: „HipHop war im guten Sinne einmal wirklich multikulti“
Sich gegen Rassismus und Ausgrenzung zu stellen, das war einmal: Längst sei Antisemitismus hoffähig in der deutschen Rapszene, sagt Ben Salomo. In einem Buch schildert der Rapper seine Erfahrungen
Interview Andreas Hartmann
taz: Herr Salomo, Ihr Buch ist eine deutliche Abrechnung mit der deutschen Rapszene, der sie in weiten Teilen einen starken Hang zum Antisemitismus attestieren. Was wollen Sie mit Ihrem Buch eigentlich erreichen?
Ben Salomo: Ich spreche darin all die Dinge an, die ich seit vielen Jahren in der Szene beobachte. Probleme, die von der Szene gerne wegerklärt oder ignoriert werden. Ich versuche, mit dem Buch die Szene wachzurütteln, und fordere sie auf, in den Spiegel zu schauen. Um die unguten Dinge zu sehen, die in ihr in den letzten Jahren gewuchert sind und immer noch wuchern.
Und wie waren die Reaktionen aus der Szene auf Ihr Buch?
Es gab vor allem viele Reaktionen von alten Weggefährten, die mich jetzt nicht mehr besonders mögen. Stimmen, die sagen, ich sei ein Verräter. Aber ich habe die Erfahrung gemacht: Wenn diese Szene einen hasst, dann macht man etwas richtig. Denn diese Szene befindet sich längst dermaßen abseits der ursprünglichen HipHop-Werte und merkt das nicht einmal.
Wie lauteten diese ursprünglichen Werte nochmal?
Diese haben einst besagt: Mit Rassismus, Ausgrenzung und Antisemitismus haben wir nichts zu tun, dagegen stellen wir uns. HipHop war im guten Sinne einmal wirklich multikulti.
Und jetzt dominiert der Gangsta-Rap mit ganz anderen Werten den deutschen HipHop. Warum ist dieser Gangsta-Rap überhaupt so erfolgreich?
Gangsta-Rap lässt sich halt einfach gut verkaufen. Diese Storys mit den Schießereien, mit Rappern, die mit ihren aufgepumpten Muskeln wie Actionfiguren wirken. Das ist wie ein Hollywood-Blockbuster.
Aber als Jude, das beschreiben Sie in Ihrem Buch, hat man nun keinen Platz mehr in dieser Szene.
Ich habe als Rapper Songs geschrieben, in denen ich sage, alle Religionen haben ihre Daseinsberechtigung und sollten in Harmonie und Frieden miteinander leben. Trotzdem standen im Internet unter diesen Songs Kommentare wie „Juden ins Gas“, „Was will der Jude hier?“ oder, ein Satz, der mir besonders in Erinnerung geblieben ist: „Hitler hat uns einige Juden übriggelassen, damit wir heute wissen, weswegen er sie getötet hat.“ Solche Kommentare bekomme ich, egal, was ich mache. Weil ich Jude bin.
Als Jude gehören Sie nicht dazu, sagen Sie. Nicht zur deutschen Rapszene, nicht zu Deutschland generell. Wann wurde Ihnen das klar?
Meine ersten antisemitischen Erfahrungen habe ich im Alter von zehn, elf Jahren gemacht. Ich habe den Antisemitismus bei Freunden erlebt, bei Nachbarn, die Migranten waren, genauso wie ich, aber eben aus islamisch geprägten Ländern. Als die erfuhren, dass ich Jude bin und aus Israel komme, war ich plötzlich der Feind. Das habe ich auch an den Schulen erlebt, auf denen ich war.
Sie haben im vergangenen Jahr Ihre erfolgreiche Veranstaltungsreihe „Rap am Mittwoch“ beendet. Als Reaktion auf den Antisemitismus in der Szene. Wie wurde das aufgenommen?
Mir wurde gesagt, jetzt, wo es Punchlines gegen Juden gibt, wirst du als Jude auf einmal dünnhäutig. Dazu kann ich nur sagen: Ich habe eine Million Punchlines mit jüdischem oder Auschwitz-Bezug zu hören bekommen und mich nie groß darüber aufgeregt. Erst als ich festgestellt habe, dass sich die Qualität verändert hat und dass diese antisemitischen Denkmuster breit in der Szene verankert sind, habe ich beschlossen, dass ich mit dieser Szene nichts mehr zu tun haben kann.
In welchen Formen äußert sich der Antisemitismus im deutschen Rap genau?
Es gibt Rapper, die antisemitische Denkmuster haben und diese in ihre Musik einfließen lassen. Es gibt aber auch Rapper, die einfach antisemitische Textstellen haben, um zu provozieren. Und es gibt Rapper, die haben diese Textzeilen, um bei Antisemiten in der Rapszene gut anzukommen. Leider gibt es inzwischen eine große Menge Rapfans, die an antisemitische Verschwörungstheorien glauben.
Wer war zuerst da, der antisemitische Rapper oder der antisemitische HipHop-Fan, der von der HipHop-Industrie als Marktlücke entdeckt wurde?
