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Kolumne So nichtContentfarming im Regio

Doris Akrap
Kolumne
von Doris Akrap

Man kann in der Bahn auf Twitter sein – aber das ist gänzlich überflüssig. Eine Bahnreise liefert genug Stoff für mehrere Kolumnen.

Höherer Diversity-Faktor als im ICE: Regionalzug Foto: imago/Frank Müller

W er nicht auf Twitter ist, sitzt in der Bahn. Man kann natürlich auch in der Bahn auf Twitter sein, aber das ist gänzlich überflüssig. Die Impulsreferate von Bahnreisenden können mit den Contentfarmern der Timelines locker mithalten. Wenn es gut läuft, reicht eine Bahnreise mittlerer Länge für zwei bis drei Kolumnen, Meinungsführer und Meinungsmitläufer können die Thementhreads von Vierertischen in der Bahn für mehrwöchige Debattenreihen ausschlachten.

Entscheidend ist, dass es Gruppenreisende an Vierertischen, besser noch an zwei sich gegenüberliegenden Vierertischen gibt, die ihre Sprechlautstärke auf größtmögliche Reichweite einstellen, sie also quasi mit einem trendenden Hashtag versehen, der einen von der Seite anbrüllt.

Wer es sich aussuchen kann, sollte eine mehrstündige Regionalbahnverbindung nehmen. Der Diversity-Faktor ist wegen der teilnehmenden Milieus und sozialen Klassen wesentlich höher als im ICE. Im ICE wird viel alleine, in der Regionalbahn viel in der Gruppe gefahren.

Da ist die Ausflugsgruppe, die auf der Rückfahrt ist, drei Pärchen, ein Kind, ein einzelner Mann. Sie sind in der „Gastro“ tätig, reden voneinander und über andere, die in ihren Erzählungen vorkommen, als „Spüler“. Man erfährt, bis zum wievielten Monat von der Schwangerschaft der Frauen „nichts zu sehen war“ und dass eine der Frauen, „wenn samstags nichts im Fernsehn kommt“, um 19 Uhr schlafen geht – „Was soll ich sonst machen? Ich lese nicht, ich geh nicht aus“.

Aus Yilmaz wird „der Jillmatz“

Das kleine Kind heißt „Maus“, der einzige Vorname, den Zuhörer ansonsten erfahren, ist „Yilmaz“ bzw. wie ihn die Vierertische nennen: „Der Jillmatz“. Yilmaz ist der Einzige unter den Sprechenden, der in der Lage ist, Scherze zu machen, selbstironisch zu sein, und nicht ständig von den „Spülern“ redet und sagt: „Es kommt darauf an, das Leben zu genießen.“

Fast alles, was Yilmaz sagt, wird von einem der anderen wiederholt: „Der Jillmatz findet, das Leben muss man genießen.“ Und dann lachen sie. Die, die „Der Jillmatz“ sagen, sehen aus wie Gabi, Manni, Martina und Bernd. Indem sie Yilmaz wiederholen, wollen sie vielleicht anzeigen, dass „Der Jillmatz“, in dessen Deutsch ein leichter türkischer Akzent zu hören ist, nicht wirklich zu ihnen gehört.

Andererseits haben sie ihn ja integriert, er ist Teil ihrer Reisegruppe und darf auch „Die Maus“ mal auf den Schoß nehmen. Die, die „Der Jillmatz“ sagen, denken von sich sicher nicht, dass sie Rassisten sind. Der zuhörende Mitbahnreisende erfährt noch, dass sie alle in einem Stadtteil einer deutschen Großstadt leben, das als Problemviertel gilt, obwohl die soziale Mischung dieselbe ist wie der Durchschnitt der restlichen Stadt, die nicht Berlin ist.

Wenn ich mit dem Bahnfahren durch bin, geh ich in dieses Viertel und mach vielleicht eine Serie draus. Der Titel steht: #vonhier.

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Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.
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4 Kommentare

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  • Rassisten. Überall und immer. Und Verfolgungswahn in der Bahn. Langsam nervt es.

