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„Nicht die EU ist schuld, dass Menschen Flaschen sammeln“

Die Linke müsse lernen, die deutsche Brille mal abzulegen und andere Erfahrungen anzuerkennen,sagt Gabi Zimmer. Die Politikerin saß 15 Jahre für ihre Partei im Europaparlament. Nun scheidet sie aus

Die Linke

Gabi Zimmer, geboren 1955, ist seit 2004 Mitglied des Europaparlaments und führt seit 2012 die Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne. Diese vertritt 52 der 751 Abgeordneten im EU-Parlament vereint.

taz: Frau Zimmer, nach 15 Jahren kandidieren Sie nicht mehr fürs Europaparlament. Welches Gefühl überwiegt: Erleichterung oder Bedauern?

Gabi Zimmer: Beides, doch 15 Jahre sind genug. Ich habe abschreckende Beispiele vor mir von Leuten, wie zum Beispiel Elmar Brok, die nicht bemerkten, dass sie zu Fossilien wurden.

Wenn Sie zurückblicken, was haben Sie bewegt?

Wir haben als Parlament mit großer Mehrheit die Einführung von Mindestlöhnen und -einkommen, eine Garantie gegen Kinderarmut und bindende Verpflichtungen und Geld für den Kampf gegen Armut beschlossen. Dafür habe ich seit 2004 im Parlament gekämpft.

Aber um das umzusetzen, bräuchte das Parlament die Unterstützung der Regierungschefs im Europäischen Rat. Verzweifeln Sie an deren Blockade nicht?

Ja, aber nicht nur an den Regierungen, sondern auch an denen, die in den Mitgliedstaaten Politik machen und nicht verstehen, dass sie Druck auf die Regierungen ausüben müssen, damit diese ihr Verhalten im Rat ändern. Es muss darum gehen, auf EU-Ebene und auf nationaler Ebene diese Auseinandersetzung gleichzeitig und nicht gegeneinander zu führen. Wir dürfen uns nicht einbilden, es würde völlig reichen, wenn sich jeder in seinem Nationalstaat einmummelt und sich abschottet. Ich stehe dafür, dass die Linke begreift, dass sie diese Kämpfe zusammenbringen muss.

Begreift sie das nicht?

Der Unwille, sich mit dem komplizierten Mechanismus EU auseinanderzusetzen, führt teilweise zu völlig verschrobenen Vorstellungen. Wenn Angela Merkel seit Jahren betont, dass Sozialpolitik nationale Politik ist und sich gegen verbindliche Standards auf EU-Ebene ausspricht, dann kann ich nicht die EU für eine unverbindliche soziale Säule verantwortlich machen. Nicht die EU ist daran schuld, dass Menschen in Deutschland Flaschen sammeln müssen. Doch um Armut zu bekämpfen, könnten wir ein EU-weites Mindesteinkommen einführen. Der Vertrag bietet diese Möglichkeit.

Sie haben seit 2012 die Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken im EU-Parlament geführt, die 52 Abgeordnete aus 14 Ländern mit sehr widerstreitenden Positionen vereint. Ist es Ihnen gelungen, diese zusammenzubringen?

In den meisten Fällen. Wir mussten begreifen, dass es nicht reicht, schöne Beschlüsse zu fassen. Wir müssen auch Verbündete in den unterschiedlichsten politischen Familien finden, wenn wir Mehrheiten erreichen wollen. Und das haben wir zunehmend geschafft. Im Herbst haben sich außerdem die Parteichefs erstmals an einen Tisch gesetzt und gesagt, wie sie sich die Zukunft der Fraktion vorstellen und wie sie die Unterschiede leben wollen.

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Gianis Varoufakis, falls er ins Parlament einzieht, mit seiner Demokratiebewegung dazustößt?

Wir haben schon eine griechische Abgeordnete, die sich Varoufakis’ griechischer Partei angeschlossen hat. Gianis Varou­fakis hat uns jetzt einen Brief geschrieben und um Aufnahme in die Fraktion gebeten.

Aber geht das zusammen mit Syriza, die ja in der Fraktion ist? Varoufakis hatte Syriza damals des Verrats bezichtigt, als sie sich den Vorgaben der Troika beugte.

Die Syriza-Abgeordneten haben mir gesagt: Wenn MeRA25 bereit ist, die Prinzipien der Fraktion zu tragen, sind wir offen und verwehren niemandem die Mitarbeit. Es wäre auch nicht der erste Fall.

Nicht?

Aus Spanien gab es vier Parteien, die zu Hause miteinander konkurriert haben, aus Portugal habe ich zwei, die in Portugal noch nicht einmal bekennen, dass sie im EU-Parlament einer gemeinsamen Fraktion angehören.

Das klingt, als seien Sie Klassenleiterin einer besonders schwierigen Klasse.

So komme ich mir manchmal auch vor. (lacht)

Was könnten die Politiker der Linkspartei davon lernen, die sich ja auch manchmal wie die Kesselflicker …

… fetzen, ja. Bei mancher Debatte denke ich: „Und täglich grüßt das Murmeltier.“ Sie kennen alle Argumente, nichts ändert sich. Die einzige Chance ist es, sich gegenüber Linken mit einem anderen Hintergrund zu öffnen und zu lernen, ihnen zuzuhören und sie zu verstehen. Auf europäischer Ebene mussten wir als Linke lernen, auch mal die deutsche Brille abzulegen. Auch die deutsche Linke tut manchmal so, als seien unsere Erfahrungen diejenigen, die alle anderen teilen müssten.

Wo hat sich das konkret gezeigt?

In Griechenland. Als die Austeritätspolitik zu greifen begann und Syriza gewählt wurde, haben viele aus der deutschen Linken die Hoffnung damit verbunden, dass Syriza diese Politik stoppt. Als Syriza in die Ecke getrieben wurde und vor den sehr konkreten Drohungen bis hin zum Rausschmiss aus dem Euro einknicken musste, da haben auch die deutschen Linken versagt. Einige haben Syriza zur Verräterin abgestempelt, anstatt sich zu fragen: Haben wir nicht als Linke in Deutschland versagt, hätten wir nicht den Druck auf Schäuble und Merkel in Deutschland erhöhen müssen?

Die Linke hat auf dem Parteitag über die Republik Europa debattiert. Ist das auch so eine deutsche Debatte oder ein Befreiungsschlag?

Das ist nicht der Befreiungsschlag, weil viel deutlicher werden muss, wie man sich eine andere Europäische Union vorstellt. Wie eine sozialistische Vision aussieht. Wir stehen am Anfang dieser Diskussion und sollten sie gemeinsam mit den anderen europäischen Linken führen. Es bringt nichts, wenn wir mit einem festen Vorschlag kommen und ihn den anderen präsentieren. Das Verhältnis zur EU ist bei vielen linken Parteien gerade in Südeuropa aus für mich nachvollziehbaren Gründen nicht gut.

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