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„Spiegel“-Skandal um Claas RelotiusChef-Verträge vorerst ausgesetzt

Nach dem Fälschungsskandal beim „Spiegel“ folgen personelle Konsequenzen. Ullrich Fichtner und Matthias Geyer lassen ihren Vertrag ruhen.

Die Debatte nach dem Fall Relotius betrifft die internen Strukturen des „Spiegel“ Foto: dpa

Bei Affären von der Tragweite des Spiegel-Fälschungsskandals ist es üblich, dass auch personelle Konsequenzen folgen. Das ist nun auch eingetreten, zumindest etwas in der Art. Der designierte Co-Chefredakteur Ullrich Fichtner sowie Blattmacher Matthias Geyer werden „ihre neuen Verträge erst mal aussetzen und ruhen lassen“. Das schreibt der neue Chefredakteur Steffen Klusmann in einem Brief an die Mitarbeiter*innen, den die Bild-Zeitung am Freitag zuerst veröffentlicht hat.

Der Reporter Claas Relotius hatte kurz vor Weihnachten zugegeben, etliche Geschichten im Spiegel komplett oder zum Teil frei erfunden zu haben. Dies hat eine Debatte ausgelöst, die einerseits interne Strukturen im Spiegel betrifft wie etwa das Fact-Checking, die aber auch über das Blatt hinausreicht.

Ganz unabhängig vom Skandal um den Reporter Claas Relotius und dessen ausgedachte Geschichten befand sich der Spiegel ohnehin in einer Übergangsphase: Zum 1. Januar sollten Steffen Klusmann und Ullrich Fichtner als Co-Chefredakteure die Nachfolge Klaus Brinkbäumers antreten, Matthias Geyer den Posten als Blattmacher für „Gesellschaft“, das Ressort, in dem Relotius tätig war.

Bei der Frage, ob nun jemand gehen muss und, wenn ja, wer, hat daher nun die Fingerzeigerei begonnen. Intern sei gefordert worden, sich sowohl von Fichtner als auch von Geyer zu trennen, schreibt Klusmann. Denn beide Journalisten waren bereits Vorgesetzte von Relotius gewesen. „So mancher hat mir geraten, das Gesellschaftsressort bei der Gelegenheit ganz aufzulösen“, heißt es weiter.

Strukturell oder Schuld der Einzelnen?

Auch die Frage nach der Verantwortung ist schwierig: Hat man es mit einem strukturellen Problem zu tun, bei dem alle gleichermaßen versagt haben, oder sind Schuldige identifizierbar? Zunächst machte es sich der Spiegel leicht: Gleich am Tag, an dem die Redaktion den Betrugsverdacht publik machte, erschien auf Spiegel Online ein vorbereiteter Text Fichtners im Stil einer Investigativreportage, in dem die Verantwortung weitestgehend Relotius zugewiesen wird. Der Spiegel schien die Deutungshoheit über den Fall von vornherein kontrollieren zu wollen.

Der Spiegel hat nun eine Kommission einberufen, die über die nächsten Monate rekonstruieren soll, wie es zu dem Skandal kommen konnte – und wer nun an den entscheidenden Stellen entscheidende Fehler gemacht hat. Solange diese Kommission arbeitet, werden Fichtner und Geyer ihre Posten nicht antreten.

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2 Kommentare

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  • Leider völlig unterbelichtet bleibt die Frage, inwiefern der Online-Hype mitverantwortlich für das Desaster beim Spiegel ist. Auf der Jagd nach den Klicks und damit Online-Werbeeinnahmen gilt es, mit knalligen Geschichten und fetzigen Überschriften ganz oben im Aufmerksamkeits-Algorhitmus von Google, Facebook und Co zu landen. Dem Zwang zum Hype und zur Geschwindigkeit wird Recherche und Prüfung durch die Dokumentare unterworfen. Und eine wichtige Rolle spielen Chefs in den Redaktionen: "Ha ich habe die im Internet meistgeklickteste Geschichte im Heft, Ich hab den Größten". Der Mix aus technologischem Echtzeit-Druck und altbekannter Eitelkeit der Chefsesselsitzer führt zu solchen medialen Katastrophen (siehe bemerkenswerte Artikel in der aktuellen "Zeit"). Wie würde heute wohl das Szenario des Hitler-Tagebuchskandals (Stern) bei Medien 4.0 aussehen? Ach ja, die Afd und Lügenpressehetzer freut's natürlich - Danke Spiegel!

  • Der Spiegel wird sich das in jedem Fall leicht machen. Dass da ein Phantast seine Literatur preisgekrönt beim Spiegel publizieren konnte - ohne dass es auffiel, ist nicht vom Himmel gefallen, sondern auf Strukture und Macht zurückzuführen. Während viele andere Journalisten Station beim Spiegel machten, stieg Relotius auf.

    Sein Betrug war in der internen Hackordnung karrierefördernd. Und er ist wohl nicht alleine - wer früher im Reiseteil mal etwas dazuerfand, der geriet eigentlich nie in Kritik, aber diese Form literarischen Schreibens hat sich bei ernsten Themen durchgesetzt.

    Der Spiegel verbreitet diese Art von Journalismus immer noch. Einfach mal ein Exemplar kaufen, kürzlich schrieb jemand ein Porträt von Boris Becker - wie nah kam der Autor dem ehemaligen Tennis-Spieler eigentlich. Schwer zu sagen und so sieht es oft aus.

    Schon 1986 sagte mein Politik-Lehrer, der Spiegel ist das Mäuschen im Kanzleramt und hört mit, was das gesagt und vor allem gedacht wird.

    Leider haben sie das seither noch ausgebaut. Der Spiegel könnte weitaus besser sein - die Ressourcen existieren, auch die wirtschaftlichen Bedingungen sind noch gut. Schade, dass man für Wettbewerbe, nicht mehr für links-liberale Leser schreibt.