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Ein Jahr nach den WinterspielenRentner im Olympialand

Nach den Spielen ist das Bild doppeldeutig: Während die touristische Zukunft in den Bergen offen ist, bemüht man sich an der Küste um Nachhaltigkeit.

Tristesse olympique: Der traurige Zustand der Alpinabfahrt von Jeongseon verheißt nichts Gutes Foto: Fabian Kretschmer

Pyeongchang/Gangneung taz | Wo noch vor einem Jahr Thomas Dreßen olympisches Edelmetall um sechs Zehntelsekunden verpasst hat, schneidet sich nun eine felsige Mondlandschaft in den Berg: Der Sessellift an der Jeongseon-Alpin­abfahrt schaut aus wie neu, doch er steht seit Monaten still. Schnee ist nicht einmal am Gipfel zu erkennen. Mit ein paar Sträuchern holt sich die Natur zurück, was ihr einst genommen wurde. Die Talsohle der Piste wird von Stacheldraht abgesperrt, ein provisorischer Baucontainer versperrt die Einfahrt. Rote Graffiti prangen an den Wänden: „Wir kämpfen für unser Olympia-Erbe!“, steht dort geschrieben.

Drinnen sitzt eine Handvoll Landwirte bei Pulverkaffee und Reisschnaps, eine mobile Gasheizung kämpft gegen die zweistelligen Minusgrade an. „Die Regierung hatte uns Anwohnern einen wirtschaftlichen Aufschwung versprochen, doch nach den Olympischen Spielen hat sich nichts verändert“, sagt der Landwirt Kim Jin Pyo.

Die ersten koreanischen Winterspiele werden zweifelsohne in die Geschichtsbücher als historische Friedensspiele eingehen, die die zwei Koreas sportdiplomatisch näher gebracht haben. Während der Eröffnungszeremonie am 9. Februar sind die Athleten aus Nord und Süd unter gemeinsamer Flagge eingelaufen, während die Schwester von Kim Jong Un von der Tribüne aus gewunken hat. Das Frauen-Eishockey-Team Südkoreas hat gar kurzerhand nordkoreanische Spielerinnen in ihre Mannschaft aufgenommen. Die Olympischen Spiele bauten Vertrauen zwischen den zwei sich offiziell noch immer im Krieg befindlichen Ländern auf. Politisch ist die Vision „symbolischer Friedensspiele“ von Präsident Moon Jae In also aufgegangen.

Bei den Bürgern vor Ort jedoch zeigt sich ein ambivalentes Bild über das Vermächtnis von Pyeongchang. Der Fall der Jeongseon-Abfahrt verdeutlicht dies am drastischsten: Bereits im Vorfeld der Spiele hatte der Bau der Piste für eine große Kontroverse gesorgt. Pistenarchitekt Bernhard Russi benötigte knapp 30 Helikopterflüge über das Taebaek-Gebirge, um einen Berghang auszukundschaften, der die erforderlichen 800 Höhenmeter vom Tal bis zum Scheitel hat. Jedoch führte die gefundene Strecke ausgerechnet durch eines der ältesten Waldstücke Südkoreas.

60.000 Bäume wurden für die Skifahrer abgeholzt – mit dem Versprechen der Regierung, die Piste nach den Spielen wieder aufzupflanzen. „Vorher hatten wir die Piste nicht gewollt, viele von uns mussten schließlich für den Bau unsere Häuser umsiedeln“, sagt Landwirt Kim, ein Mann mit sonnengegerbter Haut, getönter Brille und grauem Norweger-Pulli: „Doch nun, wo die Umweltzerstörung nun einmal geschehen ist, sollten wir die vorhandenen Strukturen auch sinnvoll nutzen. Wir hoffen, hier einen Wintersport-Boom zu kreieren.“

Wintersportzentrum oder Aufforstung

Die anderen Männer stimmen lautstark zu. Der Bau der Piste hatte stolze 78 Millionen Euro gekostet. Die Lokalregierung von Gangwon möchte Jeongseon touristisch nachnutzen, die Zentralregierung in Seoul hält bislang an ihrem Versprechen fest, die Strecke wieder aufzuforsten. Dass hier ein Alpin-Mekka entstehen kann, ist jedoch fraglich: Jeongseon liegt ziemlich abseits, zudem hält sich die Begeisterung der Koreaner für Skisport in Grenzen.

Auch im Austragungsort Pyeongchang, nur eine halbe Autostunde von der Abfahrt entfernt, ist der von der Regierung prophezeite Wintersport-Boom bislang ausgeblieben. Einst ein verschlafenes Dorf in einer abgelegenen und wirtschaftlich abgehängten Region, sind in Pyeongchang neben den paar Restaurants und Ski-Verleihern seit den Winterspielen mehrere Hotelanlagen und Apartmentsiedlungen hinzugekommen. Von olympischer Stimmung ist jedoch ein Jahr nach dem Großereignis nichts mehr zu spüren.

