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Skandal um gefälschte Zitate bei Menasse„Das Buch steht in Brüssel“

Hat Robert Menasse noch weitere Zitate erfunden? Bei der Recherche nach seinen Quellen ist der Schriftsteller nur bedingt hilfsbereit.

Robert Menasse

BERLIN taz | Seit kurz vor Weihnachten beschäftigt der Fall Robert Menasse die deutsche Öffentlichkeit. Zunächst publizierte die Welt, dass der renommierte österreichische Schriftsteller, der 2017 den Deutschen Buchpreis gewonnen hatte, Zitate von Walter Hallstein frei erfunden hatte. Dann meldete die FAZ, dass auch Menasses Behauptung, Hallstein habe seine Rede als erster Präsident der EWG-Kommission 1958 in Auschwitz gehalten, nicht zutraf. Menasse hatte beides in Essays oder Vorträgen behauptet, womit seine Angaben nicht mehr unter schriftstellerische Freiheit fielen.

Menasse probierte es zunächst mit einer Vorwärtsverteidigung („Was kümmert mich das Wörtliche, wenn es mir um den Sinn geht“), dann knickte er ein, als die Verleihung der Carl-Zuckmayer-Medaille am 18. Januar auf dem Spiel stand. Er werde in Zukunft „die künstlerische Freiheit im Roman und die Spielregeln im politischen Diskurs“ nicht mehr vermischen, kündigte Menasse an.

Eine Frage ist immer noch offen: Sind die bekannten Hallstein-Zitate und die Auschwitz-Rede alles, was Menasse erfunden hat? Oder verbergen sich in seinen Essays noch mehr Fälschungen? Der Suhrkamp Verlag, der seinen Autor Menasse in dieser Woche verteidigte, antwortet, nicht systematisch zu prüfen, ob weitere Zitate falsch sein könnten.

Anders geht es derzeit Redaktionen: So fragte die taz schon in der letzten Woche an, ob das Hallstein-Zitat in Menasses taz-Essay vom Juni 2018 korrekt war. Menasse konnte das belegen.

Schwieriger sieht die Sachlage bei einem Zitat von Jean Monnet aus, nach dem die taz ebenfalls gefragt hat. Es war in der Langfassung des Menasse-Vortrages im Willy-Brandt-Forum in Berlin am 11. Juni 2018 enthalten, den die taz dann – unter anderem um das Zitat – gekürzt als Essay brachte. Danach soll Monnet gesagt haben, dass „(…) nationale Interessen nichts anderes sind als die kurzsich­tigen ökonomischen Interessen nationaler Eliten, deren Befriedigung die eigene Population und die Populationen anderer Nationen in der Buchhaltung dieser Ökonomie zu Abschreibposten, im konkreten Leben zu Opfern macht“.

Schriftsteller „komplett tiefenentspannt“

Menasse schrieb der taz: „Das Monnet-Zitat weiß ich nicht mehr auswendig, ich glaube, dass ich es aus seiner Autobiographie habe. Die habe ich aber nicht hier, das Buch steht in Brüssel.“ Die taz hat sich daraufhin das Buch („Erinnerungen eines Europäers“) kommen lassen – das Zitat befindet sich dort nicht. Auch das Online-Magazin Krautreporter, das im letzten Jahr einen langen Essay Menasses veröffentlicht hatte, in dem unter anderem ein falsches Hallstein-Zitat sowie das obige Monnet-Zitat enthalten waren, scheiterten bei dem Autor mit seiner Bitte, die Zitate präzise nachzuweisen.

Das Monnet-Zitat weiß ich nicht mehr auswendig

Robert Menasse

Ebenso fragt der wissenschaftliche Springer-Verlag derzeit bei Menasse nach. Der Schriftsteller hatte dort in dem Sammelband „Europa der Regionen“ einen Essay veröffentlicht, in dem wieder eines der falschen Hallstein-Zitate („Ziel ist und bleibt die Überwindung der Nationen“) und das Monnet-Zitat enthalten sind – allesamt ohne Belege. Der Schriftsteller sei „komplett tiefenentspannt“, was die Möglichkeit angehe, die Zitate nachzuweisen, sagt Verlagssprecherin Uschi Kidane.

