla“-Aufschrift steht, beim Haus gegenüber eine riesige schwarz-weiß-rote Fahne auf dem Dach weht. In der Dorfmitte ein Wandbild eine arische Familie zeigt, geborgen von einem Adler, und ein Wegweiser daneben auch Braunau ausweist, den Geburtsort Hitlers. An der Haustür von Birgit Lohmeyer aber kleben Aufkleber, auf denen steht: „Kein Ort für Nazis“.
Rund 40 Einwohner hat das kleine Jamel in Mecklenburg-Vorpommern, nahe Wismar, zwischen Feldern, am Ende einer Sackgasse. Elf Häuser – und in fast allen wohnen Neonazis. Aber auch ein Paar, das sich seit Jahren allein gegen die Rechten stemmt: Birgit Lohmeyer und ihr Mann Horst.
Seit 2004 währt dieser Kampf, seit die Lohmeyers von Hamburg nach Jamel zogen. Inzwischen ist es eine Lebensaufgabe, eine mit enormem Preis. Die Neonazis zerstachen Autoreifen der Lohmeyers, kippten ihnen Mist auf die Einfahrt, legten eine tote Ratte in den Briefkasten. Ein Neonazi fragte, ob sie ihr Grundstück nicht verkaufen wollten, „solange Sie noch können“. Und dann brannte 2015 die Scheune der Lohmeyers nieder.
Die „Wählergemeinschaft Heimat“
Aber die Lohmeyers sind noch da. Und nun will Birgit Lohmeyer den Kampf auf einem weiteren Wege fortführen: dem parlamentarischen. Im vergangenen September trat sie in die SPD ein und kandidiert nun am 26. Mai für die Wahl zum kleinen Gemeindeparlament in Gägelow, das auch Jamel umfasst, und für den Kreistag.
Aber: Auch die Neonazis von Jamel treten zur Wahl an. Einige Wochen nach Lohmeyers SPD-Eintritt präsentierten sie ihre „Wählergemeinschaft Heimat“. Es ist ein erneuter Entscheidungskampf. Diesmal nicht nur um die Hoheit im Dorfalltag – sondern auch über die politischen Entscheidungen. Behält in Jamel die Demokratie die Oberhand?
Birgit Lohmeyer ist eine fröhliche Frau, trotz allem, die sagt, sie könne nichts so leicht erschüttern. Vor gut einer Woche sitzt die 60-Jährige in ihrem Wohnzimmer, der Ofen bollert, eine der sechs Katzen schläft eingerollt auf dem Tisch. Lohmeyer trinkt Kaffee, lacht viel. Immer wieder fällt ihr Blick auf einen kleinen Bildschirm: die Aufnahmen der Überwachungskamera von ihrer Auffahrt.
Als die Lohmeyers – sie freie Autorin, er Musiker – vor 15 Jahren nach Jamel zogen, war es eine Stadtflucht. Der alte Forsthof in Jamel, wie verwunschen, von Bäumen und Wiesen umwuchert, schien perfekt. Damals gab es nur einen einzigen Neonazi in Jamel: Sven Krüger. Dann aber folgten immer mehr – und verdrängten frühere Dorfbewohner. Die Lohmeyers blieben.
Fast wie ein Kulissendorf
„Wir lassen uns nicht vertreiben“, sagt Birgit Lohmeyer. „Dann hätten die Nazis ja gewonnen.“ Mehr noch: Das Paar hält dagegen. Seit 2007 organisieren die Lohmeyers jeden Sommer ein Musikfestival für Demokratie, das „Jamel rockt den Förster“. 1.500 Leute reisten dazu zuletzt an – und Musikgrößen wie Herbert Grönemeyer oder Bela B. von den Ärzten. Die Überreste der verkohlten Scheune stapelte das Paar als Skulptur in ihrem Vorgarten auf. Als Mahnmal.
Aber die Neonazis machen weiter wie bisher. Erst vor zwei Monaten trat jemand den Gartenzaun der Lohmeyers ein. Mitten im Ort steht ein Schaukasten, momentan werden dort ein Rechtsrockfestival der NPD und „germanische“ Bräuche beworben. Ganz am Ende der Straße steht das Haus von Sven Krüger. „Frei, sozial, national“ kündet hier ein Schild.
Im Garten weht eine große Fahne mit „Widerstand“-Aufdruck. Und gegenüber steht ein Traktor mit dem Emblem von Krügers Abrissfirma: Ein Mann, der etwas zerschlägt, das wie ein Davidstern aussieht. Das Ganze wirkt wie eine Karikatur, fast wie ein Kulissendorf.
