Kolumne Latino Affairs: Nicaraguas falscher Freund
Der Journalist Max Blumenthal verteidigt Nicaraguas Präsidenten Daniel Ortega. Damit diskreditiert er die Proteste gegen das Regime.
Erinnern Sie sich noch an Max Blumenthal? Er war einer von zwei Journalisten, die vor vier Jahren Gregor Gysi im Bundestag bedrängt und bis zur Toilette verfolgt hatten. Sie wollten den Linken-Politiker zur Rede stellen, weil er untersagt hatte, dass die israelkritischen Publizisten im Namen seiner Fraktion in deren Sitzungssaal und der Berliner Volksbühne sprechen. Am 9. November, dem Jahrestag der Pogromnacht von 1938, wollten beide dort für den Boykott Israels werben.
Blumenthal verwarf die Kritik als Hetzkampagne eines „antipalästinensischen Netzwerkes“, hinter dem ein jüdischer Milliardär und das Simon-Wiesenthal-Zentrum steckten. Den Umgang seiner Kritiker mit der deutschen Geschichte beschrieb er in der taz als „intellektuell rückständig“.
Intellektuell fortschrittliche Politik in seinem Sinne wollte Blumenthal wohl in den letzten Monaten in Nicaragua zeigen. Zu einem Zeitpunkt, als das Regime von Daniel Ortega schon mehrere Hunderte getötet hatte, interviewte er den Präsidenten, ohne eine kritische Frage zu stellen. Er bot dem Staatschef eine Plattform, um die repressiven Maßnahmen zu rechtfertigen, mit denen dieser seit April gegen Oppositionelle vorgegangen war. Kein Wort darüber, dass Ortegas Familie beträchtliche Pfründen eingesackt hat und die Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) zu einem korrupten Haufen verkommen ist.
Von der CIA gesteuert?
Blumenthal lässt auch sonst keinen Zweifel daran, dass er die Demokratiebewegung für eine vom CIA gesteuerte Konspiration gegen die US-kritische Ortega-Regierung hält. Am 26. September veröffentlichte er auf dem Onlineportal Mint Press einen Artikel, in dem er den Journalisten Carl David Goette-Luciak denunziert. Er bezichtigte Goette-Luciak, der für den Guardian und die Washington Post berichtete, im Auftrag der Opposition Fake News zu verbreiten. Der US-amerikanisch-österreichische Reporter sei das Sprachrohr der Bewegung zur Erneuerung des Sandinismus (MRS), die im US-Interesse den Regime Change verfolge.
In der MRS sammeln sich Ex-Guerilleros und Intellektuelle, die maßgeblich den Sandinismus prägten, Ortegas FSLN aber längst den Rücken gekehrt haben. Etwa der Autor Sergio Ramirez oder die Politikerin Dora Maria Tellez, die zu den erfahrensten Kritikerinnen der autoritären FSLN zählen. Blumenthal nimmt sie sich vor.
Gezielte Hasskampagnen
Blumenthals Artikel folgte einer Serie von Angriffen auf Goette-Luciak in sozialen Medien, in denen dieser als CIA-Agent denunziert wurde. Unbekannte veröffentlichten seine Adresse, das internationale Journalisten-Netzwerk CPJ sprach von einer gezielten Hasskampagne. Wenige Tage, nachdem Blumenthals Artikel erschien, wurde Goette-Luciak festgenommen und unter Androhung von Folter des Landes verwiesen.
Keine Frage: Blumenthal soll schreiben können, was er will. So sieht es die Pressefreiheit vor, auch wenn sich Ortega einen Dreck darum schert. Und auch wenn Blumenthal dabei die Stasi-Arbeit der Regierung übernimmt. Allerdings sollte er sich nicht zu sicher fühlen. Jahrelang mussten Bücher der Autorin Eva Golinger herhalten, um den Gringos den Schrotthaufen in die Schuhe zu schieben, den das chavistische Regime in Venezuela hinterlassen hat. Die Juristin hatte recherchiert, dass einige Oppositionelle ein paar Millionen Dollar aus den USA bekommen haben.
