Staatliche Repression in Nicaragua: Feldzug gegen unabhängige Stimmen
Präsident Ortega will unabhängige Medien und NGOs verbieten. In der Nacht auf Freitag stürmten Polizisten die Onlinezeitung „Confidencial“.
Wien taz | Dissidente Stimmen dürfen in Nicaragua nicht mehr gehört werden. Präsident Daniel Ortega und Vizepräsidentin Rosario Murillo haben den Sturm auf unabhängige Medien und Institute befohlen., darunter das renommierte Menschenrechtszentrum CENIDH und die Organisation Popol Na der ehemaligen Guerillakommandantin Mónica Baltodano.
Vergangene Woche beschloss die Nationalversammlung, neun Organisationen die Rechtspersönlichkeit abzuerkennen und damit ihre Aktivitäten zu verbieten. In der Nacht auf Freitag drang die Polizei in deren Büros ein, beschlagnahmte Computer, Handys, Dokumente und Fahrzeuge.
„Ins CENIDH stiegen sie über das Dach ein, wie gemeine Einbrecher“, berichtete Vilma Núñez, Direktorin des Menschenrechtszentrums, das unter anderem von medico international, Brot für die Welt und Eirene in Deutschland unterstützt wird. Der Nachtwächter soll geschlagen und beraubt worden sein. Als Vilma Núñez am folgenden Tag Unterlagen aus ihrem Büro holen wollte, verweigerte man ihr den Zutritt. „Hier gibt es kein CENIDH mehr, das ist jetzt Geschichte“, gibt ein Polizist auf einem Video Auskunft.
Verboten wurde auch das Sozialforschungsinstitut Cinco, das von Carlos Fernando Chamorro geleitet wird. Der renommierte Journalist ist Sohn der Expräsidentin Violeta Barrios de Chamorro und des Zeitungsverlegers Pedro Joaquín Chamorro, dessen Ermordung vor 40 Jahren den Volksaufstand gegen die Somoza-Diktatur ausgelöst hatte.
600 politische Gefangene warten auf Schauprozess
Die Polizei überfiel auch die Redaktionsräume des Programms „Esta Semana“ und der Onlinezeitung Confidencial, die auch beide von Chamorro geleitet werden und sich als die wichtigsten unabhängigen Informationsquellen etabliert haben – die meisten elektronischen Medien werden vom Staat, der Familie Ortega oder deren Verbündeten kontrolliert.
Unter den betroffenen NGOs ist auch die Umweltstiftung Fundación del Río, die im April Alarm schlug, als die Regierung gegen einen Waldbrand im Naturschutzgebiet Indio Maíz untätig blieb. Aufgelöst wurde auch das Gesundheitsinformationszentrum Cisas. Dessen Direktorin Ana Quirós, eine Wortführerin der Opposition, wurde schon im November ausgebürgert und nach Costa Rica abgeschoben.
In Nicaragua ist seit April eine durch Erhöhungen der Sozialversicherungsbeiträge ausgelöste Protestbewegung blutig niedergeschlagen worden. Die Repression kostete 325 bis 500 Menschenleben. Rund 600 politische Gefangene warten auf einen Schauprozess, bei dem ihnen Verschwörung und Putschversuch vorgeworfen werden.