Kongo-Kunst im Brüsseler Afrikamuseum: Leopold wohnt jetzt im Keller
Das Brüsseler Afrikamuseum glorifizierte einst die belgische Kongo-Kolonialherrschaft. Nun soll es den Kongo feiern. Wie kann das gelingen?
Großes Wasserkraftpotenzial, fantastische Biodiversität, riesige Regenwälder einerseits, das Elend der Schürfer in den Bergwerken und die verheerende Armut der Bevölkerung andererseits – das wird mit Fotos und Videos für die Besucher erlebbar gemacht und füllt die über Jahrzehnte von belgischen Forschern zusammengetragenen Materialien mit neuem Leben.
Mehr noch: Kongos Gegenwartskunst hält endlich Einzug in die größte Sammlung kongolesischer Kunstgegenstände auf der Welt. Früher sah man in Tervuren lauter kostbare alte Gegenstände ohne jede Erklärung, offensichtlich herausgerissen aus ihrem Kontext und als Trophäen zur Schau gestellt. Jetzt kommt der Kontext dazu. Die bewusst schroffe Gegenüberstellung neuer kongolesischer Kreativität mit alter belgischer Sammelleidenschaft bricht die bisherige Darstellungsform.
Neben alten Totenmasken erklären jetzt Kongolesen in Videofilmen die Rituale, für die diese Gegenstände bestimmt sind. Aimé Mpanes große Skulptur eines Kopfes aus Edelholz und Bronze liegt an den Füßen allegorischer Statuen, die Belgien als Zivilisationsbringer zeigen. Zeitgenössische Malereien von Tshibumba oder Chéri Chérin stehen direkt neben rituellen Objekten als Zeichen, dass die alten Kulturen noch leben. Die Welt der Skulpturen der Volksgruppen der Kuba, Luba und Songye steht neben dem berühmten Verkehrsroboter von Kinshasa, eine gigantische Ampel in Menschenform am Kreisverkehr „Victoire“ von Thérèse Izay-Kirongozi.
Aber der Versuch der Entkolonisierung des letzten reinen Kolonialmuseums der Welt durch seinen Direktor Guido Gryseels stößt in Belgien nicht auf allgemeine Zustimmung.
Privatbesitz des belgischen Königs
Eröffnet wurde das Museum in Tervuren ursprünglich nach der Weltausstellung von 1897 als pompöse Feier des kolonialen „Abenteuers“ Belgiens und seines Königs Leopold II. im Kongo, das viele Millionen Kongolesen das Leben kostete. Der Neueröffnung am 8. Dezember 2018 allerdings blieb Belgiens heutiger König Philippe, ein direkter Nachkomme von Leopold II., fern.
Offizielle Begründung des Palastes: Es werde ja immer noch zwischen belgischen Wissenschaftlern und der kongolesischen Diaspora über die Renovierung des Museums diskutiert und über die Frage der Restitution kongolesischer Kunst in die Heimat gestritten. „Der König vermeidet Präsenz, wenn Fragen noch offen sind“, sagte ein Sprecher des Königs der Nachrichtenagentur Belga und nannte die Neugestaltung des Museums immerhin „großartig“.
Die Kontroversen um die belgische koloniale Eroberung des Kongo sind eben nicht durch die Renovierung des zur Glorifizierung dieser Eroberung entstandenen Museums aus der Welt zu schaffen. Nachdem die Berliner Afrikakonferenz 1884/85 das Kongo-Flussbecken zu einem allen Europäern offenstehenden „Freihandelsgebiet“ erklärte und die Hoheit darüber dem belgischen König, der sich als Wohltäter angeboten hatte, als Privatbesitz überschrieb, starb schätzungsweise die Hälfte der damals 20 Millionen Einwohner des heutigen Kongo während der belgischen Eroberung.
Ganze Bevölkerungen wurden zur Zwangsarbeit deportiert. Schon damals kritisierten englische Kritiker des Kolonialismus und der US-Schriftsteller Mark Twain die Praxis, Kongolesen die Hände abzuhacken, wenn sie nicht genug Kautschuk in den neu eingerichteten Plantagen ernteten.
„Diskurshoheit über Afrika“
Was für Konflikte es noch gibt, sieht man auch im Museum selbst. Ein Gemälde des kongolesischen Malers Chéri Samba zeigt zwei Gruppen von Weißen und Afrikanern im Tauziehen um eines der umstrittensten Ausstellungsstücke: die Skulptur des Leopardenmannes der Anyota-Sekte, der sich mit ausgestreckten Leopardenkrallen über eines seiner Menschenopfer beugt. Früher gab es ihn zu sehen, jetzt nicht mehr – die Museumsleitung findet ihn „politisch inkorrekt“, weil er einen Ritualmord darstellt.
