Koalitionsvertrag und EU-Digitalreform: Eine Sache des Wordings
GegnerInnen der EU-Urheberrechtsreform kritisieren, die GroKo breche den eigenenen Koalitionsvertrag. Das sehen auch Fachpolitikerinnen so.
Ein besonderes Augenmerk liegt bei dem Vorwurf des Bruchs auf dem Artikel 13 im Reformtext, der mit sogenannten Uploadfilern in Verbindung gebracht wird. So twitterte die ressortmäßig zuständige Justizministerin und Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl, Katarina Barley, nach der jüngsten Entscheidung am Mittwoch in Brüssel, dass sie sich für eine Streichung des Artikel 13 eingesetzt habe, der aber geblieben sei.
Das ist er in der Tat. In Artikel 13 „Verwendung von geschützten Inhalten durch Online Sharing Provider“ ist festgehalten, dass Mitgliedsländer Online-Plattformen dazu verpflichten sollen, dafür zu sorgen, dass bei der Veröffentlichung von Inhalten keine Urheberrechtsverletzung begangen wird. BeobachterInnen geben zu bedenken, dass das den Einsatz von Uploadfilter wahrscheinlich nach sich ziehen würde, da Plattformen vorab filtern müssen. Und auf diesen Punkt zielt der Vorwurf des Bruchs, denn tatsächlich hat die Große Koalition im Koalitionsvertrags (.pdf) von 2018 einen solchen verpflichtenden Einsatz als „unverhältnismäßig“ abgelehnt.
Die Krux ist nun, dass der Uploadfilter nicht wortwörtlich im derzeitigen Text zur Reform steht. Nach der Trilog-Einigung in Straßburg Mitte Februar, hob das EU-Parlament unter Federführung von Verhandlungsführer Axel Voss (CDU) in einer Pressemitteilung gar hervor, dass keine Uploadfilter vorgesehen seien. Ist der Vorwurf an die Bundesregierung trotzdem angebracht?
Vorsichtige Kritik
„Ja“ und „Nein“, befindet Oppositionspolitikerin Tabea Rößner, die für die Grünen stellvertretendes Mitglied im Digitalausschuss des Bundestags ist. Die Anforderungen an die Plattform, so wie sie im Text formuliert sind, würden Uploadfilter notwendig machen. „Insofern ist das schon ein Bruch mit dem Koalitionsversprechen“, antwortet Rößner auf Anfrage der taz. Die Sorge, dass auch legale Inhalte aus Angst vor Strafe von den Plattformen rausgefiltert würden, sei berechtigt. „Dass durch die gesamte Reform aber gleichzeitig das ganze Internet kaputt gehen würde, das hat nichts mehr mit einer sachlichen und sachgerechten Diskussion zu tun,“ so Grünen-Politikerin Rößner.
Drastischer sieht das der Vorsitzende des Digitalausschusses des Bundestages, Jimmy Schulz, von der FPD. „Das Abstimmungsverhalten ist enttäuschend!“, erklärt er auf taz-Anfrage. „Gestern hätte die SPD Gelegenheit gehabt, Rückgrat zu beweisen und uns allen zu zeigen, dass sie zu ihrem Wort steht. Frau Barley hat für Uploadfilter, und somit gegen den Koalitionsvertrag in Berlin gestimmt.“ Mit der Reform würden Unternehmen faktisch dazu gezwungen werden, eine Zensurinfrastruktur aufzubauen. „Nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz wäre das ein weiterer Schlag gegen das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung.“
Die Nachfrage der taz, ob Justizministerin Barley in der Abstimmung selbst auch einen Bruch mit dem Koalitionsvertrag sehe, erklärte das Ministerium lediglich, dass die Bundesregierung sich bei den Verhandlungen eingesetzt habe, die unterschiedlichen Interessen in Einklang zu bringen, so wie es der Koalitionsvertrag vorsehe – und verweist auf Ausnahmeregelungen in dem vorliegenden Text zur EU-Reform.
Nach der EU-Abstimmung am Mittwoch sagte Barley gegenüber der Deutschen Presseagentur: „Ich habe mich regierungsintern dafür eingesetzt, dass die Urheberrechtsrichtlinie ohne Artikel 13 verabschiedet wird. Ich sehe die Möglichkeit, dass die vorgelegte Richtlinie am Ende auf Grund der der anhaltenden Diskussionen um Artikel 13 im europäischen Parlament keine Mehrheit erhält.“
Petition und Proteste
GegnerInnen der Reform überreichten vergangenen Montag eine Petition von über 4,7 Millionen Unterschriften an Barley, in der sie die Streichung der Artikel 11 und 13 fordern. Barley sagte in diesem Zusammenhang, eine Änderung sei nicht ihre alleinige Entscheidung, sondern die der Bundesregierung. Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigte auf einer Digitalkonferenz des Vodafone-Instituts am Dienstag den ausgehandelten Kompromiss zur EU-Reform.
Nach den Trilog-Verhandlungen Mitte Februar protestierten mehrere Tausend Menschen gegen das Ergebnis in Köln. Neue Demos sind bereits angekündigt. Ob die Reform durchgeht oder nicht, liegt nun fast ausschließlich beim EU-Parlament. Formal muss der Rat die Entscheidung der Botschafter noch einmal absegnen. Ein konkretes Datum für die finale Abstimmung im Europaparlament steht noch nicht fest.
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