  • Hihi, der Bericht macht mir erst richtig bewusst, warum ich so gerne mit dem Regio fahre. Das ist Leben pur! Schwarz, weiß, gelb, grün, rot, alles fährt zusammen mit der Bahn. Und man wundert sich, wieso man auch nach vier Stunden so erholt ankommt! Aus jeder Bahnreise könnte ich auch vier oder mehr Geschichten machen.....Und alle enden positiv. P. S.: Ich liebe mehr die Großraumabteile.....

  • “…Wenn ich mit dem Bahnfahren durch bin, geh ich in dieses Viertel und mach vielleicht eine Serie draus. Der Titel steht: #vonhier.“

    Kann‘s kaum erwarten. Bis dahin mal -



    “Man sollte mal ...

    Man sollte mal heimlich mitstenographieren, was die Leute so reden. Kein Naturalismus reicht da heran. Gewiß: in manchen Theaterstücken bemühen sich die Herren Dichter, dem richtigen Leben nachzuahmen – doch immer mit der nötigen epischen Verkürzung, wie das Fontane genannt hat, der sie bei Raabe vermißte, immer leicht stilisiert, für die Zwecke des Stücks oder des Buchs zurechtgemacht. Das ist nichts.



    Nein, man sollte wortwörtlich mitstenographieren – einhundertundachtzig Silben in der Minute – was Menschen so schwabbeln. Ich denke, dass sich dabei folgendes ergäbe:



    Die Alltagssprache ist ein Urwald – überwuchert vom Schlinggewächs der Füllsel und Füllwörter. Von dem ausklingenden »nicht wahr?« (sprich: »nicha?«) wollen wir gar nicht reden. Auch nicht davon, daß: »Bitte die Streichhölzer!« eine bare Unmöglichkeit ist, ein Chimborasso an Unhöflichkeit. Es heißt natürlich: »Ach bitte, sein Sie doch mal so gut, mir eben mal die Streichhölzer, wenn Sie so freundlich sein wollen? Danke sehr. Bitte sehr. Danke sehr!« – so heißt das.



    Aber auch, wenn die Leute sich was erzählen – da gehts munter zu. Ober Stock und Steine stolpert die Sprache, stößt sich die grammatikalischen Bindeglieder wund, o tempora! o modi!



    Das oberste Gesetz ist: Der Gesprächspartner ist schwerhörig und etwas schwachsinnig – daher ist es gut, alles sechsmal zu sagen. »Darauf sagt er, er kann mir die Rechnung nicht geben! Er kann mir die Rechnung nicht geben! Sagt er ganz einfach. Na höre mal – wenn ich ihm sage, wenn ich ganz ruhig sage, Herr Wittkopp, gehm Sie mir mal bitte die Rechnung, dann kann er doch nicht einfach sagen, ich kann Ihnen die Rechnung nicht geben! Das hat er aber gesagt. Finnste das? Sagt ganz einfach ... « in infinitum.…“

    ff dort -

    www.textlog.de/tuc...an-sollte-mal.html

    • @Lowandorder:

      & Däh! - Mailtütenfrisch -

      “Glück auf!







      Mensch kommuniziert halt gern.







      Bisweilen entwickelt sich dann aus Streichhölzern und "Bitte"/"Danke"



      ein" flammendes" Besipiel für die Phrase an sich und für das Aufgeblasene.



      Tucho hilft löschen.







      Schön, dass die smartphones erfunden wurden.



      (Wer viel redet, hat weniger Zeit zum Denken.)







      "Es ist alles eitel."

      &



      Semper aliquid haeret - irgendwas bleibt hängen - weil - irgendwas ist -Immer!;) - Nix Ideal - Außer ner Band:

      Allet - Vaapennt^¿* “…Etwas ist immer







      Tröste dich







      Jedes Glück hat einen kleinen Stich.



      Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten.



      Daß einer alles hat:



      das ist selten.“











      Theobald Tiger



      Berliner Illustrierte Zeitung, 31.07.1927, Nr. 31, S. 1256.

      Na & unterm——



      www.textlog.de/tucholsky-das-ideal.html



      & Däh!



      m.youtube.com/watch?v=UTygF2V0MtY



      Ideal 6/6 - SFB Rock Nacht Berlin Waldbühne 1981 16/16 •