Im Bemühen, das Museum zu entkolonisieren, findet sich die Direktion jetzt zwischen den Fronten einer unversöhnlich geführten Debatte wieder. Für viele afrikanische Intellektuelle ist und bleibt Tervuren ein Kolonialmuseum, egal was drin ist und unabhängig von der Beteiligung von AfrikanerInnen an seiner Gestaltung. Mireille-Tsheusi Robert, Präsidentin des antirassistischen Frauenkomitees Bamko, ist von der Neugestaltung „angeekelt“. Die konsultierten AfrikanerInnen seien bloß Alibi. Belgien müsse die geraubte kongolesische Kunst in den Kongo zurückgeben, meint sie.
Der Rahmen dieser Konsultation war der von der Museumsleitung selbst ins Leben gerufene Beirat („Comité MRAC-Associations africaines“), der Angehörige der kongolesischen Diaspora in Belgien versammelte, vor allem aus dem Kultur- und Universitätsbetrieb. Manche Comraf-Mitglieder äußern im Nachhinein selbst Kritik an der Tätigkeit dieses Beirats. „Das Museumspersonal beansprucht die Diskurshoheit über Afrika“, sagt der kongolesische Kunsthistoriker Toma Muteba Luntumbue.
Die Historikerin und Journalistin Anne Wetsi Mpoma findet es unangebracht, dass Afrikaner im Museum durch eine rein ethnologische Brille dargestellt werden – also als Studienobjekte mit den Lebensetappen Geburt, Heirat und Tod, aber nicht als Menschen mit Tätigkeiten und Meinungen. Comraf-Präsident Billy Kalonji, ein bekannter Diaspora-Organisator in Brüssel, sagt, im Museumsteam fände man einerseits „offene Menschen, die sich für unsere Vorschläge interessieren“, andererseits stoße man aber auch auf „eine sehr verschlossene Forscherwelt“.
Bronze-Skulpturen, die die Sklaverei darstellen
Für viele Belgier mit Kolonialvergangenheit, die selbst im Kongo vor und nach der Unabhängigkeit tätig gewesen sind, geht die Erneuerung des Museums hingegen schon viel zu weit. Leopold II. als Gründer des Freistaates, aus dem später Belgisch-Kongo wurde, und der britische Entdeckungsreisende Henry Morton Stanley, auf dessen Erkenntnisse sich der belgische König stützte, werden weitgehend ausgeblendet, bemängeln sie.
Die koloniale Eroberung an sich und ihre Höhepunkte aus belgischer Sicht werden nur noch am Rande erwähnt: Der Sieg gegen Sklavenhändler wie den Deutschen Emin Pascha, der im heutigen Südsudan eine eigene Kolonie gründete und von Stanley in einem Gewaltmarsch quer durch das Kongobecken gerettet werden musste, oder der aus Sansibar stammende Händler Tippu Tip, der bei seinen Raubzügen von der ostafrikanischen Küste bis an den Kongo-Fluss vordrang und dessen Truppen sich vergeblich gegen die Belgier erhoben.
Die Bronze-Skulpturen des Bildhauers Arsène Maton, die die Sklaverei darstellen sollen, wurden nur deswegen nicht entfernt, weil sie fest in die große zentrale Rotunde des Museums eingebaut sind. Das große Leopold-II-Denkmal, das den Größenwahn des belgischen Monarchen gut ausdrückte, ist hingegen in den Keller gewandert und von ihm gibt es nur noch eine schlecht erhaltene Büste in einer Vitrine.
„Ideologistisch“ nennt Baudouin Peeters, Direktor einer in Belgien und im Kongo aktiven Beraterfirma, diesen Umgang des belgischen Museums mit seinem Gründer. Er vermisst auch eine Nennung der „nachweislichen Errungenschaften“ der belgischen Kongo-Kolonisation in Sachen Straßenbau, Naturschutz, Schulen, Landwirtschaft, Seuchenbekämpfung.
Ein Museum als Tribunal?
Etwas nuancierter urteilt der Historiker Jean-Luc Vellut: „Wenn man die kongolesische Geschichte moralisch beurteilen will, wäre es nur zwangsläufig, die gesamte Geschichte zu beurteilen, ob präkolonial, kolonial oder postkolonial.“ Aber: „Ist es die Rolle eines Museums, ein Tribunal zu spielen? Ich glaube nicht.“
Belgiens Bewältigung seiner kolonialen Vergangenheit ist also noch keineswegs abgeschlossen. Und das renovierte Museum dürfte auch die gegenwärtigen Beziehungen zur Demokratischen Republik Kongo belasten – die kongolesisch-belgischen Beziehungen sind ohnehin schlecht, da Belgien in der EU der Hauptlobbyist für scharfe Sanktionen gegen Kongos Machtelite wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen ist und Kongos Regime im Gegenzug Kritik aus dem Ausland gerne als kolonial abtut.
Am Vorabend der Eröffnung sagte Kongos Präsident Joseph Kabila der Brüsseler Zeitung Le Soir, er werde die Rückgabe der Kunstwerke im Museum fordern, noch vor der Eröffnung eines kongolesischen Nationalmuseums in Kinshasa im Juni 2019.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will