Das bedingt sich gegenseitig. Antisemitische Denkmuster sind nicht nur bei den Rappern, sondern auch bei den Fans weit verbreitet. Diese werden durch diese Raptexte nur noch befeuert, das wirkt wie ein Brandbeschleuniger. Es gibt ja auch viele Rapfans, die noch nichts mit Antisemitismus zu tun haben. Aber dann hören sie die ersten antisemitischen Punchlines in einem Rapstück. Sie fragen sich, was mit diesen genau gemeint ist. Sie googeln, landen bei YouTube und dort finden sie all diese propagandistischen Pseudodokus, in denen Juden und Israel diffamiert werden. Sie geraten in einen Sog, schauen immer mehr dieser Filme und sind bald schon antisemitisch ideologisiert. Diesen Prozess habe ich genau so schon oft genug beobachtet, auch bei Menschen, mit denen ich mal viel zu tun hatte.
Ungut ist vor allem der Antisemitismus, oder gibt es in der deutschen Rapszene generell ein Rassismusproblem?
Tatsächlich ist es so: Wenn man sich in dieser Szene wehrt gegen Rassismus gegenüber Schwarzen, wird man geliebt. Wehrt man sich gegen Rassimus gegenüber Türken und Arabern, wird man auch geliebt. Aber sagt man, dass antisemitische Ressentiments auch nicht klar gehen, wird man kritisiert. Die Szene hat also vor allem ein Antisemitismusproblem.
Der Mann Ben Salomo wurde unter dem bürgerlichen Namen Jonathan Kalmanovich 1977 in Israel geboren. Im Alter von drei Jahren zog er mit seiner Familie um in das damalige Westberlin. Er ist Rapper, vor allem war er aber Veranstalter der erfolgreichen Battle-Rap-Reihe „Rap am Mittwoch“. Kurz nach dem Skandal um die Rapper Farid Bang und Kollegah, die im vergangenen Jahr bei der Verleihung des „Echo“ ihren Song „0815“ mit der Textzeile „Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen“ performten, gab er „Rap am Mittwoch“ auf. Es sei einfach zu viel Antisemitismus zu finden in der deutschen Rapszene, so sein Fazit.
Das Buch Sein jetzt im Europa Verlag erschienenes Buch „Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens“ ist Autobiografie und Abrechnung mit der Szene gleichzeitig. (aha)
Der deutsche Gangsta-Rap wird stark von türkisch- oder arabischstämmigen Migranten geprägt. Deren Hang zu Antisemitismus sei besonders groß, beschreiben Sie in Ihrem Buch. Nur wolle das die deutsche Mehrheitsgesellschaft nicht wahrhaben.
Ich kritisiere einfach diese permanente Toleranz gegenüber der Intoleranz. Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa gibt es die Vorliebe, die Intoleranz von Teilen der Migranten zu tolerieren und diese Intoleranz bekommen Juden inklusive mir zu spüren. Man tut sich schwer damit, den Antisemitismus aus Teilen der Migrantengesellschaft als das zu benennen, was er ist. Genauso wird sich aber auch schwergetan, den Antisemitismus aus Teilen der Linken als das zu benennen, was er ist. Damit meine ich auch die dort teilweise vorhandenen Sympathien für antisemitische Bewegungen wie den BDS.
Die ritualisierten Bekenntnisse gegen Antisemitismus seitens der Politik, aber auch seitens der bürgerlichen Gesellschaft, sind nicht wirklich glaubwürdig, würden Sie sagen?
Wir Juden in diesem Land bekommen schizophrene Signale gesendet. Man sagt einerseits, man stehe zu Israel und man sagt, man wolle Antisemitismus bekämpfen, egal aus welcher Richtung er kommt. Wenn die Leute dann aber feststellen, dass ein Politiker wie Sigmar Gabriel Israel einen Apartheidstaat nennt, dann denken sie: Wenn der das darf, dann kann ich das auch sagen. Dinge sind inzwischen wieder sagbar und salonfähig, die vor 20, 30 Jahren nur an irgendwelchen Stammtischen dunkler Kreise zu hören gewesen wären.
Sie würden sagen, von Sigmar Gabriel ist es nur ein kurzer Weg hin zum Antisemitismus im deutschen Gangsta-Rap?
Diese schizophrenen Signale seitens der Politik kommen jedenfalls auch irgendwann unten auf der Straße an und legitimieren diese unschönen Dinge, die ich in der Rapszene wiederfinde. Die Rapszene ist ja letztlich ein Spiegelbild der Gesellschaft. Was die Gesellschaft zum Ausdruck bringt, findet sich irgendwann auch in der Rapszene wieder. Das heißt, wenn wir über den Antisemitismus im Rap reden wollen, müssen wir eigentlich vor allem über den Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft reden.
Den gesamtgesellschaftlichen Antisemitismus müssen wir bekämpfen, aber wie sollen wir mit dem antisemitischen Rap umgehen?
Man sollte erst einmal unterscheiden zwischen Battle- und Gangsta-Rap und Hass- und Hetze-Rap. Hass- und Hetze-Rap sollte man so handhaben, wie das bereits mit Nazirock gemacht wird, und seine einfache kommerzielle Verbreitung einschränken. Und da man es mit einer Musik zu tun hat, die teilweise vergleichbar ist mit krassen Gewaltfilmen, die aus nachvollziehbaren Gründen erst ab 18 zugänglich sind, sollte diese Musik auch erst ab 18 erlaubt sein. Anders als im Rechtsrock, der von echten Ideologen dominiert wird, gibt es außerdem ganz viele Opportunisten in der Rapszene, die einfach nur Hass und Hetze verbreiten, weil das eben populär ist und damit viel Geld zu verdienen ist. Die würden vielleicht schneller aufhören damit als man denkt, wenn ihre Musik nicht mehr ganz so einfach verbreitet werden würde.
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