Interview mit dem SPD-Fraktionschef: „Wohnen ist wie Essen und Trinken“
Das Volksbegehren zu Enteignung beschäftigt am Rande auch die SPD-Fraktionsklausur in Rostock. Raed Saleh ist dafür, der Deutsche Wohnen Grenzen aufzuzeigen.
taz: Herr Saleh, die SPD-Fraktion geht am Freitag in Rostock in Klausur, Themen sind Arbeit, Pflege und Demokratie. Müssten Sie nicht umdisponieren und besprechen, wie die Fraktion zum drängenden Thema des Enteignungs-Volksbegehrens steht?
Raed Saleh: Wir werden natürlich am Rande über das Volksbegehren sprechen. Aber ich finde, dass die Themen, die wir auf der Tagesordnung haben, wichtige für die Berliner sind. Die haben wir uns ganz bewusst vorgenommen.
Trotzdem zum Thema Enteignung: Ist das wirklich hier ein verhältnismäßiges Mittel? Beim Autobahnbau etwa stehen die Interessen weniger Hausbesitzer denen von Millionen künftiger Nutzer entgegen. Bei einer Deutsche-Wohnen-Enteignung würden 100.000 Mieter auf Kosten von fast vier Millionen Berlinern geschützt.
Unabhängig davon, wie man zu dem Volksbegehren Enteignung steht – wir werden als SPD die Gespräche noch führen –: Wenn eine Umfrage belegt, dass eine Mehrheit der Berliner eine Enteignung der Deutsche Wohnen in Kauf nehmen würde, dann zeigt das, dass es bei ganz vielen Menschen die Unsicherheit und Sorge gibt: Kann ich mir die Stadt Berlin noch leisten? Ich finde, diese Sorge muss man ernst nehmen. Und deshalb gibt es einen Mix an Instrumenten, wie man dieser Sorge begegnen kann: gute Gesetze, um Mietwucher zu verhindern, Neubau und Rückkauf.
Raed Saleh
41, wurde in Palästina geboren und kam mit fünf Jahren nach Deutschland. 2006 zog er ins Abgeordnetenhaus ein, 2011 wurde er dort Chef der SPD-Fraktion.
Für das Mietrecht ist aber der Bundestag zuständig.
Aber auch im Abgeordnetenhaus haben wir einiges geschafft: Zweckentfremdungsverbot, Modernisierungsverbot, Umwandlungsverbot. Außerdem haben wir in Berlin die Verpflichtung, dass es auch bei privaten Bauvorhaben einen Sozialwohnungsanteil von 30 Prozent geben muss. Aber vieles entscheidet sich auf der Bundesebene.
Da ist ja die Mietpreisbremse entstanden, die nachgebessert werden soll.
Das reicht nicht aus. Wir brauchen eine mietenpolitische Revolution. Im Grunde muss man die Frage stellen: Was darf man in einer Marktwirtschaft in einem Bereich regeln, der zur Daseinsvorsorge gehört? Wohnen ist wie essen und trinken. Da müssen wir über einen Renditedeckel reden – irgendwann ist eine Wohnung mal abgezahlt, alles andere ist nur noch Gier.
Die anderen Instrumente – Neubau und Rückkauf – kosten aber Geld, das Sie nicht doppelt haben: Wenn Sie Wohnungen in großem Umfang kaufen wollen, fehlen Ihnen die Milliarden anderswo – für Neubau, Schulen, S-Bahn. Wie soll beides gehen? Über Kredite geht es nicht, ab 2020 gilt die Schuldenbremse.
Ich würde nicht diese verschiedenen Felder, die alle wichtig sind, gegeneinander ausspielen.
Was heißt ausspielen? Der Landeshaushalt hat dieses Jahr 29 Milliarden Euro – da passt keine Enteignungsentschädigung im zweistelligen Milliardenbereich oder ein großes Rückkaufprogramm rein.
Uns geht es ja zurzeit wirtschaftlich ganz gut, manche sagen, wir schwimmen im Geld …
… wobei der Finanzsenator zum aktuellen Haushaltsüberschuss gesagt hat, der sei überhaupt nicht selbstverständlich.
