piwik no script img

Kommentar Dissidenten in NicaraguaRache in Etappen

Ralf Leonhard
Kommentar von Ralf Leonhard

Medien, Menschenrechtsbüros und zivilgesellschaftliche Organisationen werden in Nicaragua drangsaliert. Demonstrationen sind verboten.

Ein lupenreiner Demokrat: Daniel Ortega Foto: Reuters

P atadas de ahogado, wörtlich die Fußtritte des Ertrinkenden, so sagt man im Spanischen, wenn jemand, der seine Sache verloren sieht, noch einmal mit aller Kraft um sich schlägt. Man ist versucht, dieses Bild auf das Ortega-Murillo-Regime in Nicaragua anzuwenden, das gerade die letzten Bastionen der Dissidenz schleift.

Unter dem Pauschalvorwurf der Verschwörung und des Putschversuchs werden Medien, Menschenrechtsbüros und zivilgesellschaftliche Organisationen drangsaliert, verboten und von der Polizei gestürmt. Es wird nicht mehr scharf geschossen, wie noch vor wenigen Monaten. Demonstrationen werden einfach nicht mehr zugelassen.

Den aufgelösten Institutionen ist gemein, dass sie von Leuten geleitet werden, die vor wenigen Monaten noch Daniel Ortega bei einem von den Bischöfen moderierten nationalen Dialog gegenübersaßen und dessen Rücktritt sie forderten. Die Rache folgte etappenweise. Erst ließ der ehemalige Revolutionskommandant die Protestbewegung unter hohem Blutzoll militärisch niederschlagen, dann wurden Proteste kriminalisiert und Oppositionelle scharenweise eingesperrt. Jetzt sollen die letzten Stimmen des Widerstands zum Schweigen gebracht werden.

Wie Erdoğan in der Türkei oder Putin in Russland bedient sich Ortega formal der Instrumente des Rechtsstaats, um die Demokratie außer Kraft zu setzen. Ein Scheinparlament, wo sich die regierungstreue Zweidrittelmehrheit einem dreisten Wahlbetrug verdankt, liefert die rechtliche Grundlage für die Unterdrückung aller abweichenden Meinungen.

Das außenpolitisch weitgehend isolierte Regime, das sich im Inneren jüngsten Umfragen zufolge nur noch auf knapp ein Fünftel der Bevölkerung stützen kann, zeigt keinerlei Signale der Kompromissbereitschaft. Aber mittelfristig kann sich keine einzig von den Bajonetten getragene Despotie halten. Der Widerstand findet zwar großteils nur mehr in den sozialen Medien statt, doch die sind kaum zum Schweigen zu bringen. Schließlich gehören die Mobiltelefongesellschaften transnationalen Konzernen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Ralf Leonhard
Auslandskorrespondent Österreich
*1955 in Wien; † 21. Mai 2023, taz-Korrespondent für Österreich und Ungarn. Daneben freier Autor für Radio und Print. Im früheren Leben (1985-1996) taz-Korrespondent in Zentralamerika mit Einzugsgebiet von Mexiko über die Karibik bis Kolumbien und Peru. Nach Lateinamerika reiste er regelmäßig. Vom Tsunami 2004 bis zum Ende des Bürgerkriegs war er auch immer wieder in Sri Lanka. Tutor für Nicaragua am Schulungszentrum der GIZ in Bad Honnef. Autor von Studien und Projektevaluierungen in Lateinamerika und Afrika. Gelernter Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • So langsam kommt auch der Mainstream der "Linken" (mit Ausnahme der Moskau-Fraktion um Wagenknecht und Hänsel) hier in der BRD zur Ansicht, dass wohl doch das Volk und nicht der US-Imperialismus hinter dem Aufstand gegen die Ortega/Murrillo Diktatur steht. Dagegen stehen, aus geopolitischen und ideologischen Gründen, immer noch Teile der lateinamerikanischen orthodoxen Linken sowie Venezuela, Bolivien und Cuba, hinter dem Diktator. Wie lange diese Despotie noch überlebt, hängt nicht zu letzt vom finanziellen Druck der USA und dem politischen Druck der EU-Länder und der ehemaligen Nica-Solibewegung hier ab.



    Am letzten Freitag fand deshalb spontan eine Protesveranstaltung von Aktivisten vor der Botschaft Nicaraguas in der Werftstrasse 2, Berlin-Moabit, statt. Die Lichter der Botschaft gingen dabei ständig an und aus , was auf ein gewisse Nervosität der Botschafts-Herrschaften schliessen lässt. Dies gilt es nun zu verstärken, nach dem Motto: steter Tropfen hölt den Stein.