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100 Jahre November-RevolutionVerdruckste politische Erinnerung

Bis auf ein Gedenken im Bundestag begeht die Politik den Jahrestag der Revolution nicht groß. Ganz im Gegensatz zu kulturellen Institutionen.

Berlin, 9. November 1918: streikende Arbeiter auf den Straßen Foto: dpa

BERLIN taz | 100 Jahre Demokratie – das sollte eigentlich ein Grund sein, sich ausführlich mit der Geschichte zu befassen. Das zentrale politische Gedenkereignis findet am Freitag um neun Uhr im Bundestag statt – dort, wo der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann vor hundert Jahren während des Mittagessens die Republik ausrief.

Im Plenum des Reichstags redet Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Eine Debatte im Parlament findet nicht statt. Auch die Fraktionen haben keine eigenen Veranstaltungen geplant. Angesichts der Tatsache, dass historische Großereignisse in der Bundesrepublik sonst oft mit viel politischer Aufmerksamkeit bedacht werden, ist diese Zurückhaltung bemerkenswert.

Etwas anders sieht es bei den kulturellen Institutionen aus. Die Stadt Kiel, wo der Aufstand losbrach, feiert die Geschehnisse mit einer Ausstellung. „Die Stunde der Matrosen – Kiel und die deutsche Revolution 1918“ ist noch bis zum 17. März 2019 zu sehen – im Schifffahrtsmuseum Fischhalle. Das Historische Museum Frankfurt widmet sich bis zum 20. Januar der „Damenwahl! 100 Jahre Frauenwahlrecht“. Das Museum für Hamburgische Geschichte titelt schlicht „Revolution? Revolution!“, noch bis zum 25 Februar. Einen guten Überblick über die mannigfachen regionalgeschichtlichen Austellungen bietet die Website www.weimarer-republik.net.

100 Jahre deutsche Revolution

Es war vor 100 Jahren, als der Kaiser sich verdrückte, die Matrosen aufbegehrten, die Republik entstand. Spartakisten kämpften in Berlin, Sozialdemokraten fürchteten die Räte, und Frauen durften plötzlich wählen gehen. Die taz schaut auf die Errungenschaften der Revolution – und ihr Scheitern. Texte aus der Revolutions-taz bei taz.de und am 9. November in der Zeitung.

In Berlin ist im Märkischen Museum vom 23. November bis zum 29. Mai „Berlin 18/19 – Das lange Leben der Novemberrevolution“ zu sehen. Interessant ist auch die Ausstellung „Berlin in der Revolution 1918/19 – Fotografie, Film, Unterhaltungskultur“, die pünktlich am 9. November eröffnet und bis zum 3. März im Museum für Fotografie in Berlin gezeigt wird.

Der 9. November ist bekanntlich ein komplexes Datum. 1918 brach nicht nur die Monarchie zusammen, 1923 putschten Ludendorff und Hitler gegen die Demokratie, 1938 inszenierten die Nazis antisemitische Po­gro­me, 1989 fiel die Mauer.

Das Deutsche Historische Museum in Berlin, nur einen Steinwurf entfernt vom wieder entstehenden Stadtschloss und auch unweit des Reichstags gelegen, belässt es indes bei einer Geste: Am Freitag, den 9. November kostet der Eintritt nichts – eine vielleicht doch etwas billige Art, dieses komplexe Datum zu würdigen.

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14 Kommentare

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  • "Die deutsche Revolution von 1918 war eine sozialdemokratische Revolution, die von sozialdemokratischen Führern niedergeschlagen wurde: ein Vorgang, der in der Weltgeschichte kaum seinesgleichen hat." (Sebastian Haffner, "Die deutsche Revolution 1918/1919)

    • @Reinhardt Gutsche:

      Welche Revolution meint Haffner? Die der Mehrheit der Arbeiterschaft die zur Weimarer Demokratie führte oder jener klenen Minderheit, die der Oktoberrevolution nacheiferten?

      • @Rudolf Fissner:

        Zitat@Rudolf Fissner: „Welche Revolution meint Haffner?“

        Das geht aus dem Zitat eindeutig hervor: die sozialdemokratische. Es gab keine andere. De Spartakus-Aufstand ist eine Legende. (vgl. «Spartakusaufstand» Der unterschlagene Bericht des Untersuchungsausschusses der Preußischen Landesversammlung über die Januar-Unruhen 1919 in Berlin)

        • @Reinhardt Gutsche:

          Die Sozialdemokraten waren bei den Wahlen März 1919 die mit Abstand stärkste Partei. Die sozialdemokratischen Revolutionäre/Wähler waren offensichtlich im Wesentlichen zufrieden mit dem Verlauf der Revolution. Der Spartakusaufstand ear kein sozialdemokratischer un er hatte keinen Rückhalt bei den Arbeiter- und Soldatenräten der Revolution.

