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Abgeordneter über Inklusion im Kulturbereich„Wir wollen Normalität“

Das Bremer Landesparlament beschäftigt sich mit der Frage, wie und unter welchen Bedingungen Menschen mit Beeinträchtigungen am Kulturleben teilhaben.

Die Theatergruppe „Blaumeier“ bei einem Auftritt in Bremen Foto: dpa
Interview von Jan-Paul Koopmann

taz: Herr Pirooznia, Sie bringen gerade die Inklusion des Kulturbetriebs ins Bremer Landesparlament. Geht es da um mehr als nur die Rampen vorm Stadttheater?

Nima Pirooznia: Es muss um mehr gehen! Die UN-Behindertenrechtskonvention sagt ja eindeutig: Alle Menschen, ob mit Beeinträchtigung oder ohne, sollen gleichermaßen an dieser Welt teilhaben können – und damit auch am Kulturbetrieb. Die Frage ist jetzt: Wie weit sind wir? Die Konvention ist von 2008, das ist eine ganze Weile her. Hat der Senat seine Hausaufgaben gemacht, um die Zugänge zu ermöglichen? Und damit meine ich nicht nur das Thema der Barrierearmut oder dass Museen ihre Exponate in der richtigen Höhe hängen. Es geht darum, dass Kultur insgesamt inklusiv gedacht wird.

Also auch die Programme?

Die Inhalte, ja, aber auch die Kulturarbeit selbst. Beeinträchtigte Menschen können genauso gute Inszenierungen machen wie andere – oder bessere. Es müssen Wege in solche Jobs geschaffen werden und das gelingt nur, wenn sich dies auf Augenhöhe abspielt.

Wie kriegen Sie das hin?

Es geht mir unter anderem um Ausbildungen in den Kulturbetrieben. Künstlerische Professionalität fällt nicht vom Himmel. In der Ausbildung wird nicht nur die künstlerische Persönlichkeit ausgebildet, sondern es geht auch um die Vermittlung von künstlerischen Techniken, den Umgang damit und wie sie individuell eingesetzt werden können. Und wenn die Menschen erst mal da sind, wächst das zusammen. Wenn erst auch im Management Menschen mit Beeinträchtigung sitzen, wird klar, wie wichtig Fahrstühle auch in den Werkstätten sind.

In der UN-Konvention heißt es nur, Menschen mit Beeinträchtigung müssten Räume haben, um sich künstlerisch betätigen können. Aber es gibt ja bereits Gruppen, die inklusiv arbeiten.

Ja, vor allem in der freien Szene. Da hat das Thema historisch gesehen seinen Ursprung in den 70er- und 80er-Jahren. Das sind zum Teil wunderbare Projekte, aber es reicht nicht. Jetzt, nach 30 bis 40 Jahren, ist eine veränderte Einstellung zu diesem Thema spürbar und auch in den großen Häusern wächst das Bewusstsein. Was da genau passiert, wollen wir jetzt wissen. Wie sehen die Beschäftigungsmöglichkeiten von Menschen mit Beeinträchtigung aus? Und nicht nur auf den Ebenen Sicherheitsdienst oder Reinigungskraft – sondern auch als Regisseurinnen, als Choreografinnen. Als was auch immer.

Glauben Sie, Künstler und Künstlerinnen sind da weiter? Ist Inklusion in der Kultur einfacher zu haben als in der Wirtschaft?

Geistig ist die Kunst da bestimmt sehr weit. Aber nichtsdestotrotz steht man hier vor den gleichen Herausforderungen. Wenn wir Spielstätten und auch subkulturelle Einrichtungen wirklich inklusiv denken wollen, bedarf das einer Barrierefreiheit oder -armut, die es nicht für null Euro gibt.

Aber ist die Kultur in Bremen nicht jetzt schon unterfinanziert?

Wir haben in Bremen die Möglichkeit, ab 2020 ein bisschen mehr Geld in die Hand zu nehmen. Deshalb müssen wir gerade jetzt herausfinden: Wo soll es sinnvollerweise hinfließen? Klar ist auf jeden Fall, dass die Kultur für die Gleichberechtigung zusätzliche Mittel braucht – nicht nur für die baulichen Einrichtungen.

