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Sieg mit Fragezeichen

Mit Sozialpolitik und wegen der Angst vor rechts legen Pedro Sánchez’ Sozialisten bei den Wahlen deutlich zu und werden stärkste Partei in Spanien. Doch die Regierungsbildung dürfte langwierig werden

Sonntagabend in Madrid: Anhänger der Sozialisten warten vor dem Hauptquartier der Partei auf die Ergebnisse Foto: Andrea Comas/reuters

Aus Madrid Reiner Wandler

Hunderte versammelten sich am Sonntagabend vor der Zentrale der sozialistischen PSOE in Madrid. Sie hatten Grund zu feiern. Erstmals seit elf Jahren hat ihre Partei die Parlamentswahlen gewonnen. Pedro Sánchez, der im Juni 2018 per Misstrauensvotum an die Regierung kam, wird auch in den kommenden vier Jahren die Geschicke Spaniens lenken. „Ja, man kann“, skandierte die Menge immer wieder. Es ist eigentlich das Motto der linken Unidas Podemos (UP). Viele der Anwesenden gaben so ihrem Wunsch nach einer Linksregierung der Sozialisten zusammen mit der Formation von Pablo Iglesias Ausdruck. „Die Spanier wollen ganz klar, dass die PSOE das Land regiert und führt“, erklärte Sánchez unter dem Jubel seiner Anhänger.

Seine PSOE erzielte 28,7 Prozent und damit 123 der insgesamt 350 Sitze im spanischen Parlament. Bei den letzten Wahlen erreichte die Partei 22,6 Prozent. Großer Verlierer ist die konservative Partido Popular (PP), sie bekam gerade einmal 16,7 Prozent der Stimmen. Pablo Casado, der erst vor wenigen Monaten die Parteispitze übernahm, tröstete sich damit, dass „die PP weiterhin Oppositionsführer und Führer des Mitte-rechts-Spektrums“ ist. Trotz des Wahldebakels will er nicht vom Parteivorsitz zurücktreten. Zweiter großer Verlierer des Wahlabends ist Podemos. Die Linksalternativen – manche sagen auch: Linkspopulisten – erhielten 14,3 Prozent der Stimmen und sackten damit von 71 auf 42 Abgeordnete ab. „Wir haben uns natürlich ein besseres Ergebnis gewünscht, aber es ist ausreichend, um das Ziel zu erreichen, das wir im Wahlkampf anstrebten, die Bildung einer Linksregierung“, erklärte Iglesias am Wahlabend.

Vom Zerfall der PP, der internen Streitigkeiten und vor allem den unzähligen Korruptionsfällen profitieren die rechtsliberalen Ciudadanos (Cs) und die neue Partei im spanischen Parlament, die rechtsextreme Vox. Cs erhielt 15,9 Prozent der Stimmen und 57 statt bisher 32 Abgeordnete. Vox schaffte mit 10,3 Prozent auf Anhieb den Einzug mit einer 24-köpfigen Fraktion. Alle drei Rechtsparteien verfügen allerdings nicht über die angestrebte parlamentarische Mehrheit, um Sánchez abzulösen.

Vor allem die Linke hatte mobilisiert, um eine Regierung unter Beteiligung der Rechtsradikalen zu verhindern. Sánchez nutzt genau diese Angst im Wahlkampf. „Ich will ein Spanien, das in die Zukunft schaut und nicht 40 Jahre zurückfällt“, erklärte er immer wieder und stellte seine PSOE als einzig nützliche Option dar, um einen Sieg der Rechten zu verhindern. Es war nicht das erste Mal, dass Sánchez politisches Geschick bewies. In den vergangenen Monaten stellte er Freitag für Freitag nach den Kabinettssitzungen soziale Maßnahmen vor, auf die viele in Spanien so lange warten. Die Anhebung des Mindestlohnes, Rentenanpassung, Stütze für Langzeitarbeitslose über 52 Jahre, ein Mietgesetz, Verlängerung des Elternzeiturlaubs, Programme für Opfer sexualisierter Gewalt sind nur einige Beispiele.

Mit seiner Absage an die Sparpolitik holte Sánchez die Stimmen vieler derer zurück, die vor vier Jahren zu Podemos abgewandert waren. Die Beliebtheit von Podemos-Chef Iglesias war in den letzten drei Jahren deutlich gesunken. Seine Podemos schloss sich 2016 mit den Postkommunisten zur Unidas Podemos (UP) zusammen. Das Bündnis rutschte zumindest in der Rhetorik deutlich nach links und wurde damit für viele ehemalige sozialdemokratische Wähler nur noch schwer wählbar. Innerparteiliche Kritiker des Kurswechsels wurden kaltgestellt.

Sánchez hat jetzt zwei Optionen für eine Regierung. Die naheliegende ist eine Linkskoalition mit Podemos. Doch dieser fehlt die absolute Mehrheit im Parlament. Deshalb brauchen Sánchez und Iglesias für ein solches Projekt die Stimmen verschiedener Regionalparteien, darunter die der katalanischen Linksnationalisten (ERC), die ebenfalls stark zulegten (siehe Beitrag rechts). Aber das wird nicht leicht, waren es doch die beiden katalanischen Parteien, die mit ihren Stimmen gegen den Haushaltsentwurf im Februar überhaupt erst vorgezogene Wahlen provozierten. Sie wollen mit Sánchez ein Unabhängigkeitsreferendum nach schottischem Vorbild aushandeln. „Nein ist Nein“, erklärte der Sozialist am Wahlabend einmal mehr, was er davon hält.

Eine andere Option wäre ein Bündnis mit Cs. Dies hätte die absolute Mehrheit im Parlament. Doch der Spitzenkandidat der Rechtsliberalen, Albert Rivera, legte sich im Wahlkampf auf ein Rechtsbündnis fest. Am Wahlabend sprach er einmal mehr davon, in der Opposition zu bleiben. Der Platz dort ist für ihn interessanter denn je. Denn er ist nur wenige Stimmen davon entfernt, seine Cs endgültig zur führenden Kraft im rechten Lager zu machen. Auch an der Basis der Sozialisten löst die Idee einer Koalition mit Cs alles andere als Begeisterung aus. „Mit Rivera? Nein!“, skandierte die Menge, als Sánchez auf dem Balkon der Madrider PSOE-Zentrale erschien. Sánchez will umgehend mit Sondierungsgesprächen in alle Richtungen beginnen.

Bis Ende Mai ist allerdings mit keinem Ergebnis zu rechnen. Denn am 26. Mai wählt Spanien nicht nur seine Europaabgeordneten, sondern auch landesweit Bürgermeister und Gemeinderäte sowie in den meisten Regionen die Regionalregierung. Wer sich festlegt, könnte an den Urnen dafür abgestraft werden. Sánchez, der 2015 schon einmal mit Cs statt mit Podemos zusammengehen wollte, weiß dies genau.

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