          • @Rudolf Fissner:

            Schießbefehl für die Demokratie

            Zitat @Rudolf Fissner: „Die Sozialdemokraten waren bei den Wahlen März 1919 die mit Abstand stärkste Partei. Die sozialdemokratischen Revolutionäre/Wähler waren offensichtlich im Wesentlichen zufrieden mit dem Verlauf der Revolution.“

            Diese Zufriedenheit muß nicht lange gehalten haben, denn der Stimmenanteil der MSPD halbierte sich nahezu innerhalb weniger Monate von 38% (Nationalversammlung 1919) auf 22 % 1920 (Reichstag). In Berlin lag ihr Anteil bereits 1919 ohnehin schon unter dem Landesdurchschnitt, was angesichts der Rolle ihrer Führer in den Dezember- und Januar-Unruhen nicht verwundert, vor allem der von Noske („Einer muß der Bluthund sein“). Der ließ die antisemitischen Freicorps mit Hakenkreuzen an den Stahlhelmen wie Kettenhunde auf die streikenden Arbeiter und Kieler Matrosen los, die eigentlich nach Berlin gekommen waren, um die Restauration des Ancien Régimes zu verhindern, also die aufkeimende Demokratie zu verteidigen.

            Den Massakern der Freicorps, der Vorläufer von SS und SA, fielen allein in Berlin Tausende von Arbeitern zum Opfer, die Mehrzahl nicht als Kombattanten, sondern als Gefangene standrechtlich erschossen. So starben 30 Angehörige der Volksmarinedivision an deren Zahlstelle in der Französischen Straße, als sie ihren Sold abholen wollten. 11 Aufständische wurden an der Lichtenberger Friedhofsmauer hingerichtet. Viele Zivilisten starben unter den Trümmern ihrer Häuser nach Artilleriebeschuß von Wohnvierten durch die Freicorps. (vg. Dietmar Lange "Massenstreik und Schießbefehl", 2012).

            Von diesem Blutrausch, dem auch die Juden Rosa Luxemburg und Kurt Eisner zum Opfer fielen, führt eine direkte Linie zu dem Regime der Hakenkreuzler und ihrem antijüdischen Genozid. (vgl. Sebastian Haffner, Geschichte der Novemberrevolution). An deren Ausgangspunkt stand als Befehlsgeber und Komplize die MSPD-Führung, die in der Tat im „Wesentlichen zufrieden (war) mit dem Verlauf der Revolution“.

            • @Reinhardt Gutsche:

              Wer hat all die Toten in den Kampf gegen die Weimarer Demokratie geschickt? Was sollte der Scheiß mit Zielen die keiner wollte?

              • @Rudolf Fissner:

                Zitat @Rudolf Fissner: „Wer hat all die Toten in den Kampf gegen die Weimarer Demokratie geschickt?“

                Es gab zum Zeitpunkt dieses Gemetzels, von dem hier die Rede ist, keine Weimarer Demokratie, und sie zu verteidigen wäre das letzte gewesen, was diese antisemitischen Freicorps und spätere SS und SA im Sinn gehabt hätten. Noske und Co. waren Komplizen und die Hintermänner einer dem Alten Regime verhafteten demokratiefeindlichen Mörderbande, Fleisch vom Fleische der OHL Ludendorffs und Hindenburgs, die 14 Jahre später dann richtig loslegen konnten und dabei auch ihre einstigen Auftraggeber nicht verschonten. Sebastian Haffner hatte Recht: Von den Morden im Januar 1919 führte eine direkte Linie zu dem Regime der Hakenkreuzler und damit zu Auschwitz.

                • @Reinhardt Gutsche:

                  Sie wissen, dass es die mit überwältigender Mehrheit gefasste Entscheidung des Reichsrätekongress gab, die Wahlen zu verfassunggebenden Nationalversammlung abzuhalten und das die Aufstände, der Spartakusaufstand diese Wahlen verhindern sollten.

                  Warum sollten die demokratischen Wahlen verhindert werden. Warum wurden die Beschlüsse der Arbeiter- und Soldatenräte missachtet? Wer missachtete? Wer nahm dafür Tote in kauf?

  • Die Verantwortung der SPD für 1918-1933 bis heute.







