: Freiburger Wachstumsschmerzen
Die Stadt im Breisgau plant ein großes Neubaugebiet. Obwohl Wohnungen dringend gebraucht werden, formiert sich eine Bürgerinitiative dagegen. Berechtigter Protest oder „Not in my backyard“-Politik?
Aus Freiburg Frederik Eikmanns
Es gibt spannendere Orte in Freiburg als das Dietenbach-Gelände. Neben dem Mundenhof, einer Art Zoo, liegen abgeerntete Maisfelder im matten Licht der Herbstsonne. Ab und zu trägt der Wind das Wiehern eines Pferds oder andere Tiergeräusche herüber. Ansonsten tut sich hier im Freiburger Westen nicht viel.
Das könnte sich ändern: Dort, wo jetzt noch Bäume im Wind rauschen, werden in einigen Jahren vielleicht die ersten Bagger rollen und mit ihren Ketten tiefe Furchen im Boden hinterlassen. 15.000 Menschen sollen in Dietenbach bald wohnen, wenn es nach den Plänen der Stadt geht. Ein komplettes Stadtviertel soll hier bis 2040 neu entstehen. Die ersten Bewohner könnten schon deutlich früher einziehen.
Für den Bau gibt es gute Gründe: Die Mietsituation in Freiburg ist – wie in vielen anderen Städten auch – dramatisch. So dramatisch, dass zu Beginn jeden Wintersemesters Studierende in Notunterkünften übernachten müssen, weil sie kein bezahlbares WG-Zimmer gefunden haben. Freiburg landet mit trauriger Regelmäßigkeit weit oben in den Rankings, in denen Städte nach den dort üblichen Mietpreisen aufgelistet werden. Mehr als 12 Euro Kaltmiete zahlt man hier im Schnitt für den Quadratmeter.
Das Dietenbach-Projekt ist der seit Langem erste großangelegte Versuch, daran durch die Schaffung neuen Wohnraums etwas zu ändern. „Es fehlen schlicht Wohnungen“, sagt Baubürgermeister Martin Haag. „Die richtige Antwort ist es, einen neuen Stadtteil zu bauen.“ Eigentlich könnten sich die FreiburgerInnen also freuen.
Manfred Kröber aber freut sich nicht. „Ist Dietenbach wirklich ein geeignetes Gebiet, um ein neues Stadtviertel zu bauen?“, fragt er. Es ist eine rhetorische Frage. Der 38-Jährige, der dieses Jahr als Parteiloser erfolglos zur Bürgermeisterwahl antrat, ist ein Kopf der Bürgerinitiative „Rettet Dietenbach“, zu der verschiedene Umweltverbände gehören. Ihr Ziel: Das Bauprojekt stoppen.
Es ist ein Konflikt, wie er derzeit in vielen deutschen Städten schwelt. Fast überall steigen die Mieten, fast überall sah die Politik bisher tatenlos zu – nun endlich bewegt sich etwas. Das freut viele, aber eben längst nicht alle: Der Bau neuer Wohnungen belaste Natur und Menschen zu sehr, finden einige. In Berlin etwa soll eine Erholungsanlage einem großen Neubaugebiet für 40.000 Menschen weichen. Die wenigen aber, die bisher auf dem Gelände leben, haben davon nichts. Ihre Häuser sind im Weg.
In Freiburg kommt die Kritik am Bauprojekt aus einer Richtung, die für die Stadt mit ihren rund 220.000 EinwohnerInnen typisch ist. Die AktivistInnen von „Rettet Dietenbach“ argumentieren mit den aus ihrer Sicht hohen Kosten für Natur und Umwelt. „Der Druck auf das nahe Vogel- und Naturschutzgebiet wäre erheblich“, sagt Kröber. Zudem sei die Fläche, auf der gebaut werden soll, von Kanälen durchzogen und werde immer wieder überschwemmt. Um zu verhindern, dass in die Keller der Neubauten Wasser eindringt, muss deshalb vor Baubeginn erst mal der Boden angehoben werden – an einigen Stellen wohl um bis zu drei Meter.
Um das Ausmaß dieses Plans zu verdeutlichen, ließ „Rettet Dietenbach“ Anfang Oktober auf dem Gelände einen Hügel in dieser Höhe auftürmen. Der steht jetzt etwas verlassen in der Landschaft, irgendjemand hat den Berg mit einer Reihe kleiner Kürbisse geschmückt. Stellt man sich daneben, bekommt man ein Gespür für den Aufwand, den es bedeuten würde, den Boden auf dem gesamten etwa einen Quadratkilometer großen Gebiet anzuheben. Aber muss man das nicht einfach in Kauf nehmen, wenn dafür endlich wieder bezahlbare Wohnungen entstehen?
Daran zweifelt Kröber aber und verweist auf den Stadtteil Rieselfeld. Der wurde in den 90er Jahren gebaut und gehöre heute zu den Vierteln mit den höchsten Mieten, wie Kröber sagt. Er befürchtet, dass es auch im neuen Stadtteil so laufen könnte. Statt zu bauen, solle die Stadt doch einfach die Nachverdichtung in bestehenden Vierteln vorantreiben, schlägt er vor.
Auf den Konzeptgrafiken, die im Netz zu sehen sind, sieht Dietenbach tatsächlich nicht so aus, als ob es besonders billig würde, dort zu wohnen. Vielmehr wirken die bunten Flachdachhäuser so, als wären sie vor allem für jene interessant und bezahlbar, die sowieso kaum Probleme haben, eine Wohnung zu finden. Die Freiburger Mittelschicht etwa, die sich gerne liberal und ökologisch gibt, die Kinder mit dem Lastenrad zum Kindergarten fährt, zu Hause aber dann doch einen teuren SUV in der Einfahrt stehen hat.
Die Stadtverwaltung betont indes, man wolle keinesfalls nur Wohnungen für Wohlhabende bauen. Laut dem Leiter des Bauprojekts, Rüdiger Engel, soll etwa die Hälfte aller geplanten Wohnungen als Sozialwohnungen vermietet werden. „Eine bittere Situation“ nennt er es, dass für das Projekt „auf der grünen Wiese“ gebaut werden müsse. Die Alternative sei aber deutlich schlechter. Entstünden die neuen Wohnungen nicht in Dietenbach, so würden viele Menschen aus der Stadt in die umliegenden Dörfer gedrängt. Weil auf dem Land vor allem Einfamilienhäuser gebaut würden, bedeute dies dann, dass noch mehr Fläche verloren gehe, argumentiert Engel. Und die Nachverdichtung? Die sei bereits ein Baustein der Strategie gegen die hohen Mieten, reiche aber allein nicht aus, um die Situation auf dem Markt zu entschärfen.
Neben Kröber haben gut 17.000 FreiburgerInnen wohl auch ihre Zweifel. So viele von ihnen unterschrieben bis zum 26. Oktober eine Petition von „Rettet Dietenbach“ und erzwangen damit, dass es einen Bürgerentscheid über das Bauvorhaben geben wird. Wann genau der stattfinden soll, ist noch nicht klar. So bleibt wohl erst einmal alles beim Alten in Freiburg: Die Mieten sind hoch, die Studierenden übernachten in Notunterkünften, und in Dietenbach herrscht Ruhe.
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