Die Immobilienpreise in der Gegend sind um bis zu 30 Prozent gestiegen. Die 3.500 Wohnein- heiten sind alle längst verkauft, sagt Herr Hong

„Es hat sich eigentlich nichts verändert, weder zum Guten noch zum Schlechten. Die Anzahl an Ski-Gästen ist im Vergleich zu den Vorjahren gleich geblieben“, sagt der Ski-Verleiher Kim Yang Seob: „Im Grunde ist nichts von Pyeongchang 2018 übergeblieben. Wenn Touristen hier ankommen, suchen sie meist zuerst nach olympischen Orten zum Sightseeing, aber sie werden enttäuscht, weil sie nichts finden können“.

Ein Streifzug durch die Ortschaft gibt dem Mittfünziger recht: Das temporäre Stadion für die Eröffnungszeremonie ist nur kurz nach der Schlussfeier der Spiele abgerissen worden – eine kostengünstige wie umweltverträgliche Lösung. Auf dem Gelände erinnert nun eine überlebensgroße, steinerne Statue in Form einer olympischen Fackel als einziges Wahrzeichen an Pyeongchang 2018. Die Ski-Sprungschanze, nur einen Steinwurf entfernt, steht verlassen in der Landschaft herum.

Schnelle Zugverbindung

Wer sich in den Wirtshäusern und Cafés von Pyeongchang nach dem Vermächtnis von Olympia erkundigt, erhält gemischte Reaktionen. Auf einen positiven Effekt der Spiele, die insgesamt 14 Milliarden Dollar verschlungen haben, können sich jedoch fast alle Anwohner einigen. Das Transportmittel, das alle gut finden, ist schneidig geschnitten, elegant in der Form und kommt auf zwei Schienen daher: Durch 34 Tunnel entlang des Taebaek-Gebirges verbindet der Hochgeschwindigkeitszug KTX die Hauptstadt Seoul mit der einst abgelegenen Westküste. Eine Strecke, die vorher fast sechs Stunden in Anspruch nahm, dauert nurmehr ein Drittel der Zeit. Über viereinhalb Millionen Passagiere hat der KTX im letzten Jahr bereits befördert.

Immobilienmakler Hong Song-yeol von der Küstenstadt Gangneung, dem zweiten Austragungsort der Spiele, hat ungemein von der Zuganbindung profitiert. Er führt durch das einstige Olympische Dorf, in dem vor einem Jahr Athleten und angereiste Journalisten gehaust haben. Neun Apartmentblocks mit 28 Stockwerken, die wie Dominosteine in die hügelige Landschaft ragen.

„Die Immobilienpreise in der Gegend sind um bis zu 30 Prozent gestiegen. Die 3.500 Wohneinheiten im Olympischen Dorf sind alle längst verkauft“, sagt Herr Hong. In einer von ihnen polieren zwei Frauen mit Haarnetz und Gummihandschuhen die Schrankwände und Fensterscheiben. Morgen sollen die neuen Käufer einziehen. „Die meisten meiner Kunden sind wohlhabende Senioren aus Seoul, die der dortigen Feinstaubbelastung entfliehen wollen. Hier haben sie saubere Luft, die Berge und das Meer vor der Haustür“, sagt er. Und dank des neuen KTX ist die Hauptstadt nur mehr zwei Stunden entfernt.

In Gangneung sind insgesamt vier Wintersportanlagen für die Winterspiele errichtet worden, die Nutzung von zweien ist bereits gesichert. Die Eisschnelllauf-Arena ist das größte Sorgenkind, schließlich wurden hier seit Ende der Winterspiele keine Veranstaltungen mehr ausgetragen. Dennoch wirkt die Anlage, als könnte der Betrieb bereits am nächsten Tag wieder starten: Die Gänge und Tribünen sind blank geputzt, Verschleißspuren lassen sich keine finden. Nach einem Bericht des Korea Development Institute soll im Juni über die Nutzung der Halle entschieden werden. Bis dahin springt für die laufenden Betriebskosten ein Fonds mit rund 80 Millionen Euro ein, der sich aus den Gewinnen des Olympia-Organisationskomitees speist.

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Jeon Song-in kümmert sich für die Lokalregierung der Provinz Gangwon um die Wartung der Sportstätten: „Da ich seit den ersten Designentwürfen der Hallen in den Entstehungsprozess involviert bin, hoffe ich natürlich von Herzen, dass sie alle erhalten bleiben und künftige Wahrzeichen für den koreanischen Wintersport werden“, sagt er. Auf dem Gelände der Eisarenen hätte sich früher eine riesige Müllhalde befunden. „Bei der Auswahl des Ortes für die Stätten ging es auch darum, öffentlichen Raum wieder zugänglich zu machen“, sagt er.

Beim Shorttrack-Stadion geschieht dies auf vorbildliche Weise: Hier soll künftig eine Multifunktionshalle inklusive Schwimmbahn und Hallenfußball für die Bürger von Gangneung entstehen. Derzeit montieren noch dutzende Handwerker auf der einstigen Eisbahn eine Stahlbühne: Am Samstag wird hier das Ein-Jahres-Jubiläum der Winterspiele gefeiert.

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