Auch bezüglich Ulrike Guérot gibt es Neues: Die Wissenschaftlerin hatte 2013 zusammen mit Menasse in der FAZ einen Essay veröffentlicht, in dem erstmals ein falsches Hallstein-Zitat auftauchte. Der Welt sagte Guérot, die Zitate seien in dem Teil des Textes gewesen, der von Menasse zugeliefert worden sei. Sie habe damals nicht die Korrektheit der Zulieferung überprüft, weil sie „nicht genug Autorität oder Souveränität gehabt“ habe, „um dies anzumahnen“.

Unsere Recherchen haben allerdings ergeben, dass Guérot das falsche Hallstein-Zitat auch unabhängig davon verwendet hat, so bei einem Vortrag bei der Friedrich-Ebert-Stiftung. In der taz schrieb sie im September 2017, dass „die viel zitierten Gründungsväter der EU (Jean Monnet oder Walter Hallstein) übrigens immer davon sprachen, dass Europa die Überwindung der Nationalstaaten bedeutet“.

Am 18. Januar will die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) Menasse im Mainzer Staatstheater die Carl-Zuckmayer-Medaille verleihen. Vielleicht wäre zumindest eine Verschiebung sinnvoll. Damit Menasse genug Zeit hat, in Brüssel oder sonstwo nach Belegen für seine Zitate zu suchen.

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14 Kommentare

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  • Ist es möglich, dass Menasse die Zitate aus dritter Hand hat und er diese dritte Hand nicht hinterfragt hat, obwohl sie ihn auflaufen lies? Denn mit den falschen Zitaten die Karriere zu pushen, funktioniert nicht. Dass Menasse nichts besseres eingefallen ist, kann ich auch nicht glauben. Dass er die EU unterstützen will, kann ich als Anliegen verstehen. Aber warum derart und warum einschließlich "Rehabilitation" Hallsteins?

  • „Der Nationalismus hat die europäische Kultur und Zivilisation zerstört.“ - Stefan Zweig - schreibt Menasse.

    Nur wo schreibt Stefan Zweig das selbst?

    Eine weitere Fragen an den tiefenentspannten Herrn Menasse ...

  • Ich habe mal Walter Hallstein gegoogelt. Man findet sehr reichhaltig Marterial und Reden und Auftritte des Jahres 1958:



    archives.eui.eu/fi...dsHallstein-FR.pdf



    Auschwitz ist nicht dabei.



    Sehr dünn ist aber die Zeit bis 1945. Kein Aufsatz im Internet. Keine Dokumente. Keine Rede. Bis auf eine. Gehalten in Rostock am 24. Januar 1939. Thema war die zügige juristische Gleichschaltung besetzter Gebiete. Die Gleichschaltung war sowohl für die rassische Verfolgung, als auch für die wirtschaftliche Ausbeutung erforderlich.



    twitter.com/eu_com...3268311042?lang=de



    www.reject-the-eu....cal-documents.html



    Hallstein war kein NS-Parteigenosse. Und wurde 1941 Ordinarius an der Frankfurter Universität.



    Frankfurt war Sitz von Hoechst und IG Farben. Die wiederum entwarfen Auschwitz mitsamt allen Nebenanlagen, z.B. den toxikologischen Versuchsanstalten, für knapp eine Milliarde Reichsmark, die sie als Darlehen von deutschen Großbanken erhielten.



    Hatte Hallstein mit Auschwitz zu tun? Aber nicht 1958? Und nicht in einer EU-Funktion?



    Keine Ahnung.



    Menasse arbeitet seit ca. 10 Jahren eng mit Ulrike Guérot am Projekt Abschaffung der Nationalstaaten.



    Guérot ist Politologin, war RCDS-Mitglied, Konrad-Adenauer-Stipendiatin und Referentin des CDU-Europapolitikers Karl Lamers.



