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Kommentar Fünf Sterne und SalviniFünf Sterne auf Abwegen

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Die Fünf-Sterne-Bewegung stellt sich schützend vor Innenminister Salvini. Sie verrät dabei um der Macht willen die eigenen Prinzipien.

Der italienische Innenminister Salvini, hier bei einer Pressekonferenz im Rom im Januar Foto: AP

M an stelle sich vor: Die Grünen gehen in Berlin eine Koalition mit der CDU ein, und wenige Monate später fordern sie ihre Basis auf, per Mitgliedervotum einen kräftigen Ausbau der Atomkraft abzusegnen, weil die Christdemokraten das so wollen. Völlig absurd wäre das.

Ebendiese Absurdität leistet sich jetzt das Movimento 5 Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung). Per Onlinevotum reklamieren seine Aktivisten die Immunität für den Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini gegen die Justiz, die ihm Freiheitsberaubung vorwirft, weil er im August letzten Jahres 177 Flüchtlinge mehrere Tage lang auf einem Schiff festhalten ließ.

Schon erstaunlich: Auch heute noch ertönen bei M5S-Kundgebungen regelmäßig die Sprechchöre „Onestà, onestà“– „Ehrlichkeit, Ehrlichkeit“ –, gehört die Forderung, die Abgeordnetenimmunität ersatzlos zu streichen, zum Programm der Bewegung. Bei Salvini soll das alles plötzlich nicht mehr gelten.

Der Lega-Chef – Freund von Orbán und Le Pen – regiert in Rom an der Seite des M5S. Eigentlich macht diese Partnerschaft den Fünf Sternen wenig Freude. Mit seiner Politik der rüden Migrantenabwehr gelang es Salvini, dem Regierungshandeln den Stempel aufzudrücken, sich selbst und seiner Lega wahre Höhenflüge in den Meinungsumfragen zu bescheren.

Und das M5S? Jetzt lässt es zu, dass das Parlament in Italien die Justiz ausbremst, per Geltendmachung der Immunität. So wurden die M5S-Aktivisten im Onlinevotum gefragt, ob sie der Ansicht seien, Salvini habe „im öffentlichen Interesse“ gehandelt. Schon diese Formulierung ist verräterisch – weil sie ungenau bleibt. Das Gesetz nämlich sieht vor, dass das Parlament Prozesse gegen Minister verweigern darf, wenn die „im überwiegenden öffentlichen Interesse“ handeln.

Ausschlaggebend für M5S aber war ein ganz anderes Interesse: das der Fünf Sterne, die Koalition nicht in Gefahr zu bringen. Die große Frage ist, wie lange eine Fünf-Sterne-Bewegung, die sich zugunsten Salvinis selbst entkernt hat, noch Bestand haben wird.

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Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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4 Kommentare

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  • 9G
    90857 (Profil gelöscht)

    Genau dieses Verhalten der Fünf Sterne hatte ich hier an anderer Stelle bereits kurz analysiert;

    und eben festgestellt, dass es aktuell wohl eine Steilvorlage für die Lega wäre, falls es zu formalrechtlichen Ermittlungen gegen Salvini kommen sollte.

    Die M5S sind da nur ein Teilaspekt, weil die Lega und Salvini als "Opfer" dann den politischen Diskurs bestimmen dürften.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @90857 (Profil gelöscht):

      Sie wissen aber schon dass die schillernden Sterne mit den Faschisten in einer Regierung sind?

      • 9G
        90857 (Profil gelöscht)
        @88181 (Profil gelöscht):

        Danke für diese, mich doch etwas überraschende Info.

        Im Ernst, und vielleicht noch eine Ecke weiter denken. Im Lichte der jüngsten Regionalwahlen sowie nach anderen Umfragen und vermuteten Trends dürfte ein Rechtsbündnis unter Führung der Lega aktuell auf mehr als 40, möglicherweise gar 50 Prozent kommen;

        die von mir genannte, erwartbare Kampagne pro Salvini noch nicht einmal quantifiziert.

        Insofern und im Gegensatz zum Autor dieses Beitrages halte ich das Verhalten der M5S keinesfalls für eine Absurdität, sondern ist als faktisch staatstragend zu benennen.

        Ein "gutes" Beispiel, wie man sich (hierzulande) im vermeintlichen Kampf gegen rechts verrennen kann, auf jede (selbst)kritische Reflektion verzichtet und den Wald vor lauter Bäumen, sprich: die positiven Aspekte garnicht mehr sehen kann; nicht mehr sehen will.

  • Gegen Salvinis Festsetzung der Flüchtlinge sollte man politisch vorgehen.

    Diesen Artikel halte ich demokratietechnisch nicht für unbedenklich. Selbtsverständlich kann und soll ein Parlament auch mal die Justiz ausbremsen, wenn es das für richtig hält. Wir haben Gewaltenteilung, ein System aus verschachtelten Checks&Balances - und nicht ein hierarchiches System mit der Justiz an der Spitze. Ich kann immer eine Formalie finden, mit der ich rein technisch oder juristisch meine Agenda "durchdrücke", aber das unterminiert das notwendige Vertrauen. Politische Themen sollten politisch und im Parlament behandelt werden.