Jenseits von Ditib: Ein Schritt weg von Ankara

Moscheegemeinden in Niedersachsen haben einen neuen Dachverband gegründet. Ziel ist eine vom Ausland unabhängige Interessenvertretung.

Eng am türkischen Staat, auch ohne zu Ditib zu gehören: die Aysofya-Moschee von Milli Görüs in Hannover. Foto: dpa

Hamburg taz | Einen neuen islamischen Landesverband haben am Wochenende elf niedersächsische Moscheegemeinden gegründet. Der Verband „Muslime in Niedersachsen“ tritt in Konkurrenz zum Rat der islamischen Gemeinden Schura und der Ditib, in der die allermeisten Gemeinden mit türkischem Hintergrund organisiert sind. Zum Vorsitzenden wurde Avni Altiner gewählt, der viele Jahre lang Schura-Vorsitzender war.

Der neue Verband will die Interessen der Muslime losgelöst von deren Herkunftsländern vertreten. Er reagiere damit auf eine Forderung von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der bei der jüngsten Islamkonferenz deutlich gemacht habe, dass sich die deutschen Muslime „unabhängig von ausländischem Einfluss“ organisieren sollten, sagt Firouz Vladi, der Sprecher von Muslime in Niedersachsen.

Hintergrund der Neugründung sind Veränderungen bei der Ditib und der Schura in Niedersachsen. Bei der Schura war Altiner 2016 von Recep Bilgen, einem Vertreter des islamischen Religionsgemeinschaft Milli Görüş, abgelöst worden. Diese zeigt islamistische Tendenzen und hat Verbindungen zur türkischen Regierungspartei AKP.

Bei dem Moscheeverband Ditib ist erst im vergangenen November der gesamte Landesvorstand für Niedersachsen und Bremen zurückgetreten. Er protestierte damit gegen den Versuch türkischer Botschaftsvertreter, die Vorstandsarbeit direkt zu beeinflussen. Ditib wird immer wieder wegen seiner Anbindung an die türkische Religionsbehörde kritisiert, die Imame in die Ditib-Moscheen entsendet.

Ditib „auf Linie gebracht“ – aber das Land kooperiert weiter

„Es ist zu befürchten, dass der niedersächsische Landesverband auf Linie gebracht worden ist“, hatte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) den Rücktritt kommentiert. Er kündigte an, die weitere Zusammenarbeit mit Ditib zu überprüfen. Just am Freitag legte die schwarz-rote Landesregierung ihr Ergebnis vor:

In Niedersachsen leben nach einer Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) 250.000 bis 300.000 Muslime.

Die islamische Religionsgemeinschaft Ditib vertritt nach eigenen Angaben in Niedersachsen und Bremen 85 Moscheegemeinden. Nach Schätzung des niedersächsischen Kultusministeriums betreuen diese 138.000 Gläubige.

Die Schura – Landesverband der Muslime vertritt 88 Vereine, die 54.000 Menschen betreuen.

Die Zusammenarbeit habe sich bewährt. Lediglich das Justizministerium hat demnach Bedenken, diese fortzusetzen, weil „dort drei von der Türkei entsandte Imame direkt in den Strafvollzugsanstalten tätig sind“. Im Verantwortungsbereich der übrigen Ressorts arbeiteten Ditib-Vertreter in Beiräten und Projekten mit, aber ein direkter Zugriff der Ditib auf das jeweilige Handlungsfeld sei nicht möglich. Dennoch sei der Landesregierung „die besondere Brisanz der Gesamtthematik bewusst“.

Angesichts der Mitgliederzahlen der Ditib-Moscheen sei die Haltung der Landesregierung verständlich, sagt Vladi. „Man muss sich die politische Realität vor Augen halten.“ Allerdings stocke die Arbeit am Lehrplan für den islamischen Religionsunterricht unter der Ägide der etablierten Verbände. „Deshalb haben wir uns entschieden, das unter einer unabhängigen Fahne zu betreiben“, sagt Vladi. „Das heißt, man entscheidet über ein Kerncurriculum aus eigener Kraft.“

Kein liberaler Verband

Der Sprecher von Muslime in Niedersachsen wehrt sich ­gegen die Zuschreibung „liberal“ für den neuen Verband. Das sei allenfalls als „unabhängig vom Ausland zu verstehen“, sagt er. Im theologischen Sinne habe das mit liberal nichts zu tun. „Wir wollen den theologischen Durchschnitt der Muslime in Niedersachsen repräsentieren“, sagt Vladi, „und keine Experimente machen.“

Der Verband verstehe sich als Sammelbecken, das allen Muslimen und Moscheegemeinden offenstehe. Sunniten wie Schiiten seien willkommen, Aleviten in der Regel nicht. Vor allem gehe es darum, nicht mehr zurückzublicken auf die Herkunftsländer, sondern als deutsche Muslime in der Gesellschaft mitzuwirken.

Zu den elf Gründungsgemeinden von Muslime in Niedersachsen gehören Gemeinden in Hannover, Osnabrück, Braunschweig, Nienburg und Vechta. Sie haben arabische, kurdische, bosnische, afrikanische und türkische Wurzeln. Dazu kommen ein Jugend- und ein Frauenverband. „Das ist natürlich auf Wachstum angelegt“, sagt Vladi.

Fünf der elf Vorstandsmitglieder seien weiblich. Einige hätten islamische Theologie in Osnabrück studiert. „Das ist eine Leistung des deutschen Staates“, findet der Sprecher. Eine Arbeitsgruppe arbeite eine Satzung aus, um den Verband als Verein eintragen zu lassen. Mitglieder hätten Kontakt zur Landesregierung aufgenommen. „Realistischerweise muss man dieser Gruppierung ein Jahr Zeit lassen, um sich zu etablieren“, findet Vladi.

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