    Kaum zu glauben, dass sie die Hallstein-Auschwitz-Rede für bare Münze gehalten hat. Warum sie sie toleriert hat, bleibt unklar.



    Auch sie hält Reden über die Abschaffung der Nationalstaaten mit absolutistischem "Wir".



    Verbreitet von einer Deutschen Großbank:



    www.youtube.com/watch?v=83Q24eg7peI

    • @Calliope:

      Nachtrag: Frau Guerot arbeitet / spricht für die Deutsche Bank ? - Spontan fällt einem dazu Wolfgang Neuss ein: " Wir schaffen es, ohne Waffen-SS."

    • @Calliope:

      Interessanter Fall , der an unerwarteter Stelle einen Blick hinter einen Vorhang ermöglicht.



      Stimmt: NSDAP- Mitglied war Hallstein nie, wohl aber Mitglied in allerlei NSDAP-Unterorganisationen.



      Dass Frau Guerot für die Deutsche Bank ( Näheres in Sachen Historie siehe unter "OMGUS") unterwegs ist, läßt allerlei Spekulationen ins deutsche Kraut schießen.

      • @Mogel:

        Man kann schon ins Grübeln kommen, weshalb Menasse eine Hallstein-Auschwitz-Rede erfindet, die wichtigste authentische Rede Hallsteins aber unterschlägt.



        Es ging um den Prozess der Rechtsvereinheitlichung eroberter Gebiete, die dort per Verordnung eingeführt werden sollten. Dieses Procedere war notwendig, um Verwaltung und danach Mord- und Verwertungsmaschinerie in Gang kommen zu lassen und damit Auschwitz erst zu ermöglichen.

        Und in diesem Zusammenhang irritiert die Unterstützung der Deutschen Bank für die Abschaffung der Nationalstaaten ja doch.



        Rein technisch macht die EU-Kommission ja nicht viel anderes als Verordnungen mit Gesetzescharakter zu erlassen, Hallstein war da quasi schon Experte.

        • @Calliope:

          Booey - danke für den Hinweis.

          unterm——btw only —



          Hatten mal nen Montan-Union-Mann vorm Tresen - wg Versorgung unne so.



          Tiefstes Herrenreitertum. “Junger Mann - da hat das BVerfG in einem Aperçu ….“ usw usf! Nich to glöben.

          (Beim OVG in MS - kam er dann an den Richtigen. (der legte bei Tagungen am liebsten Knöpfe in den Korb fürs Personal;)( - aber der soll ihn derart Abgeledert haben ~~ Klagerücknahme!)

  • Auch wenn die Fälle von der Schwere nicht ganz vergleichbar sind: der Umgang vom Spiegel mit Relotius hat mir Redpekt abgenötigt. Offener Umgang und Aufklärung. Dass der Suhrkamp-Verlag nicht weiter nachprüfen möchte, ist das Gegenteil. Nach dem Motto, nur keinen großen Skandal haben.

  • Gruselig! Warum hat Menasse so eine Scheiße fabriziert? Im Ergebnis sind so gute Sätze zu Lügen geworden. Und dies ohne jede Notwendigkeit. Die Wirkung ist fatal.

  • Es ist beschämend, dass ein bedeutender Schriftsteller wie Robert Menasse sich derart versteigt und mit haarsträubender Apologie seine Geschichtsklitterung zu rechtfertigen versucht. Es ist hier nichts zu retten: der Befund ist eindeutig und die Kritik an seiner Art der Manipulation historischer Quellen ist vollkommen berechtigt. Menasse hätte die seinem literarischen Rang angemessene intellektuelle Aufrichtigkeit zeigen können und seinen bedauerlichen Fehler eingestehen müssen.



    Ebenso abstoßend ist freilich die dumme, ja wirklich dumme Apologetik des Literaturpapstes im Westentaschenformat Denis Scheck, der als Jury-Mitglied eine miserable Apologetik von sich gegeben hat:



    www.zdf.de/kultur/...l-menasse-100.html

  • Feine Ironie - & bleibense dran.