Zuletzt machten aber nicht mehr nur die Neonazis Ärger, sondern auch die Ämter. Für Lohmeyers Festival verlangte die Gemeinde plötzlich eine Kaution, um gemeindeeigene Wiesen zu nutzen, alles muss nun haarklein vertraglich fixiert werden. Dreimal habe die Gemeinde zuletzt Flächen ausgerechnet an Rechte verkauft oder verpachtet, berichtet Lohmeyer. Zuletzt war es die zentrale Dorfwiese.
Alles soll schön harmlos klingen
„Da ist mir schlicht und ergreifend die Hutschnur geplatzt.“ Offenbar sei einigen nicht klar, wie fatal ein „Kuschelkurs“ mit den Nazis sei. „Die Mehrheitsverhältnisse in der Gemeindevertretung müssen sich ändern.“ Lohmeyer will nun mit dafür sorgen. Warum die SPD? „Die SPD hat uns von Anfang an unterstützt“, sagt Lohmeyer.
Schon früh wurde die SPD-Landtagspräsidentin die Schirmherrin für ihr Festival. Später folgte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, zum Festival im letzten Jahr reiste die Sozialdemokratin im Anti-Nazi-Shirt an.
Jetzt aber macht auch Sven Krüger mobil, zusammen mit zwei Nachbarn, beide ebenfalls seit Jahren in der rechtsextremen Szene aktiv. Der 44-Jährige ist ein stämmiger Mann mit langem, geflochtenem Bart, der sich nach außen gern unbedarft gibt. Auf einem Werbebild für seine „Wählergemeinschaft Heimat“ steht Krüger nun lächelnd im Karohemd auf einem Feld.
Er wolle etwas tun, damit es auf dem Land wieder mehr Kinder gebe, schreibt er dazu. Er setze sich ein für den Erhalt der Dörfer, günstiges Bauland und Freizeitangebote „für Jung und Alt“. Alles soll schön harmlos klingen.
Krüger war zu einem Treffen bereit
Aber es ist nicht harmlos. Schon Krügers Vater lebte in Jamel und war als Rechter bekannt. Der Sohn wurde rechtsextremer Skinhead, sammelte Vorstrafen, trieb sich im militanten Netzwerk der Hammerskins rum, saß für die NPD im Landesvorstand und 2009 schon mal im Kreistag.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Dann aber wanderte Krüger 2011 in den Knast, weil er illegal ein Maschinengewehr besaß und geklaute Bausachen verhökerte. Auch Sven Krüger war erst zu einem Treffen bereit. Dann, nach Rücksprache mit seinen Leuten, sagte er ab. Was solle bei einem taz-Artikel schon rauskommen, hieß es nun.
Zuletzt marschierte Krüger am 8. Mai auf einem NPD-Aufmarsch in Demmin mit. In Grevesmühlen, gleich neben Jamel, betreibt er sein „Thinghaus“, einen Neonazitreff mit Konzerten und Kampfsport. Nach Jamel lud Krüger Ende April 80 Gleichgesinnte zu sich aufs Grundstück, zum „Mai-Tanz“. Und Krügers Wählergemeinschaft säuberte zuletzt die Zufahrtsstraße nach Jamel.
Auf einem Foto wirft einer der Neonazis lächelnd einen gefundenen Becher von Lohmeyers Demokratiefestival in einen Müllsack. „Die Strecke gehörte uns“, heißt es dazu. Dazu hängte Krüger Plakate seiner Wählergemeinschaft in Jamel auf. Ein Plakat hängten sie direkt vor die Einfahrt der Lohmeyers.
Was, wenn sie verliert?
Birgit Lohmeyer zuckt darüber nur noch mit den Schultern. Eine Provokation, mal wieder, nun ja. Warum im Dorf keine SPD-Plakate hängen? „Wen sollen wir hier für die SPD gewinnen?“ Birgit Lohmeyer ist dafür in den umliegenden Gemeinden unterwegs, verteilt dort Flyer, stellt sich hinter Infotische. Und sie hat prominente Unterstützung – ihr Widerstand ist längst bundesweit bekannt.
Vergangene Woche reisten SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil und SPD-Bundesvize Ralf Stegner an, um Lohmeyers SPD-Ortsverband zu helfen. Und Ministerpräsidentin Schwesig erklärt: „Es freut mich, dass Birgit Lohmeyer für die SPD antritt.“ Doch die örtliche SPD zögerte, als Birgit Lohmeyer auf sie zukam. Vielen in der Region gelten die Lohmeyers auch als Unruhefaktor, das Naziproblem in Jamel wollen sie nicht so hochgehängt sehen. Der SPD-Ortsverband wählte Lohmeyer schließlich auf Listenplatz 4.
