piwik no script img

Klamme Kontinuität im Theaterbetrieb

Lange hat man die nationalsozialistische Verstrickung der Theaterwissenschaft im Berlin des Kalten Krieges wenig beachtet. Peter Jammertal und Jan Lazardzig arbeiten sie als Herausgeber eines neuen Buchs auf

Inszenierte Gefolgschaft: Theaterwissenschaftler Hans Knudsen mit Studierenden, 1943 Foto: Charlotte Willot/ullstein

Von Eva Behrendt

In der zweiten Hälfte der 90er Jahre arbeitete ich als studentische Hilfskraft am Theaterwissenschaftlichen Institut der FU. Im Institutsgebäude am Heidelberger Platz, einem schmucklos-ranzigen, damals schon nicht mehr neuen Neubau, trafen wir Hiwis uns bei Herrn Tau, dem liebenswürdigen Videowart, im Kellerflur auf einen schwarzen Becher herzinfarktstarken Kaffee, der dort stets in einer Filtermaschine vor sich hin simmerte.

In dem Gewurschtel aus überladenen Pinboards und der Archivierung harrenden Videokassetten war ein beharrlicher Widerstand gegen die aus Mainz gekommene dynamische Professorin Erika Fischer-Lichte spürbar. Tatsächlich gelang es ihr erst mit dem Umzug in die Grunewaldstraße, das zuvor von Arno Paul und Thea­ter-heute-Gründer Henning Rischbieter geleitete Institut regelrecht durchzupusten. Von deren Vorgängern Hans Knudsen und Wolfgang Baumgart war damals nicht die Rede – eher von der Angewandten Theaterwissenschaft in Gießen, von Dekon­struktion, Schlingensief an der Volksbühne oder Cultural Performances, die wir in jeder Ecke der Gesellschaft zu entdecken glaubten.

Im Zusammenhang mit der Institutsgeschichte fiel, wenn überhaupt, der Name Max Herrmann, seinem jüdischen Gründer (damals noch an der Friedrich-Wilhelms-Universität), der für die Emanzipation des Fachs von der Germanistik und damit auch von der ausschließlichen Betrachtung des Theaters als Drama gekämpft hatte. 1933 war er von den Nazis zwangsweise in den Ruhestand versetzt, 1942 in Theresienstadt ermordet worden.

Sein ehemaliger Assistent Hans Knudsen trat 1940 der NSDAP bei, wurde Schriftführer der Reichstheaterkammer und rückte, trotz Einwänden der Universitätsleitung gegen seine fachliche Qualifikation, 1944 auf Herrmanns Leitungsstelle. Nach einem Entnazifizierungsverfahren setzte die amerikanische Militärregierung bei der Gründung der FU Knudsen 1948 erneut auf diesen Posten. Auch als Eremitus blieb Knudsen nach 1958 prägend in der Westberliner Theaterszene, etwa als Mitglied des Vorstands der Freien Volksbühne, bis Mitte der sechziger Jahre verschiedene Publikationen den „Fall Knudsen“ öffentlich machten.

Die historisch beschlagenen Theaterwissenschaftler Peter Jammerthal und Jan Lazardzig greifen mit „Front – Stadt – Insti­tut. Theaterwissenschaft an der Freien Universität 1948–1968“ diese skandalöse Konti­nuität wieder auf. Der so nüchterne wie spannende Sammelband, der auch eine Ausstellung zum 70. Jubiläum begleitete, reflektiert die Institutsgeschichte der Nachkriegszeit von vielen Seiten: Jan Lazardzig untersucht sowohl das akademische als auch das außeruniversitäre Wirken des „Vielschreibers“ Knudsen bei gleichzeitiger „Bedeutungsdünne“ (dieses Jahr soll noch ein zweiter, vertiefender Band zu dem „Fall“ erscheinen); sein Theaterverständnis fiel weit hinter das seines Lehrers Max Herrmann zurück und war auf die konservative „Rekon­struktion“ letztlich fiktiver Originale ausgerichtet.

Als akademischer Lehrer umgab er sich mit Günstlingen (darunter Dieter Wedel), die mit Doktortiteln (teilweise gegen heftige fachliche Proteste) belohnt wurden; als Mitmischer im Westberliner Theaterbetrieb versuchte er vergeblich, Erwin Piscator an der Freien Volksbühne zu verhindern. Peter Jammerthal ergänzt dieses Porträt um Knudsens In­stru­men­talisierung der Theaterhistorischen Sammlungen des Instituts zu seinen Gunsten – angesichts der Flüchtigkeit des Gegenstands kommt der medientechnisch wechselhaften Dokumentation als Währung im Wissenschaftsbetrieb eine zen­trale Bedeutung zu.

Schon Mitte der sechziger Jahre machten Publikationen den „Fall Knudsen“ öffentlich

Evelyn Annuß und Ulrike Haß rufen in ihren Beiträgen noch einmal den Kontext des Kalten Krieges auf, in dem die Freie Universität nicht nur durch ein spezifisches Branding, sondern 1947/48 auch in hohem Tempo als Waffe gegen den „unfreien“ Osten eingesetzt wurde und in dem Samuel Becketts „Warten auf Godot“, das im Nachkriegs-Westdeutschland rauf und runter inszeniert wurde, zur Verkitschung eines Lebensverlustgefühls missbraucht werden konnte, das nicht ganz frei von Selbstmitleid war.

Mechthild Kirsch, die sich 1991 im Rahmen einer Magisterarbeit als Erste systematisch mit der Nachkriegsgeschichte des Instituts auseinandersetzte, schreibt über den dezidiert „unpolitischen“ Knudsen-Nachfolger Wolfgang Baumgart, der zwar auch 1940 NSDAP-­Mitglied geworden war, anders als jener jedoch ein wenn auch blasses wissenschaftliches Ethos aufrechterhielt. Dass über Hans Knudsen – anders als etwa um die Literaturwissenschaftler Hans Robert Jauß, Walter Jens oder auch das mit Knudsen befreundete Germanistenpaar Herbert und Elisabeth Frenzel – in den letzten Jahren keine moralische Debatte entflammt ist, liegt vermutlich auch daran, dass er und das Institut unter seiner Leitung wissenschaftlich so komplett bedeutungslos blieben.

Diese Satisfaktionsunfähigkeit spiegelt sich auch im Beitrag des Ost-Theaterwissenschaftlers Joachim Fiebach wider, der beschreibt, dass im Osten die NS-Verstrickung der Westberliner Theaterwissenschaft durchaus registriert wurde. Tatsächlich wurde der „Fall Knudsen“ zunächst nicht an der FU aufgerollt, sondern durch die als Studentin bei Arno Breker selbst NS-verbandelte, später aber insbesondere deutsch-jüdische Vergangenheit aufarbeitende Kunstsoziologin Marta Mierendorff, die – nach Recherchen mit Studierenden an der Humboldt-Universität – Knudsen 1964 im Spandauer Volksblatt als „Professor von Hitlers Gnaden“ bezeichnete. Etwa zeitgleich erschien auch eine Dokumentation des Historikers Joseph Wulf, die Knudsens NS-Karriere beleuchtete. Umso interessanter, dass es die Generation der einstigen Theater­wissenschaftsstudenten der 1990er Jahre ist, die jetzt die ­Geschichte der Verstrickung des Instituts in den Nationalsozialismus so gründlich aufarbeitet.

Peter Jammerthal, Jan Lazardzig (Hg.): „Front – Stadt – Institut. Theaterwissenschaft an der Freien Universität 1948–1968“, Verbrecher Verlag, ca. 220 Seiten, 24 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen