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Kommentar Kopftuchverbot in ÖsterreichBillige Wahlkampfmasche

Ralf Leonhard
Kommentar von Ralf Leonhard

Nur eine geringe Zahl an Grundschulkindern in Österreich trägt ein Kopftuch. Das neue Verbot soll wohl vor allem Wähler mobilisieren.

Machen mit Kopftüchern Wahlkampf: rechte österreichische Politiker Foto: reuters

K leine Mädchen, die mit streng gebundenem Kopftuch herumlaufen, irritieren. Niemand kann behaupten, dass eine Grundschülerin aus freien Stücken ihr Haar verhüllt. Eltern können sich auch nicht auf religiöse Gebote berufen, denn die gelten erst ab der Geschlechtsreife oder Religionsmündigkeit. Selbst die Türkei verbietet das Kopftuch bis zur 5. Klasse. Es gibt also viele gute Gründe, gegen die Verhüllung von Schulkindern zu sein.

Weder die Regierung noch die muslimischen Vereine verfügen über zuverlässige Daten, wie viele Mädchen mit Hidschab in die Grundschule geschickt werden. Es handelt sich aber offensichtlich um ein Problem, das eine verschwindende Minderheit betrifft. Dennoch hat die Regierungsmehrheit im österreichischen Nationalrat am Mittwoch ein Gesetz beschlossen, das – wenn auch etwas verklausuliert formuliert – Kopftücher in der Grundschule verbietet. SPÖ und NEOS, die dagegenstimmten, wünschen sich ein Gesamtpaket, das auch positive Integrationsmaßnahmen enthalten soll.

Bei der Regierung aus dem neokonservativen Flügel der ÖVP und der rechten FPÖ drängt sich jedenfalls der Verdacht auf, dass es nicht um den Schutz von Kindern geht, wie gern argumentiert wird, sondern um ein Signal an das Wahlvolk, das immer wieder mit alarmistischen Meldungen über Parallelgesellschaften, Ausländerkriminalität oder drohende Flüchtlingswellen verunsichert wird. Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) bedient sich konsequent des von Rechtsextremen geprägten Kampfbegriffs des „Bevölkerungsaustauschs“.

Die Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit und anti­muslimischer Rassismus sieht das Kopftuchverbot für Schulmädchen nur als weiteren Schritt, „das Selbstbestimmungsrecht der muslimischen Frau anzugreifen“. Zugleich sei zu befürchten, „dass damit der Weg geebnet ist Richtung generelles Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst“. Knapp vor den Europawahlen kann man vielleicht noch ein paar Wähler mobilisieren, die sonst zu Hause geblieben wären.

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Ralf Leonhard
Auslandskorrespondent Österreich
*1955 in Wien; † 21. Mai 2023, taz-Korrespondent für Österreich und Ungarn. Daneben freier Autor für Radio und Print. Im früheren Leben (1985-1996) taz-Korrespondent in Zentralamerika mit Einzugsgebiet von Mexiko über die Karibik bis Kolumbien und Peru. Nach Lateinamerika reiste er regelmäßig. Vom Tsunami 2004 bis zum Ende des Bürgerkriegs war er auch immer wieder in Sri Lanka. Tutor für Nicaragua am Schulungszentrum der GIZ in Bad Honnef. Autor von Studien und Projektevaluierungen in Lateinamerika und Afrika. Gelernter Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien.
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4 Kommentare

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  • Des Weiteren wird den Träger*innen des Kopftuchs unterstellt, sie trägen es nicht aus religiösen Gründen, sondern um sich abzugrenzen und würden somit eine „Parallelgesellschaft“ bilden. Andererseits werden sie schnell in einen Topf mit religiösen Fundamentalist*innen geworfen. Also was nun? Was sind denn nach dieser Lesart Menschen die in der Nonnenkluft laufen, mit auffälligen Tätowierungen (z. B. im Gesicht), bunten Haaren, Iros, oder die sich für ein sonstwie ausgefallenes Outfit entscheiden? Oder was sind die sog. Reichenviertel, in welchen deren Einwohner*innen im „Hochsicherheitstrakt“ und möglichst abgeschirmt vom „Normalvolk“ auf ihrer Insel der Glückseligen dahinschweben? Ein Zeichen gelungener Integration?



    Ansonsten muss auch nicht so getan werden als würde sich jemand über das Wohl und Wehe muslimischer Kinder beim Fasten sorgen . Am Fasten oder am Kopftuchtragen ist noch keiner gestorben. An den für die BRD gewinnbringenden Waffenexporten in Drittländer oder an der teils brutalen Abschiebepraxis allerdings schon. Auch Kinder sind betroffen. Nicht selten werden sie direkt aus der Schule geholt und zum Flughafen geschafft. Vielleicht kann man mal aufgreifen, inwiefern inwiefern dies die „Kindeswürde“ beeinträchtigt!?! Erst vergangene Woche hat das Anti-Folter-Komitee des Eu-Rates die deutsche Abschiebepraxis als unverhältnismäßig kritisiert.



