: „Religion ist etwas Privates“
Hourvash Pourkian initiiert einen Protestmarsch am Frauentag. Sie spricht über den Streit, als sich 2017 etliche Gruppen von ihrer Demo distanziert hatten – und über neue Forderungen
Hourvash Pourkian, 1958 in Teheran geboren, lebt seit 1975 in Hamburg. Die Unternehmerin war bis 2011 Mitglied im Integrationsbeirat des Hamburger Senats. Sie ist Gründerin und Vorsitzende des Vereins Kulturbrücke Hamburg und der Fraueninitiative International Women in Power.
Interview Juliane Preiß
taz: Frau Pourkian, haben Sie etwas gegen das Kopftuch?
Hourvash Pourkian: Ich bin gegen Zwangsverschleierung. Ich bin gegen die Unterdrückung von Frauen und das Kopftuch ist ein Symbol dafür. Solange aber die Frauen es freiwillig tragen, habe ich nichts dagegen.
Aber Sie haben gesagt: „Das Kopftuch stellt eine wesentliche Form der Ausgrenzung dar.“
Ich bin immer noch der Meinung, dass das Tragen eines Kopftuches der Ausdruck eines patriarchalen Systems ist. Mit der Ausgrenzung beziehe ich mich besonders auf Mädchen. Mädchen, die Kopftuch tragen, begegnen ihre nichtmuslimischen Schulkameradinnen und weniger streng religiösen Muslimen oft mit Misstrauen, manchmal sogar Abwehr. Da entsteht ein Konflikt. Es spaltet und ich bin gegen Spaltung.
Allerdings haben Sie mit dieser Aussage im Vorfeld des Hamburger Frauenmarsches 2017 selbst für Spaltung gesorgt. Damals haben sich Organisationen wie die Schura oder Sisterhood von der Veranstaltung distanziert.
Es lagen jede Menge Missverständnisse vor. Ich habe aber immer auf Dialog gesetzt. Wir wollten Frauen mit und ohne Kopftuch zusammenbringen, damit sie sich austauschen und Verständnis für einander entwickeln. Meiner Aussage, dass das Kopftuch eine generelle Kontrolle der Frau darstellt, hat sich die Schura entgegengestellt.
Haben Sie und ihre damaligen Kritiker sich denn noch mal ausgetauscht?
Ja, es gab ein Treffen im September 2017. Es war eine Mediatorin anwesend. Es war schwierig, es gab Vorwürfe.
Und wie ist die Stimmung zum diesjährigen Protestmarsch am 8. März?
Ich setze weiterhin auf unsere Forderungen, aber auch auf Dialog. Ich habe alle eingeladen.
Auch in diesem Jahr heißt eine dieser Forderungen: Nein zur Zwangsverschleierung.
Ja, und warum auch nicht? Was ist denn gut an einer Zwangsverschleierung? Schauen wir doch nur auf die Mädchen, die durch das Kopftuch sexualisiert werden. Sie werden im Islam bereits mit acht, neun Jahren für heiratsfähig erklärt. Das ist unmenschlich. Aber das Kopftuch ist eben nur eines von vielen Themen bei unserem diesjährigen Frauenmarsch.
Was dann?
Die Solidarisierung mit Frauen in der islamischen Welt. Wir werden Fotos von Frauen, die dort im Gefängnis sitzen oder hingerichtet wurden, mit uns tragen und ihrer gedenken. Wir positionieren uns gegen die Zwangsverheiratung, Zwangsverschleierung und Zwangsprostitution von Frauen und Minderjährigen, gegen die Verfolgung von Nicht-Muslimen, die Hinrichtung und Verfolgung von Homosexuellen. Und wir sagen nein zur Scharia!
Was meinen Sie damit?
Viele der islamischen Gemeinden favorisieren die islamische Scharia, das wollen wir in unserer Gesellschaft hier in Deutschland nicht. Ich bin dagegen, dass in den Moscheen Teile der Scharia gelehrt werden, die unserer Meinung nach gegen das deutsche Grundgesetz verstoßen. Wir tolerieren hier viel zu viel. Es wird zugelassen, dass hier zum Aschurafest die Schiiten durch die Mönckebergstraße ziehen, religiöse Lieder singen und sich dabei selbst geißeln. Das geht überhaupt nicht. Ich respektiere die Religionsfreiheit, doch ich finde, dass man die Religion im Herzen und nicht nach außen tragen sollte. Für mich gehört nicht der Islam zu Deutschland, sondern die Vielfalt an Sprachen und Kulturen.
Wie wollen Sie denn den Dialog fördern, wenn Sie die Debatte mit solchen Aussagen anheizen?
Ich baue seit über 20 Jahren Brücken. Mit der Kulturbrücke haben wir das Projekt Switch Mind ins Leben gerufen. Wir gehen in die Flüchtlingsunterkünfte und bieten Workshops zum Thema demokratische Grundwerte und Menschenrechte an. Ich bin nicht der Zeigefingermensch, sondern verfolge einen lösungsorientierten Ansatz. Auch das Thema Kopftuch behandeln wir in den Unterkünften sehr sensibel. Ich kann sogar nachvollziehen, warum manche Frauen es tragen.
Ja?
Viele tragen es, um sich vor den tadelnden Blicken ihrer Landsleute zu schützen. Aber es sollten weder Kopftuchtragenden Frauen auf der Straße noch Muslima ohne Kopftuch als Ungläubige beschimpft werden. Wir müssen es offen diskutieren und den Dialog in der Gesellschaft suchen. Wir dürfen die Diskussion nicht den Populisten überlassen. Deswegen ist unser Marsch am Internationalen Frauentag so wichtig.
Wer wird dieses Mal die Redebeiträge halten?
Es werden hauptsächlich Migrantinnen über ihre Erfahrungen sprechen. Wir haben auch wieder Necla Kelek eingeladen. Unsere Kollegen von der Initiative an der Basis sind ebenfalls dabei.
Der Auftritt der Soziologin Kelek hatte dazu geführt, dass sich 2017 Organisationen von dem Frauenmarsch distanziert haben.
Ja, von mir wurde damals verlangt, dass ich sie auslade. Aber wieso sollte ich eine Frau ausladen, die einfach über Frauen im Islam spricht. Wir haben unseren Plan durchgezogen und Frau Kelek auf die Bühne geholt.
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