Sie haben immer Wert darauf gelegt, dass diese Gelder auch als Kulturmittel bezeichnet werden und nicht unter Soziales fallen. Warum ist das wichtig?

Die Förderlandschaft ist ziemlich unübersichtlich. Da gibt es Bundesmittel, es gibt Landesmittel und unterschiedliche Stiftungen. Da ist der Inklusionsgedanke nicht unbedingt überall gleichermaßen berücksichtigt. Mir ist wichtig, dass wir ausdrücklich über Kultur reden, nicht von sozialer Arbeit oder so was. Das ist ein großer Unterschied für die Künstlerinnen und ein Weg, da auch noch mal Bestätigung zukommen zu lassen. Man nimmt es als Kulturarbeit wahr und nicht als einen Gefallen. Kulturelle Teilhabe ist Teilhabe an der Gesellschaft.

Im Interview: Nima Pirooznia

geboren am 1981 in Teheran, ist Diplom-Volkswirt und seit November 2017 Abgeordneter der Bremischen Bürgerschaft für Bündnis90/Die Grünen.

Aber ans Strukturelle kommt man doch kaum ran. Sind es in der Kultur nicht immer total individuelle Wege, die sich kaum verallgemeinern lassen? Nicht mal die Künstlersozialkasse hat Zahlen zu Beeinträchtigungen ihrer Mitglieder. Und wäre das nicht auch gegen das Diskriminierungsverbot?

Ich glaube, man muss da sehr sensibel fragen. Es gab auch bei unserer Großen Anfrage im Bremer Landesparlament Punkte, die ich zunächst auf der Agenda hatte und die ich dann fallengelassen habe. Man bewegt sich da schon in seltsame Bereiche, die auch leicht einen falschen Zungenschlag bringen können.

Zum Beispiel?

Wenn ich jetzt frage: Wie viele Menschen im Management haben eine Beeinträchtigung? Damit diskriminiere ich ja schon und lasse Menschen nach einem Merkmal heraussuchen. Wenn wir aber Normalität herstellen wollen, können wir so nicht fragen. Das erinnert mich auch an Abfragen zu dunklen Zeiten hier in Deutschland. Das ist wirklich ein Problem, und gut gemeint ist hier nicht immer gut gemacht.

Stellen Sie sich mal vor: Ein kulturinteressierter Mensch mit geistiger Beeinträchtigung kommt dank Fahrplan in einfacher Sprache mit der Bahn ins Theater und scheitert dann am Programmheft auf Dramaturgisch. Da kann Politik nichts mehr ausrichten, oder?

Nein, und das will ich natürlich auch nicht. Politik hat Kultur nicht vorzuschreiben, was sie macht. Sie soll es auch nicht einmal entsprechend bewerten. Ich glaube aber, dass es von allein besser wird, wenn wir die Rahmenbedingungen und Fördermöglichkeiten schaffen. Wenn die konkreten Menschen erst da sind, dann wird sich das auch in den Inhalten wiederfinden. Außerdem ist die Vielschichtigkeit ja sowieso in Ordnung. Wir wollen keinen Kulturbetrieb, der nur Hochgestochenes macht, aber wir wollen eben auch keinen, der ausschließlich in leichter Sprache arbeitet. Es gibt Menschen, die mögen solche Texte, wie Dramaturgen sie schreiben, und setzen sich gerne damit auseinander. Dieses Vielfalt gibt es auch zu bespielen.

Wenn nicht die Inhalte, was kann Politik dann überhaupt beeinflussen?

Wir können – wir müssen – Rahmenbedingungen schaffen, damit das Thema Inklusion Normalität wird. Ich will nicht auf dem Thema herumreiten oder irgendwelche Vorzeigeprojekte auf den Weg bringen, auf denen man sich dann ausruhen kann. Wir müssen strukturell da ran und ich will wissen: Wie weit sind wir heute? Wir haben in Bremen tolle Akteure, die vormachen, was möglich wäre: Blaumeier oder die Blaue Karawane zum Beispiel. Da wird einfach Kultur gemacht und jeder ist willkommen. Da wird inklusiv gedacht und nicht in Kategorien wie „Die kann das nicht“ oder „Der hat diese Schwäche“. Wir sind wie wir sind – und aus dieser Energie wird das meiste rausgeholt, was geht.

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