    In Hessen zumindest hat es noch keine Probleme mit Kopftuch tragenden Kindern gegeben. Der Autor oder die Autorin hat also vollkommen recht, wenn er/sie hier nur plumpes Wahlkampfkalkül vermutet bzw. konstruierte Probleme erkennt.



    Es gibt mittlerweilo sogar eine indonesische Frauenmetalband. Sie grölen und rocken - mit Kopftuch!!! Ganz frei und problemlos

  • Eine derartige Beratungsstelle gibt es auch in Deutschland, und man sollte einmal genauer hinsehen, wer dahintersteckt. Aber was soll das eigentlich sein - "antimuslimischer Rassismus"?



    Rassismus ist die Benachteiligung von Menschen aufgrund körperlicher Merkmale, die sie nicht verändern können, wie z. B. dunkle Hautfarbe. Religion hingegen ist nicht angeboren, sondern anerzogen. Die Ablehnung von Menschen aufgrund ihres Glaubens kann deshalb niemals Rassismus sein, sondern ist ideologisch und/oder politisch begründet. Wenn in muslimisch geprägten Ländern Menschen wegen ihrer Abkehr vom Islam ausgepeitscht oder hingerichtet werden, sprechen wir ja auch nicht von muslimischem oder anti-aufklärerischem Rassismus, sondern von politischen Urteilen. Die kritiklose Übernahme der Einschätzung durch eine Beratungsstelle, die diesen demagogischen Begriff im Namen führt, zeugt nicht gerade von tiefem Nachdenken des Autors.



    Rätselhaft bleibt nämlich, wie ein Kopftuchverbot für Kinder das Selbstbestimmungsrecht erwachsener Frauen angreifen kann. Warum macht sich der Kommentator diese Einschätzung zu eigen, obwohl er wenige Zeilen vorher die Überzeugung ausdrückt, dass keine Grundschülerin ihr Haar aus freien Stücken verhüllt, das islamische Kopftuch also mindestens im Kindesalter ein Zeichen von Unfreiheit ist?



    Es ist bedauerlich, dass jede Kritik an der Ideologie des Islam als rassistisch oder rechtsradikal diffamiert wird. Das spielt den Islamisten und den Rechten in die Hände und ermöglicht so erst die billige Wahlkampfmasche. Eine konstruktive, sachliche Auseinandersetzung mit dem Herrschaftsanspruch und den menschenfeindlichen Seiten des Islam ist so nicht möglich.

  • Die Kopftuch-Debatte ist zurück.Wie schön! Genervt sind nicht nur Muslime, sich ständig mit dem Für und Wider eines Kleidungsstückes auseinandersetzen zu müssen, sondern auch Nicht-Muslime. Man stellt sich schon die Frage: Haben Politik und manche Medien nichts Besseres zu tun, als auf deren Kleidung, Lebensweise oder kulturellen Gebräuchen herumzuhacken? Es zeigt vielmehr die Unfähigkeit oder den Unwillen von Teilen der Mehrheitsgesellschaft –insbesondere deren Institutionen - irgendeine Form der Differenz auszuhalten. Die Zivilgesellschaft scheint da in großen Teilen schon weiter, wie z. B. die überwältigende Teilnahme an der „Unteilbar“-Demonstration in Berlin zeigt.



    Auch auf der Frankfurter "Islam-Konferenz" ging es nicht um den Islam an sich, sondern nur um das Kopftuch, als ob es nichts Dringenderes gäbe. Der studentische Protest gegen die Veranstaltung - der Initiatorin wurde antimuslimischer Rassismus vorgeworfen - wurde als „Tugend“- oder „Meinungsterror“ deklariert. Was sich doch als stark übertrieben und dramatisierend herausstellte, denn es waren ganze 15 Aktivist*innen, die protestierten. Sie hielten Schilder mit der Aufschrift „my body, my choice“, was stark an den Wahlspruch der Abtreibungsbefürworter*innen mit „mein Bauch gehört mir“ erinnert – damit hätte sich zumindest auch die erklärte Kopftuchgegnerin Alice Schwarzer anfreunden können. Ob man auf einer Konferenz, die den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, Teilnehmerinnen wie Schwarzer oder Kelec braucht, die das Kopftuch mit dem „Judenstern“vergleichen - was übrigens auch an Nazi-Sprech erinnert, denn es ist der Davidstern - , sei mal dahingestellt.



    Also wenn das schon Terror ist, was sind dann Afd & Co.? Sie veranstalten Hetzjagden, greifen Jouranlisten als "geistig moralisch degnerierte Schreiberlinge" (O-Ton Höcke, 2016) an oder rufen offen zur Gewalt auf "Wir werden sie alle an die Wand stellen". Diese kommt aber in den Medien noch vergleichsweise glimpflich davon.

  • 9G
    94797 (Profil gelöscht)

    Billige Wahlkampfmasche.



    Aber funktioniert.