    Am 25. Juli 1914 erhob die SPD, im Einklang mit früheren Parteitagsbeschlüssen, ''flammenden Protest gegen das verbrecherische Treiben der Kriegshetzer“. Aber als dann der Krieg wirklich da war, galt nichts mehr von alledem: Mit 96 gegen 14 Stimmen beschloss die SPD-Reichstagsfraktion, die Kriegskredite bewilligen. Die vierzehn Dissidenten beugten sich ausnahmslos der Mehrheit (unter ihnen auch noch Karl Liebknecht). Die deutsche Sozialdemokratie hatte ihren Frieden mit dem deutschen Kaiserreich gemacht. Sie benahm sich fortan nur noch als Staatspartei, so auch bei der Auflösung der Weimarer Republik und der widerstandslosen Überlassung der Macht an die Kapitalfaschisten der NSDAP.







    Wo stand die SPD-Führung im Bürgerkrieg der sozialen Klassen in der Weimarer Republik?







    Es war eine sozialdemokratische Regierung, die den Krieg gegen die sozialdemokratische Arbeiterklasse führte!







    ''Die sozialdemokratischen Führer, widerwillig von den sozialdemokratischen Massen auf den leeren Thron gehoben, mobilisierten unverzüglich die alten herrenlos gewordenen Palastwachen und ließen ihre eigenen Anhänger wieder hinaustreiben.'' –







    ''Die deutsche Revolution von 1918 war eine sozialdemokratische Revolution, die von den sozialdemokratischen Führern niedergeschlagen wurde: ein Vorgang, der in der Weltgeschichte kaum seinesgleichen hat.'' (Sebastian Haffner)

    Was der Kaiser vergeblich versucht hatte, das zurückkehrende Feldheer auf die revolutionären sozialdemokratischen Arbeiter loszulassen, das versuchte von Anfang an auch Friedrich Ebert. Und er zögerte dabei nicht, zusammen mit Gustav Noske, die extremsten Anhänger der militanten monarchistischen, antisemitischen und nationalistischen Gegenrevolution, ja seine eigenen Feinde, die Vorläufer des Kapital-Faschismus in Deutschland, zu bewaffnen und gegen seine sozialdemokratischen Anhänger zu mobilisieren. // Ein modifizierter Auszug, vgl. Sebastian Haffner {…}

    • @Reinhold Schramm:

      Die Versammlung der Arbeiter und Soldatenräte, der Reichsrätekongress entschieden sich Dezember 1918 mit einer 3/4 Mehrheit gegen das Rätesystem nach Sowjet-Vorbild. Mit 400 gegen 50 Stimmen fiel der Entschluss für Wahlen zur Nationalversammlung. de.wikipedia.org/w...Reichsrätekongress

      Das Gedöns von der sozialdemokratische Regierung/Führung, die die Arbeiterklasse veriet ist die Dolchstoßlegende von pseudolinks, von den Verlierern der demokratischen Abstimmungen in der revolutionären Bewegung. Die Dolchstoßlegende wird bis heute fleißig weiter gepflegt.

  • Im November 1919 sagte Fredrich Ebert, er hasse die Revolution wie die Sünde. Seinen eitlen Parteifreund Scheidemann beschimpfte er, als dieser die Republik ausrief - wobei der das nur tat, weil er dem linken Karl Liebknecht zuvor kommen wollte. Und der Bluthund Noske schlug dann die Revolution so perfekt nieder, dass ihm die Nazis ab 1933 seinen Pension weiter zahlten. Fazit: Es verwundert nicht, dass sich heute noch Sozialdemokraten, Liberale und Konservativen nicht zur ersten erfolgreichen Revolution in Deutschland bekennen. Wo kommen wir da hin, wenn die Leute ihre Geschicke selber in die Hand nehmen......

    • @Philippe Ressing:

      Die Revolution war nicht erfolgreich!

      Die deutsche Finanz- und Monopolbourgeoisie ist der SPD und deren Führung, zum ewigen Dank verpflichtet, so auch im 21. Jahrhundert!

      • @Reinhold Schramm:

        Welche? Die Revolution der KPD-Vorgänger? Jener Gruppen, die die Weimarer Demokratie bekämpften, Sich später mit Stalin und Co. gemein machten, die demokratischen Wahlen zur verfassungsgebenden Nationalversammlung 1919 verhindern wollten, dort keine nennenswerten Stimmenanteile bekammen? J

        Ja. Die war Gott sei Dank nicht erfolgreich.

        Aber die Revolution der Sozialdemokratischen Arbeiterschaft, die war erfolgreich.

        • @Rudolf Fissner:

          Wo hat die SPD-Arbeiterschaft die Macht im Staat?

          Die reale Finanz- und Monopolbourgeoisie in Deutschland, mit aktiver Hilfe und Unterstützung aller Parlamentsparteien, einschließlich der SPD-Führer, hat die ökonomische, ideologische und gesellschaftspolitische Macht in Deutschland! Er gibt keine ''Sozialpartnerschaft'' zwischen der Putzfrau und Familie Quandt, wie es die SPD dem Volk gerne demagogisch verkaufen möchte!