    Wie anderenorts;)* schon angemerkt - hatte ich beim



    Schräglesen vom Europäischen Landboten - den Eindruck:



    “Ganz schön euphemistisch - wa*¿*“



    So sehr ich das “Vorwärts mit Europa“ weiter teile. Das ja.



    Ist meine Außeninnensicht - via Weggefährten Tagungen etc.



    Bis her ziemlich skeptisch.



    Die Realität spricht Bände & das aber - liegt in hohem Maße.



    An dem zunehmenden Egoismus der Nationalstaaten.



    Schland via - derzeit - Angie&Schäuble/Grexit! - vorweg.



    Aber auch France nicht immer koscher.



    &



    Einem auf allen Beinen hinkendem Parlament vs einer undemokratischen



    Kommission. Newahr.



    Normal.

    unterm———*



    @SEBASTIAN KREIBIG Zu Beine machen & Verantwortung -



    BESUCH BEI DEN EUROKRATEN

    Ein schwarzes Loch namens Verantwortung

    VON DIRK SCHÜMER, BRÜSSEL

    Die mächtigsten Leute in der EU sind die Generaldirektoren. Kaum jemand kennt sie. Sie sind aber gemeint, wenn auf die „Eurokraten“ geschimpft wird. Zu Recht? Eine Brüsseler Fahndung.

    www.faz.net/aktuel...nzen-12951115.html



    &nochens

    “Das Verhalten der Südschiene in der Flüchtlingsfrage ist die Quittung an Merkel&Schäuble für Grexit. Damit war/ist denen klar: Wenn’s uns dreckig geht - lassen die uns im Regen stehen!“

    Friedrich Küppersbusch

    &

    ff usw usf



    &



    “@AGERWIESE Mal das “Feature“ eines Weggefährten & Brüssel-Insiders (was her hellsichtig)

    “Du mußt dir die Kommssion wie das Stein-Hardenbergsche Reformkabinett!



    Vorstellen: Klar doch - Hochgebildet Hochintelligent Hocheffektiv & sicher! Hochökologisch - weil sie wissen - damit kannste ganz viel verdienen!…

    (&Däh!)…(Get it*!* Fein;(



    Genau. “…Komplett undemokratisch!“ •

    So geht das.“



    Na bitte - Geht - doch!;)(

    www.taz.de/!5555668/

    • @Lowandorder:

      & um Angie nicht so allein im Regen stehen zu lassen - nochn (eigen;)Zitat

      “…& btw

      Sprutzte ich in Brüssel doch glatt in den lecker Strühfück-Coffie:“Aus unserer Sicht isses ja besser - wenn der Dicke wieder gewählt wird!“ “Waaas - büst verrückt? Du warst im SDS!“ - “Schonn! Aber - Kohl - hat die Besatzerstiefel im Wohnzimmer noch erlebt. Du kannst gegen ihn sagen was du willst. Aber auch wenn er sich für die Wirtschaft reinhängt - macht er immer auch was für Europa.

      Schröder & Lafontaine - stehen für gar nichts!“



      & Däh!

      So - plus zwei verfassungs- & völkerrechtswidrige Kriege - Agenda 2010 & Hartz IV ff - kam es.…“



      (klar auch - Angie wollte bei ihrem Freund mit der Hasenpfote im Jet-Strampelanzug - Mitmarschieren - öh lassen - Ooch wieder wahr!;(

      & Belle France*¿* - mal dazu so:



      “Dat hälste doch im Kopp nich aus.



      Da kriegste doch glatt - nen knallharten Giscardisten auf Seite gestellt - im Tandem! - der beinhart nur die Interessen Frankreichs durchzuboxen sucht. Hömma - da mußte aber aufpassen wie’n Schießhund & Ochsen wie nix gutes!“ Zitatende.

  • "Vielleicht wäre zumindest eine Verschiebung sinnvoll."

    Pfff, als ob Malu Dreyer hier Preise für Hiwi-Arbeiten vergäbe. Die Medaille gibt's für korrekte Denke, so sinngemäß formuliert. Oder anders: für "Verdienste um das künstlerische Wort".