Doch jüngst kritisierte Golinger, dass Staatschef Nicolás Maduro an einer UN-Versammlung teilgenommen habe, um dort seinen US-Kollegen Donald Trump zu treffen. Das war offensichtlich zu viel. Der Präsident der Nationalversammlung und einflussreiche Chavist Diosdado Cabello erklärte die Autorin daraufhin zur „Agentin des Imperialismus“.
Leser*innenkommentare
Rinaldo
In dem Zusammenhang ist ein Vortrag zur Lage der „linken“ Regierungen in LA von Harry Grünberg (Vorstand „die Linke“, Netzwerk Cuba) am 17.10.18, im GEW-Haus zu erwähnen.
Zusammenfassend Grünbergs Aussagen:
oUS-Imperialismus betreibt Niedergang der „linken“ Regierung in Nicaragua
oGewalt ging angeblich von Demonstranten gegen Rentenreform aus. Als Beleg wird ein Absatz (!) des UNO-MR-Berichts zu Nicaragua zitiert; er erwähnt aber nicht die 95% der Absätze, die eine klare Schuldzuweisung an das Regime beinhalten.
oKeine Erwähnung der Berichte von MR-Berichten von Amnesty, Human Rights Watch und OEA, etc., Kein Wort zu den über 400 Toten der Opposition, Folter, Verschwundene, Flüchtlingsströme, Gleichschaltung der Staatsinstitutionen, etc.
oParamilitärs sind s. M. nach engagierte Mitglieder der „Juventud Sandinista“
oOrtega-Gegner wollen angeblich die Macht an die „Oligarchie“ und die „Reaktion“ zurückgeben
oNGOs spielen s. M. nach eine konspirative Rolle in Zusammenarbeit mit den USA. Als Beispiel zitiert er NGOs, die wegen „ökologischer Bedenken“ (verächtlicher Ton) gegen den Bau des gescheiterten „Trans-Ozean- Kanals“ in Nicaragua gekämpft haben, da dieser die Interessen der USA gefährdet
o der Pakt mit korrupten Politikern wie Arnoldo Aleman, dem Unternehmerverband COSEP und ultra-reaktionären Kreisen der Kirche stellt er als alternativlos dar.
oradikales Abtreibungsgesetz entspricht angeblich sämtlichen Staaten in LA, außer CUBA
Grünberg ist Sprachrohr der Diktatur Ortega/Murrillo, da er wichtige Details unterschlägt oder verdreht und offen lügt.
Unter den gleichgesinnten Teilnehmern der GEW wurde der geforderte Abgang Ortegas mit der Annexion der DDR durch die BRD verglichen (!) und zynische Bemerkungen zur Anzahl der Toten gemacht.
Grünberg ist ein Demagoge, der innerhalb „die Linke“ anscheinend eine Stimme hat. Die Parteiführung muss sich dazu äußern und die GEW sollte sich schämen, Stalinisten auftreten zu lassen
TheBox
Was ist denn schon ein einzelner Reporter, wenn eine offizielle AG der Linken genau die gleichen Positionen vertritt: cuba-si.org/1983/nicaragua-will-frieden
Falk Diederich Lucas
@TheBox Das kann ich dir sagen, dieser "einzelne" Journalist ist bestens vernetzt und über z. B. das grayzone-portal durchaus internetpräsent.
Das die alten Einäugigen von cuba-si den gleichen stalinistischen Unsinn verbreiten macht sie nicht gefährlicher, die sind ein politisches Auslaufmodell.
Was mich wirklich beunruhigt, ist das Konzept medieller Selbstreferenz welches in diesen Kreisen mittlerweile greift: einer zitiert den anderen, aus einem Blogger wird ein Journalist, aus einem Verschwörungstheoretiker ein kritischer Analyst. Internetportale wie das unsägliche America 21 blubbern alles nach was nach Bolivarianismus klingt oder aus Cuba kommt. Und je öfter das ganze wiederholt wird, umso einfacher verwischen die Spuren. Bis dann nachher Teile der alten Solibewegung wie z. B. das Heidelberger Komitee sich auf Speichellecker wie Blumenthal berufen, schön auf den stalinistischen Leim gegangen würde ich sagen. Wer's gerne nochmal gucken will: das "Interview" mit Ortega gibts noch auf Youtube, Kotztüte nicht vergessen!