Aber es bleibt ein Risikospiel: Denn am Ende der Wahl wird es Verlierer und Gewinner geben. Und es ist möglich, dass Birgit Lohmeyer nicht gewählt wird – Sven Krüger aber schon. Birgit Lohmeyer hat dieses Szenario durchaus mitbedacht. „Aber soll ich deshalb gar nicht erst antreten?“ Klappe es tatsächlich nicht, will sich Lohmeyer eben so ins Gemeindeparlament setzen, als interessierte Bürgerin. „Dann werde ich andere Wege finden, die Entscheidungen im Blick zu behalten.“
Gägelows Bürgermeister Uwe Wandel war lange Jahre SPD-Mann und ist mittlerweile Parteiloser. Er sagt über Birgit Lohmeyer: „Ist doch gut, wenn sie sich für die Gemeinde engagiert. Das hat sie ja bisher all die Jahre nicht gemacht.“ Aber das Festival? Gut, das schon, sagt Wandel.
Wie lange ist es auszuhalten?
Aber sonst, bei den Sitzungen der Gemeindevertretung, da habe er die Lohmeyers nie gesehen. Sven Krüger und seine Leute hingegen schon. Dabei hält Wandel auch von Krüger nichts. Der habe sich nun „einen kleinen Schafspelz übergehängt“, aber jeder wisse ja, wer Krüger und seine Leute wirklich seien: „stramme NPD-Genossen“.
Birgit Lohmeyer
Seit 2006 ist Uwe Wandel Bürgermeister. Vor Jahren noch kritisierte er, dass die Polizei den Neonazis in Jamel zu viel Freiraum lasse. Inzwischen ist der Autohändler leiser geworden. Auch wenn man wolle, man bekomme die Rechten nicht weg aus Jamel, sagt Wandel. „Letztendlich müssen wir mit diesen Menschen leben.“ Und die Verpachtung der Wiese an einen Rechten? Der Mann sei kein Parteimitglied, sei nicht vorbestraft, wehrt sich Wandel. „Soll ich bei jedem eine Gesinnungsprüfung machen?“
Es sind solche Aussagen, bei denen Birgit Lohmeyer ins Kopfschütteln verfällt. Der Wiesenpächter hänge mit Sven Krüger ab, an seinem Auto klebe das Dorfwappen der Neonazis. „Wie deutlich soll es noch werden?“, fragt Lohmeyer. „Meine Einstellung ist: Keine Geschäfte mit Nazis machen, fertig, aus.“
In Jamel direkt ins Gespräch zu kommen, ist schwierig: Das Dorf wirkt an diesem Tag verlassen, fast überall springt ein bellender Hund an den Zaun. Nur ein kahlgeschorener Mann im schwarzen „Abriss Krüger“-Pullover schlendert über die Straße. Und der ist bereits im Bilde, dass hier die taz unterwegs ist.
Krüger sei nicht da, ruft er. Ob er denn verraten wolle, wie er zu Birgit Lohmeyer stehe? Würde er sie wählen? „Warum sollte ich?“ Wisse er denn, wer die Scheune der Lohmeyers anzündete? „Woher denn?“ Ein Gespräch ist nicht möglich, der Mann verzieht sich hinter seinen Gartenzaun.
Wie lange ist all das auszuhalten? Irgendwann könne sie sich schon ein ruhiges Leben vorstellen, am Meer, ohne den ganzen Ärger, sagt Lohmeyer. So wie Horst und sie es sich anfangs für Jamel dachten. „Aber dann müsste das hier mit dem Haus erst geklärt sein.“ Das Haus an Rechte verkaufen würden sie nicht. Wer aber sonst will nach Jamel? Vielleicht wäre eine demokratische Tagungsstätte eine Lösung, sagt Lohmeyer. „Dann könnten wir eventuell gehen. Aber momentan steht das überhaupt nicht an.“
Erst kürzlich, am 1. Mai, stand Birgit Lohmeyer wieder auf der Straße, diesmal in Wismar. Eigentlich ein Erfolg, 1.000 Demonstranten standen 300 Rechtsextremen gegenüber. Doch den Lohmeyers schwante an diesem Tag auch, dass es noch ein langer Kampf werden könnte. Ein junger Neonazi-Demonstrant war der Sohn von Sven Krüger.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“