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Debatte Gewalt an Schulen Mobber genießen die Macht

Kommentar von Heike Leye

Schulen brauchen verbindliche Standards und Mobbing-Interventionsteams. Kinder haben ein Recht darauf, angst- und gewaltfrei zu lernen.

Erlebte Verletzungen wirken noch lange nach Foto: Kat J on Unsplash

D er aktuelle Fall eines elfjährigen Mädchens in Berlin hat dem Thema Mobbing neue Aufmerksamkeit verschafft. Das Kind wurde wahrscheinlich gemobbt und starb an den Folgen eines Suizidversuchs. Ich arbeite seit elf Jahren als Trainerin und Dozentin zu Mobbing an den unterschiedlichsten Schulen. Nach meiner Erfahrung sind alle Schulformen und alle Altersgruppen betroffen. Gerade auch an vielen Grundschulen ist Mobbing ein großes Thema.

Immer wieder erlebe ich in Schülertrainings, dass Kinder in der weiterführenden Schule in Klasse 5 oder 6 weinend zusammenbrechen, weil sie über Monate oder sogar Jahre in der Grundschule gemobbt worden sind und nie Hilfe erfahren haben. Diese erlebten Verletzungen wirken noch lange nach und sind oft noch nicht verarbeitet.

Mobbing kann jeden treffen und hängt mit den Regeln einer Gruppe zusammen. Deswegen ist Mobbing auch so unberechenbar und willkürlich; es ist eine Form von einseitig ausgeübter Gewalt einer Gruppe gegenüber einem einzelnen Schüler. Dadurch entsteht schnell ein Machtungleichgewicht, aus dem sich der oder die Betroffene nach einer gewissen Zeit nicht mehr alleine befreien kann. Um zu verstehen, wie Mobbing wirkt, muss man sich zunächst klarmachen, dass es hier um ein systemisches Gruppenphänomen geht.

Alle in einer Gruppe nehmen unterschiedliche Rollen ein. Dies bedeutet, dass auch Schüler, die gerne helfen wollen, nicht aus ihrer Rolle herauskönnen und schnell hilflos werden. Sie bekommen Angst, selbst Opfer zu werden und nicht mehr dazuzugehören, weil die Dynamik von Mobbing sehr massiv wirkt und einschüchtert.

Ein gemeinsames Ziel

Es können auch gewalttätige Übergriffe auftreten, systematisch, anhaltend und regelmäßig. Diejenigen, die mobben, empfinden ihr Handeln als Lustgewinn. Das bedeutet konkret: Mobbing macht ihnen Spaß, sie fühlen sich mächtig, und diese Machtgefühle wirken gegen ihre Langeweile. Zudem fühlt eine Gruppe sich oft stärker, wenn es ein Mobbingopfer gibt. Sie hat ein gemeinsames Ziel: das Opfer fertigzumachen. Schüler, die mobben, werden ihr Verhalten kaum verändern, nur weil die Erwachsenen es so wollen.

Mobbing entsteht zuweilen aus herkömmlichen Konflikten, weil auch sie sich massiv verhärten können. Doch Konflikte betreffen meist nur einzelne Schüler untereinander. Sie sind nicht geplant und entstehen situativ, weil Bedürfnisse nicht erfüllt werden oder Meinungen auseinandergehen. Konflikte erzeugen auf beiden Seiten negative Gefühle. Das ist beim Mobbing anders: Die Mobber genießen ihr Tun, während das Opfer leidet. Konflikte können ebenfalls lange andauern und gewalttätig werden. Deswegen muss im Einzellfall genau hingeschaut werden.

Die Schulen stehen in der Verantwortung, den Mobbing-Prozess aufzulösen und den Opfern zu helfen

Meine Haltung ist sehr klar: Die Schule steht in der Verantwortung, den Mobbing-Prozess aufzulösen, denn jedes Kind hat ein Recht darauf, in einem gesunden Umfeld zu lernen und sich zu entwickeln. Dazu benötigen die Schulen, die bisher auf sich allein gestellt sind, Unterstützung.

Es gibt keine schnellen Lösungen, wenn Mobbing erst einmal aufgetreten ist. Sowohl Prävention als auch Intervention benötigen Zeit, Raum und Ausdauer. Vorzubeugen ist naturgemäß immer besser als im akuten Fall eingreifen zu müssen. Wenn in Klassen schon frühzeitig und regelmäßig zu Mobbing gearbeitet wird, zahlt sich dies aus. Dennoch bleibt es eine Tatsache, dass jede Schule für sich mit dem Problem Mobbing umgehen und fertig werden muss – und dafür fehlen Standards. Solche Qualitätsstandards sind aber dringend nötig – am besten deutschlandweit und verbindlich für alle Schulen. Und klar ist auch, dass es dafür Finanzierung sowie personelle und räumliche Kapazitäten geben muss.

Ohne Schuldzuweisung und Bestrafung

Wie kann das konkret aussehen? Zunächst einmal sollte das Thema Mobbing fester Bestandteil aller Fortbildungen sein – vom Lehrer bis zum Schulsozialarbeiter müssen alle auf dem gleichen Wissensstand sein. Außerdem sind Kennenlerntage für neue Klassen eine Möglichkeit, damit Gruppen sich finden und ein guter Umgang miteinander entsteht. Darüber hinaus sollte ein Mobbing-Interventionsteam an jeder Schule Standard sein; Lehrer, die genügend Kapazitäten haben, um mit dem Phänomen Mobbing effektiv zu arbeiten.

Dazu empfiehlt es sich, zwei bis fünf Lehrer pro Schule ausbilden zu lassen. Es gibt sehr gute Methoden, mit denen im akuten Fall gearbeitet werden kann, etwa der No-Blame-Approach, ein Lösungsansatz ohne Schuldzuweisung und Bestrafung, bei dem Auswege aus der Gruppe heraus entwickelt werden. Oder die Farsta-Methode, ein Ansatz, bei dem die Mobbenden mit ihrem Handeln konfrontiert werden.

Regelmäßige soziale Trainings in den Klassen – auch durch externe Trainer – sind ebenfalls eine sinnvolle und fruchtbare Investition, um zu sensibilisieren und den Klassenzusammenhalt zu stärken. Anonyme Fragebogenaktionen können den Lehrkräften und der Schulleitung helfen herauszufinden, ob es akute Mobbing-Fälle gibt und ob jemand auf diesem Weg um Unterstützung bittet. Denn Mobbing ist von den Mobbenden so inszeniert, dass es die Lehrer nicht mitbekommen sollen. Deswegen ist es auch für die Lehrer nicht immer einfach, Mobbing zu erkennen. Und in nicht wenigen Fällen wird Mobbing sogar durch Lehrer unbewusst verstärkt.

Eine weitere wichtige Hilfe sind Schulsozialarbeiter, die es aber leider an vielen deutschen Schulen gar nicht gibt. Oder sie sind mit einem so geringen Stellenschlüssel für mehrere Schulen unterwegs, dass sie kaum präsent sind und nicht wahrgenommen werden. Um Mobbing ernsthaft entgegenzutreten, müssten Schulsozialarbeiter flächendeckend eingesetzt werden. Es gibt noch viele weitere Möglichkeiten, Mobbing zu bekämpfen. Kinder haben ein Recht darauf, dass alles getan wird, um sie zu schützen. Mobbingprävention und Mobbingintervention dürfen keine Tagesveranstaltungen bleiben.

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