Aber eine Wohnung, die wir zurückkaufen, ist gut angelegtes Geld: Die Mieten fließen dann doch in unsere Tasche. Und wir wünschen uns auch, Mietern zu ermöglichen, ihre Wohnung als selbst genutztes Eigentum zu erwerben. Das Konzept in der Karl-Marx-Allee – Erwerb durch die landeseigene Gewobag, aber teilweise auch durch die Mieter – halte ich für vernünftig. Und es ist gut, dass wir der Deutsche Wohnen da eine Grenze aufgezeigt haben.
Wo überschreitet das Unternehmen denn derzeit Grenzen?
In meinen Sprechstunden und Stammtischen höre ich immer wieder, dass sich die Deutsche Wohnen nicht mieterfreundlich verhält, sondern Wohnraum – und damit auch die Mieterinnen und Mieter – als reine Gewinnobjekte betrachtet. Ich wünsche mir in einer Stadt wie Berlin, dass man die Sensibilität hat, dass man ein Wohngebäude nicht auspressen kann wie eine Zitrone.
Wenn Sie von Rückkauf sprechen: An wie viele Wohnungen denken Sie dann?
Das wird sich in den Gesprächen zeigen, die die Senatskanzlei mit der Deutsche Wohnen führen wird. Unabhängig davon haben wir uns ja vorgenommen, den Bestand an landeseigenen Wohnungen zu erhöhen …
… auf 400.000 bis zum Jahr 2025, steht im Koalitionsvertrag – aktuell sind es rund 310.000.
Und die gehören dann den Berlinerinnen und Berlinern. Wir müssen dafür sorgen, dass die Stadt bezahlbar bleibt, wir können es uns gar nicht leisten, die Wohnungen nicht zurückzukaufen. Dieser Rückkauf, wo immer er möglich ist, ist eine Sache des Anstands.
Ist es nicht auch eine Sache des Anstands, die über 40.000 Menschen, um die Berlin jährlich wächst, mit Wohnraum zu versorgen? Rückkauf verhilft zwar zu mehr Markteinfluss, sorgt aber für keine einzige zusätzliche Wohnung.
Deswegen sagen wir als SPD nach wie vor: „Bauen, bauen, bauen“, und werden Stadtentwicklungssenatorin Lompscher (Linkspartei; Anm. d. Red.) nicht aus der Pflicht entlassen, ob es ihr passt oder nicht. Wir profitieren doch von der wachsenden Stadt: über mehr Jobs und mehr Steuereinnahmen.
Wenn wir nun auf die Straße gingen und Leute fragten, ob sie das mit dem Wachstum auch so toll finden wie die SPD, würde das mit Sicherheit nicht jeder so sehen. Volle U-Bahnen, kaum noch Wohnungen: Es wird gefühlt enger.
Da haben Sie recht, weil es an vielen Stellen nicht läuft. Was das Thema Verkehr betrifft: Die Leute ärgern sich – volle Busse, volle Bahnen, falsche Taktzeiten. Trotzdem ist Wachstum richtig, man muss es nur richtig begleiten, damit die Wachstumsschmerzen so gering wie möglich ausfallen.
Um auf die Klausur in Rostock zurückzukommen: Wenn es um das Thema Armut geht, reden Sie dann auch über Michael Müllers Vorstoß für ein Grundeinkommen? Auch so eine Sache, die Geld kostet.
Das Solidarische Grundeinkommen haben wir ja schon auf dem Parteitag im vergangenen Jahr beschlossen, und die Fraktion unterstützt das. Wir reden gerade über konkret 1.000 Menschen, die das betreffen würde.
Pflege als weiteres Thema – da ist doch das meiste in Bundesgesetzen geregelt. Was kann da die Berliner Landespolitik noch mitreden?
Eine ganze Menge. Etwa bei der Frage, ob wir nicht selber Pflegewohnhäuser bauen.
Ist das dasselbe wie ein Pflegeheim?
Jein. Erst einmal: Ich finde den Begriff „Pflegewohnhaus“ schöner – niemand lässt sich gern ins Heim abschieben.
Dann muss sich aber innen drin auch etwas verbessern, sonst ist das ja nur ein neues Etikett.
Gerade darüber wollen wir ja reden. Wir haben als Land Berlin auch die Möglichkeit zu Bundesratsinitiativen.
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