: Wohnung oder Wiese
Die Bürgerschaft billigt Vertrag für Hamburgs Stadtgrün mit dem Naturschutzbund. Ein Volksentscheid wurde so abgewendet. Die CDU hält das Ganze für ein Wahlkampfmanöver
Von Sven-Michael Veit
Unterschriften statt Volksentscheid: Am gestrigen Mittwoch um 16.16 Uhr unterschrieben im Bürgersaal des Hamburger Rathauses die Fraktionschefs von SPD und Grünen, Dirk Kienscherf und Anjes Tjarks, zusammen mit dem Vorsitzenden des Naturschutzbundes (Nabu), Alexander Porschke, den „Vertrag für Hamburgs Stadtgrün“. Das sei „ein guter Tag“, freute sich Porschke und stellte klar: „Hiermit ziehen wir unsere Volksinitiative ‚Hamburgs Grün erhalten‘ zurück.“ Einen Volksentscheid über dieses Thema wird es somit nicht geben.
„Vorbildlich“ nannte Kienscherf zuvor in der Debatte in der Bürgerschaft die Vereinbarung. Das gemeinsame Ringen um die beste Lösung sei erfolgreich gewesen: „Konsens, nicht Spaltung“ sei in einem mehrmonatigen Beratungsprozess erreicht worden. Nach dem Vertrag würde Hamburg mehr Wohnraum und Infrastruktur schaffen und zugleich die Naturqualität verbessern, so Kienscherf: „Das ist beispielhaft für andere Städte in Deutschland und ganz Europa.“
„Wegweisend“ findet die Vereinbarung auch Tjarks: „Hamburg wird eine noch grünere Stadt.“ Rot-Grün schmücke sich doch nur mit fremden Federn, befand Stephan Jersch (Linke). Der Nabu habe lediglich erreicht, was bereits im Koalitionsvertrag stehe. „Behaupten Sie nicht: ‚Versprochen – geliefert‘. Es muss heißen: ‚Versprochen – erzwungen‘.“ Während auch die FDP sich weitgehend positiv über den Vertrag äußerte, machten AfD und CDU unbeirrt Opposition. Die „Wischi-waschi-Vereinbarung“ sei nur ein taktisches Manöver kurz vor den Bezirkswahlen am 26. Mai, befand CDU-Umweltpolitiker Stephan Gamm.
Die Nabu-Initiative hatte im vorigen Jahr binnen weniger Monate 23.000 Unterschriften gesammelt; 10.000 hätten für die Einleitung eines Volksbegehrens gereicht. „Wir wollen nicht weiter zusehen, wie Fläche um Fläche immer mehr Grün für gewinnorientierte Bauprojekte geopfert wird“, hatte Porschke damals klargestellt.
In langwierigen Verhandlungen zwischen den rot-grünen Regierungsfraktionen und dem Nabu wurde im April eine Einigung erzielt, die nun in der Bürgerschaft von SPD und Grünen zusammen mit FDP und Linken gegen die AfD beschlossen wurde, die CDU enthielt sich.
Der Vertrag für Hamburgs Stadtgrün soll für alle städtischen Dienststellen und Betriebe verpflichtend sein. Vertragspartner sind:
- die sieben Hamburger Bezirke
- der Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG)
- die Hamburger Friedhöfe
- der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer
- die Hamburger Hochbahn
- Hamburg Wasser
- Hamburg Port Authority (HPA)
- HafenCity Hamburg GmbH
- Sondervermögen Stadt und Hafen
- Sondervermögen Schulimmobilien
- IBA Hamburg GmbH
Die Vereinbarung enthält konkrete Ziele und Mechanismen, die verhindern sollen, dass wichtige Grünflächen verschwinden. Dazu gehört, dass der Flächenanteil der Naturschutzgebiete von 9,4 auf mehr als zehn Prozent der Landesfläche vergrößert werden soll – im Bundesdurchschnitt sind es gerade mal vier Prozent. Auch sollen 18,9 Prozent Hamburgs unter Landschaftsschutz gestellt und der Biotopverbund inklusive Parks auf 23,2 Prozent erhöht werden – das Hamburger Naturschutzgesetz schreibt 15 Prozent vor. Die Bebauung von Naturschutzgebieten bleibt tabu. Im Gegenteil: Mindestens die Hälfte davon soll in den nächsten zehn Jahren aufgewertet werden.
Innerhalb des zweiten grünen Rings muss jede Bebauung in der Nähe flächengetreu ausgeglichen werden. Dieser zieht sich vom Jenischpark über den Friedhof Ohlsdorf, den Öjendorfer Park, die Boberger Niederung und den Harburger Stadtpark bis zum Rüschpark in Finkenwerder. Heute schafft es der Senat nicht einmal alle Bauprojekte überhaupt auf dem Stadtgebiet auszugleichen, geschweige denn flächenmäßig.
„Einen Quantensprung für Naturschutz und Artenvielfalt“ nannte Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) den Vertrag. Trotz des Neubaus von 10.000 Wohnungen pro Jahr, woran der Senat festhalte, werde das Grün in Hamburg „nicht schrittweise verschwinden“, so Kerstan.
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